Beachvolleyball:"Am Ende ist es ein bisschen wie bei Jürgen Klopp"

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Holten bei der Beachvolleyball-WM Silber: Clemens Wickler (l.) und Julius Thole. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Nach dem Silber-Gewinn bei der Beachvolleyball-WM in Hamburg hat das Trainerteam dem Duo Julius Thole und Clemens Wickler eine Pause verordnet.
  • HSV-Trainer Dieter Hecking meint, dass die beiden Spieler ihn mit Körpersprache, Siegeswillen und gegenseitigen Anfeuerungen beeindruckt haben.
  • Hinter diesen Attributen steckt zugleich viel Expertenarbeit - und derselbe Masterplan, der 2012 Julius Brink/Jonas Reckermann und vier Jahre später Laura Ludwig und Kira Walkenhorst zu Olympiasiegern machte.

Von Sebastian Winter, München

Gstaad muss also diese Woche ohne sie auskommen, Julius Thole und Clemens Wickler haben ihren Start beim mit 600 000 US-Dollar dotierten Grand-Slam-Turnier im Schweizer Nobelkurort abgesagt. "Wir wollten uns nicht komplett zerstören", sagte Wickler am Dienstag. Zwei Tage zuvor war das Beachvolleyball-Duo bei seiner ersten Weltmeisterschaft Zweiter geworden, erst im Finale unterlagen sie den Russen Krasilnikow/Stojanowski 1:2. Und das in Hamburg, wo Thole geboren wurde und mit dem Starnberger Wickler am zentralen Bundesstützpunkt trainiert.

In Gstaad hätten die beiden wie üblich bei Turnieren oder Trainingslagern wieder in einem Hotelzimmer geschlafen, und abends noch ein oder zwei Folgen "Game of Thrones" angeschaut, ihre derzeitige Lieblingsserie. Doch das Trainerteam hat dem Duo nun erst einmal drei Tage Pause verordnet, bloß keinen Ball anfassen, den Trubel und den Lärm der 13 000 Zuschauer im Stadion hinter sich lassen, der die beiden am Ende auch ein wenig zu erdrücken schien. Einschlafen konnte Wickler nach der kurzen Feier bei einem Italiener im Hamburger Schanzenviertel nach dem Endspiel erst im Morgengrauen, Blocker Thole möchte jetzt ein paar Tage mit seiner Freundin an die Ostsee fahren. In einer Woche wollen sie wieder in den Sand, beim Weltserien-Turnier in Espinho, Portugal.

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Die beiden deutschen Beachvolleyballer unterliegen dem russischen Duo Krasilnikow/Stojanowski in drei Sätzen. Trotzdem ist Silber ein Riesenerfolg.

Die Früchte der WM dürfen sie schon einmal ernten

Man hatte während der WM schon an Tholes Tapeverbänden erkennen können, dass er nicht ganz fit ist. "Julius hatte von Anfang an Nackenprobleme, das kann auch der Stress sein, im dritten Satz des Finales ging es ihm wirklich nicht gut. Die beiden sind körperlich und psychisch an Grenzen gegangen - und darüber hinaus", sagt Niclas Hildebrand, Sportdirektor Beach beim Deutschen Volleyball-Verband. Dort oben an der Weltspitze wird der Druck eben erkennbar größer, gerade für ein Team, das eigentlich als Versprechen für die Zukunft galt, für 2024 oder 2028, aber nicht als einzige deutsche Hoffnung für die Olympischen Spiele in Tokio. Die Früchte der WM dürfen sie schon einmal ernten. 45 000 US-Dollar sind das bislang höchste Preisgeld ihrer Karriere, Weltranglisten-Platz sieben die beste Position.

Wickler wurde vom Weltverband außerdem zum besten Spieler der WM gekürt.

Inzwischen sind sie gar Vorbilder für die Fußballer des Hamburger SV. Deren Trainer Dieter Hecking sagte im Trainingslager in Kitzbühel, dass das Duo ihn mit Körpersprache, Siegeswillen und gegenseitigen Anfeuerungen beeindruckt habe.

Hinter diesen Attributen steckt zugleich viel Expertenarbeit - und derselbe Masterplan, der 2012 Julius Brink/Jonas Reckermann und vier Jahre später Laura Ludwig und Kira Walkenhorst zu Olympiasiegern machte. Nur dass die Goldgewinner eigene Teams hatten, bei Thole/Wickler ist die Verzahnung ihrer privaten Helfer mit dem Stützpunkt in der Hansestadt enger.

Ihre Psychologin Anett Szigeti hat schon Ludwig/Walkenhorst betreut

Dort arbeitet Chef-Bundestrainer Martin Olejnak mit ihnen, ein Taktikfuchs, der Schwächen exakt sezieren kann. Inzwischen hat er mit Thole und Wickler alleine elf Block-Abwehr-Zeichen konzipiert, die der am Netz stehende Spieler dem Partner bei eigenem Aufschlag hinter seinem Rücken mit den Fingern anzeigt. Der zweimalige Europameister Markus Dieckmann und Brink sind Techniktrainer, Psychologin Anett Szigeti hat schon Ludwig/Walkenhorst betreut: "Sie bringt uns Atemtechniken und das Training von speziellen Gedankengängen bei, um in Stresssituationen wieder in die Wohlfühlzone zu kommen", sagt Wickler. Hochspezialisierte Physiotherapeuten kümmern sich um die Muskeln, und Jürgen Wagner, einst Trainer von Brink/Reckermann und Ludwig/Walkenhorst, verantwortet Athletik- und Gesamtkonzept. Er gilt als Gehirn hinter den jüngsten Olympia-Erfolgen. "Am Ende ist es ein bisschen wie bei Jürgen Klopp: Der hat sogar einen Trainer nur für Einwürfe", sagt Sportdirektor Hildebrand, und lacht.

Zu dieser Expertise kommt ein weiteres zentrales Puzzleteil, das Scouting-System, das Hildebrand als "weltführend" bezeichnet. Mittels eines an der TU München entwickelten Programmes analysieren zwei Scouts auf der Tribüne gegnerische und eigene Spiele - und können Thole und Wicklers Taktik daraufhin optimieren. Das System wurde schon vor den Londoner Spielen entwickelt, um Brink/Reckermann zu helfen. Auch Ludwig/Walkenhorst bauten ihre Strategie darauf auf. "Diese Zahnräder greifen alle ineinander", sagt Wickler, der weiß, dass noch viel zu tun ist.

Im Finale hat ihn ausgerechnet seine Stärke, die Abwehr harter Angriffe, etwas im Stich gelassen, Tholes kurze Diagonalangriffe und die Aufschläge haben auch noch Potenzial. Andererseits haben sie in Hamburg Welt- und Olympiasieger sowie die Weltranglisten-Ersten aus Norwegen geschlagen. Und das als Team, das erst Ende 2017 zusammenfand, weil die Trainer ihr Team-Potenzial sahen. "Hätten wir uns früher auf der Straße oder in einer Bar getroffen, hätten wir uns wohl mit jemand anders unterhalten. Jetzt ist daraus eine Freundschaft gewachsen", sagt Wickler. Das ist auch keine schlechte Grundvoraussetzung für gemeinsame Serienabende im Hotelzimmer.

© SZ vom 10.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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