Tennisspieler Kei Nishikori:Größer als Federer

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Mit Können und etwas Beistand: Kei Nishikori steht zum zweiten Mal im Viertelfinale der French Open in Paris. (Foto: Julian Finney/Getty Images)
  • Kei Nishikori hat in seinem Leben noch keinen Grand-Slam-Titel gewonnen, dennoch ist er in Japan eine Berühmtheit.
  • Selbst Tennis-Granden wie Roger Federer sind in Nishikoris Heimatland weniger berühmt.
  • Die Karriere des Japaners gilt als Beweis, dass Erfolg zwischen den Grundlinien minutiös geplant werden kann.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Die Tür geht auf, heraus kommt ein Japaner. Hinter ihm kommt ein zweiter Japaner, ein dritter, vierter, fünfter, sechster. Dann kommt Kei Nishikori, vor ihm geht ein Europäer, der alle überragt, Olivier van Lindonk. Sein Manager. Hinter den beiden kommen weitere Japaner, der Tross zieht weiter, bis er sich teilt. Wahrscheinlich würden alle Reporter dieser Fraktion versuchen, sich in den nächsten kleinen Raum zu quetschen, in den Nishikori entschwindet. Aber das ist nicht erlaubt. Jetzt übernimmt eine andere Fraktion, die Kollegen vom Fernsehen. Um die Bedeutung zu erahnen, die Nishikori in seiner Heimat besitzt, reicht eine Erklärung eines japanischen Reporters, der in radebrechendem Englisch sagt: "Kei ist größer als Roger." Größer als Federer - das geht nicht im Tennis. "In Japan schon", sagt der Journalist. Er nickt.

Dass er die Weltsprache Englisch nicht so gut beherrscht, ist nicht schlimm, die rund 30 Journalisten aus Japan benötigen sie nicht wirklich. Sie kümmern sich um Geschichten über Nishikori, um abschließend etwas über Nishikori zu verfassen. Natürlich ist das zugespitzt, andererseits: Sie sind längst alle nach Bradenton gepilgert und haben die dortige Tennisschule inspiziert, weil sie sehen wollten, wo ihr Held die Karriere begonnen hatte. Wo schlief Nishikori? Was aß er? Wo war er joggen?

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Der Tross reist Nishikori bis heute hinterher wie einst die Deutschen bei Boris Becker. Als Nishikori kürzlich für das Turnier in Genf zusagte, kurzfristig, waren am nächsten Tag, wie aus einem Hut gezaubert, acht Reporter aus Japan in der Schweiz. In Paris, bei den French Open, befindet sich in diesen Tagen neben Eurosport das Fernsehstudio von TV Tokio, erzählt Kommentator Markus Theil. "Sie übertragen alles von Nishikori." Wenn er nicht spielt?

"Ist der Raum leer." Die Geschichte von Nishikori, 27, Sohn eines Ingenieurs und einer Klavierlehrerin, lässt sich in zwei Teile aufspalten. Zunächst ist da der Leistungssportler, der eine Karriere, absolviert, geplant am Reißbrett. Sein Erfolg begann mit einem Japaner namens Masaaki Morita. Der war bis 1992 Geschäftsführer von Sony, mächtig, reich, vernetzt. Weil er Tennis mochte, reifte in dem Manager eine Idee: Er wollte, dass Japan einen guten Tennisspieler hat, der dazu auch ein Superstar sein sollte, als Botschafter des Landes. Im Jahr 2000 wurde der "Masaaki Morita Tennis Fund" aufgelegt, jedes Jahr wurden vier Talente in die berühmte IMG-Akademie von Trainer Nick Bollettieri geschickt. Das "Project 45" wurde ausgerufen. Shuzo Matsuoka war bis dahin als 46. in der Weltrangliste bester Japaner gewesen - der Nächste sollte wenigstens diese Marke unterbieten.

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Nishikori schaffte es. Der Profi aus Shimane durchbrach im Oktober 2011 diese Schallmauer. Es ist nicht bekannt, ob damals die Glocken läuteten. Aber spätestens seitdem ist ein einzigartiger Kosmos um Nishikori herum gediehen. Er macht den zweiten Teil seines Phänomens aus.

Nishikori begann mit fünf Jahren zu spielen, gewann Jugendturniere, wurde über den Morita Fonds nach Florida geschickt, er hatte Heimweh, sprach kaum Englisch, biss sich schweigend durch, wurde 2007 Profi. Als Qualifikant gewann er 2008 sein erstes Turnier, in Delray Beach: "Japanischer Roger", hieß es erstmals. Nishikori ist eine Grundliniengummiwand; er wird bis heute von Langzeit-Coach Dante Bottini aus Argentinien trainiert, machte den Schritt zum aggressiveren Weltklassemann dank Michael Chang, der Ende 2013 zum Team stieß. Der French-Open-Sieger von 1989, der Ivan Lendl mit dem Schnippelaufschlag von unten entnervte, vermittelte ihm mehr Gnadenlosigkeit.

Es gibt Experten im Tennis, die sagen, Asiaten stünde manchmal Höflichkeit im Wege. Chang führte Nishikori zu elf Titeln, aber warum der große Wurf noch nicht gelang, erzählen zwei Turnierteilnahmen. Im Mai 2014 glänzte er in Madrid, zog in sein erstes Endspiel eines Masters-Series-Events ein, holte den ersten Satz gegen Rafael Nadal - und musste bei 0:3 im dritten Satz aufgeben. Wohl kein Profi der Elite ist so chronisch verletzt wie er. Im September 2014 stand er dann im Finale der US Open, galt als Favorit, doch der Kroate Marin Cilic war gieriger, nervenstärker, vor allem: schlaggewaltiger. Nishikori, einer der besten Konterspieler und Returnierer, lebt von seiner Zähigkeit. Aber oft genug stößt er bei den harten Hittern an Grenzen.

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Nishikori verdient mehr Geld als Andy Murray

Finanziell gibt es diese freilich nicht. Weil er als Tennisprofi den japanischen Markt für sich alleine hat, eröffnet ihm dieser Starstatus sprudelnde Einnahmen. Forbes schätzte seinen Jahresverdienst Ende 2016 auf 33 Millionen Dollar. Andy Murray hatte als Nummer eins 23 Millionen Dollar verdient - in allem. Anfang 2016 unterzeichnete Nishikori einen Deal, der angeblich 50 Millionen schwer ist. Als er 2012 in Tokio das Turnier gewann, sollen sich, so die Legende, 300 Firmen gemeldet haben. Manager van Lindonk, von Beginn dabei, musste nur die Rosinen picken.

Eines der Gesichter der Olympischen Spiele 2020 in Tokio soll Nishikori werden, viele seiner 15 höllisch lukrativen Sponsoren sind dort engagiert. Er hat sein Vermögen, im dreistelligen Millionenbereich, in Aktien, Immobilien, Restaurants angelegt, verkauft Mode, Parfüm, Wodka, besitzt ein Fußballteam. "Er verdient so viel Geld, als hätte er schon fünf Grand-Slam-Turniere gewonnen", sagte van Lindonk einmal dem Tennis Magazin. Gerne hätte man ihn in Paris selbst befragt. Er wollte sich auch Zeit nehmen. Aber dann doch: keine Zeit. Er weicht Nishikori nicht von der Seite.

Die Frage, wie Nishikori den Spagat zwischen Berühmtheit und Profitum packt, lässt sich aus seinen Antworten nicht heraushören. In den Pressekonferenzen geht es meist um Oberflächliches. Er ist kein analytischer Erzähler wie Andy Murray, auf den er an diesem Mittwoch im Viertelfinale trifft. Manchmal wirkt Nishikori, als sei er ein netter, gutmütiger Kerl, der durch die eigene Erfolgsstory geschleust wird und die Orientierung verliert. Als er auf das vorerst letzte, dramatische Vier-Stunden-Duell mit dem Weltranglisten-Ersten bei den vergangenen US Open angesprochen wurde, gab Nishikori zu: "Ich bin sehr schlecht mit Erinnerungen. Ich weiß nicht mal, ob ich gewonnen oder verloren habe." Er entschuldigte sich lächelnd.

Er hatte übrigens gewonnen.

© SZ vom 07.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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