Timo Werner bei RB Leipzig:"Es war eine Schwalbe - Punkt"

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Kuriose Szene, kuriose Aufarbeitung: Timo Werner vor seinem Abflug. (Foto: AFP)

Während Timo Werner nach dem 2:1 gegen Schalke einen Täuschungsversuch einräumt, lehnt RB-Sportchef Ralf Rangnick das Thema weiter ab.

Von Sebastian Fischer, Leipzig

Irgendwann auf dem Rückweg in die eigene Hälfte, das Publikum in Leipzig teilte sich auf in Rasenball-Euphoriker und wütende Schalker, fühlte sich Timo Werner wohl für einen Moment unbeobachtet. Eben noch hatte er gejubelt, die Faust in die Kurve gereckt. Nun sah der Stürmer kurz zu Boden. Er musste wissen: Es gibt jetzt kein Zurück mehr.

Werner, gerade mal 20 Jahre jung, war bislang ein talentierter Fußballer aus dem Schwabenländle auf dem Weg zum Bundesliga-Torjäger. Er hat jetzt schon acht Tore erzielt, läuft bei ihm, würden Menschen in seinem Alter sagen. Seit diesem Wochenende gibt es nun aber ein neues Kapitel in Timo Werners Geschichte, er hat noch mal an Berühmtheit gewonnen, er ist jetzt so etwas wie ein kleiner Andy Möller. Und seinen Klub RB Leipzig, den ungeschlagenen Bundesliga-Tabellenführer, der gerade beinahe täglich in neue Dimensionen vorstößt, hat er noch mal einen Sprung weitergebracht. Doch dazu später mehr.

Zunächst zu Werners Werk am Samstagabend beim 2:1 gegen den FC Schalke, nach etwas mehr als 20 Sekunden Spielzeit: Verfolgt vom Verteidiger Naldo lief er auf den Schalker Torhüter Ralf Fährmann zu, er lupfte, sein Versuch flog in Richtung Toraus. Und dann flog Werner. Ohne Berührung des Torhüters ließ er sich fallen, verzog sein Gesicht zu einer leidenden Grimasse. Es war eine so überzeugend vorgetragene Schwalbe, dass Schiedsrichter Bastian Dankert auf Elfmeter entschied. "Es war keiner", sagte Leipzigs Trainer Ralph Hasenhüttl; "jeder hat gesehen, dass es eine Fehlentscheidung war", sagte Schalkes Markus Weinzierl, auch Dankert gab seinen Fehler nach Ansicht der Videobilder zu. Am Sonntagmorgen sagte dann auch Werner dem Sport-Informationsdienst: "Es war eine Schwalbe - Punkt."

Alles ein bisschen albern

Ein paar Minuten, nachdem das Zitat des Spielers über den Nachrichtenticker gelaufen war, atmete RB-Sportdirektor Ralf Rangnick in einem Seufzer heiße Luft in den kalten Leipziger Sonntagvormittag - genervt, dass er wieder über das eine große Thema des Bundesliga-Wochenendes sprechen musste. "Wie viele unberechtigte Elfmeter hat es in den letzen 50 Jahren gegeben?", fragte Rangnick. "Es war kein Foul", sagte er, aber: "Es war keine Schwalbe." Und spätestens in diesem Moment war das alles ein bisschen albern.

Es ist auch die Komik ihrer Aufklärungsgeschichte, die der Timo-Werner-Schwalbe einen Eintrag ins Bundesliga-Lexikon einbringen könnte, wo die Ur-Schwalbe von Andreas Möller den bislang prominentesten Eintrag hat. Der frühere Nationalspieler hatte im April 1995 gegen den Karlsruher SC einen halben Meter neben seinem Gegenspieler abgehoben, dem heutigen Augsburger Trainer Dirk Schuster.

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Die versuchte Aufklärung an Wochenende ging so: Schalkes Torhüter Ralf Fährmann war vor allem wütend auf Schiedsrichter Bastian Dankert. "Ich muss aufpassen, dass ich morgen kein Herpes hab, so sehr wie ich mich aufrege!", schnaubte der Torwart, um gleich darauf Werner für seine vermeintliche Fairness zu loben: Der habe zugegeben, "dass ich ihn nicht berührt habe, er hat es auch dem Schiedsrichter gesagt". Davon wiederum wollte Dankert allerdings nichts mitbekommen haben: "Dem muss ich widersprechen. Ich habe ihn gefragt, was war da - da kam aber nichts." Doch ein Gespräch zwischen dem in dieser Szene wenig souverän wirkenden Dankert und Werner war in keiner Superzeitlupe erkennbar, genauso wenig wie ein Straucheln nach einer Berührung mit Naldo, von der Werner auch am Sonntag noch sagte, sie habe ihn aus dem Tritt gebracht, und von der er gedacht habe, sie sei der Grund für Dankerts Pfiff gewesen.

Sollte sich kein Untersuchungsausschuss mit dem Thema befassen, wird die Frage nach den Inhalten der Gespräche wohl ungeklärt bleiben. Der Videobeweis, da waren sich alle einig, hätte das Problem gelöst; nur ist der ja noch nicht eingeführt. Rangnick sagte, er sei froh, dass über den Videobeweis nun wieder diskutiert werde; als Andy Möller 1995 abhob, waren technische Hilfen noch Science-Fiction. Möllers Schwalbe führte damals zum 2:1-Sieg für Dortmund. Wenig später gewann der BVB um den herausragenden Möller die Meisterschaft, verteidigte in der folgenden Saison den Titel, gewann die Champions League. Und damit zu RB Leipzig.

Als Rangnick am Sonntagmorgen alle Fragen zum Elfmeter beantwortet hatte, besserte sich seine Laune. "Es war ein hochverdienter Sieg für uns", sagte er. Und es war tatsächlich beeindruckend zu sehen, wie Leipzig mit zunehmender Spieldauer hoch motivierte Schalker immer besser kontrollierte, immer mehr Zweikämpfe gewann, immer genauer kombinierte. Schalke hatte vorher zwölf Spiele nacheinander nicht verloren, kam durch Sead Kolasinac zwar verdient zum Ausgleich, spielte nicht schlecht, kämpfte - hatte am Ende aber kaum noch Chancen.

Rangnick: "Extreme Willensleistung"

Wäre Werner nicht so unselig gefallen, hätten ihn seine Kritiker uneingeschränkt für eine starke Leistung loben können. Im Mittelfeld behaupteten sich Emil Forsberg und Naby Keita immerhin gegen Schalkes formstarken Nationalspieler Leon Goretzka und dessen aggressiven Nebenmann Nabil Bentaleb. Es war auch ein Forsberg-Freistoß gewesen, den Kolasinac zum Leipziger 2:1 ins eigene Tor verlängerte, bereits die achte Torvorlage des Schweden in seinem zwölften Spiel, der beste Wert der Liga. Vorne lief Angreifer Yussuf Poulsen so viel und schnell, dass es nicht nur Benedikt Höwedes überforderte. Und vor allem kämpften die Leipziger so aufopferungsvoll und manchmal - siehe Elfmeter - auch so grenzwertig, wie man es in dieser Saison von Hasenhüttls Mannschaft noch nicht gesehen hatte. Rangnick sprach von einer "extremen Willensleistung".

Als es am Sonntagmorgen also darum ging, ob Leipzigs Siegesserie einfach so weitergehen kann, fiel Rangnick nicht viel ein, was dagegen sprach. Vielleicht war ihm kalt, vielleicht wollte er den Anpfiff des Jugendspiels auf dem Nebenplatz nicht verpassen. Jedenfalls sagte er nur, da sehe er auch "keine großen Gründe", bedankte sich und ging in Richtung seines nächsten Ziels, ohne zurückzuschauen.

© SZ vom 05.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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