Boris Becker im Interview:"Natürlich juckt's mich, wieder auf dem Platz zu stehen"

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Will zurück auf den Court: Boris Becker. (Foto: dpa)

Boris Becker spricht über seine Bereitschaft, als Trainer zurückzukehren - und die Spekulationen um Angelique Kerber.

Interview von Gerald Kleffmann, Paris

Boris Becker, 49, sagt, er habe kurz Zeit, man könne rüberkommen, zu Eurosport. Er kommentiert ja nun in diesem Jahr bei drei der vier Tennis-Grand-Slam-Turniere für den deutschen Kanal dieses Fernsehsenders. Die French Open, die er nie gewinnen konnte, weil ihm mehrmals im letzten Moment ein Sandplatzspezialist in die Quere kam, erlebt er somit aus einer neuen Perspektive. Drei Jahre lang war Deutschlands erfolgreichster Profi Trainer von Novak Djokovic, er coachte den Serben zu sechs Major-Siegen, bis sich die beiden im Dezember trennten. Heute wirkt Becker äußerst entspannt, ja, er strahlt eine Aura der inneren Zufriedenheit aus. Wer ihn auf der Anlage am Bois de Boulogne herumschwirren sieht, könnte gar glauben, es gäbe Becker gleich in mehreren Versionen.

SZ: Herr Becker, gerade geht auch ein Videofilmchen im Internet herum, Sie interviewen dabei Andre Agassi sehr professionell. Der Amerikaner ist jetzt erstmals als Trainer unterwegs - ausgerechnet von ihrem alten Schützling Djokovic.

Boris Becker: Ja, das war ein Termin bei einem Sponsor. Ich habe ihn interviewt, ich hatte ja damit schon Erfahrung gemacht bei meiner "Becker 1:1"-Sendung. Ich sollte das erst mit meinem Eurosport-Partner Matthias Stach machen, aber das klappte nicht. Ich sagte dann den Leuten, ich traue mir das schon zu. Ich glaube, es ist ganz gut geworden. Ich muss aber gestehen, wir haben davor und danach eigentlich die spannendsten Sachen gesagt.

Klingt interessant. Was haben Sie und Agassi da genau besprochen?

Andre und ich sind ehemalige Kollegen. Wir haben über Novak gesprochen, klar, aber auch über die Familie und Pläne, was bei uns so ansteht. Aber wir sind Sportler, da hat man auch gegenseitig Vertrauen, deshalb kann ich dazu nichts weiter sagen. Nur so kann man miteinander reden, ohne dass beide fürchten müssen, dass am nächsten Tag gleich alles in den Medien steht.

Die Konstellation ist aber ungewöhnlich - dass Sie hier sind und kommentieren, während Agassi nun Djokovic, den Titelverteidiger, betreut. Wie fühlt sich das an?

Ich habe mich gefreut, dass Andre jetzt mein Nachfolger geworden ist. Die Suche hatte ja ein bisschen gedauert für Novak. Das kann eine erfolgreiche Partnerschaft werden. Das glaube ich wirklich. Andre hat ein ungemein hohes Tennis-Verständnis, er hat auch die Power. Novak wird ihm zuhören. Er und Andre sind vom Spielverständnis her die besten Grundlinienspieler aller Zeiten. Und ein Aspekt ist noch wichtig: Andre hat seine größten Erfolge erst gefeiert, als er schon 30 Jahre und älter war. Diese Kombination passt aus verschiedenen Gründen.

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Sie und Agassi waren früher aber auch erbitterte Gegner. Er hat in seiner Biografie "Open" nicht nur nett über Sie geschrieben. Sie haben ihn jetzt extrem freundlich in der Box begrüßt, bei einem Match von Djokovic.

Das alles ist längst wieder gut. Klar waren wir Rivalen auf dem Platz. Und wir haben uns auch nicht gemocht. Wir haben beide vielleicht Dinge übereinander gesagt, die wir 20 Jahre später bereuen. Das passierte in der Hitze des Gefechtes. Das ist okay. Ich habe größten Respekt vor Andre und auch seiner Frau.

Das ist die 22-malige Grand-Slam-Gewinnerin Steffi Graf aus Brühl. Sie leben nun mit ihren zwei Kindern in Las Vegas.

Ich bewundere, wie die beiden auch ihr Leben nach der Karriere gemeistert haben. Sie setzen sich ja unglaublich für benachteiligte Kinder ein, mit ihren Stiftungen. Sie haben neue Schulen kreiert. Das ist wirklich à la bonne heure!

So entspannt wie Sie hier wirken, muss man von außen betrachtet sagen: Boris Becker hat alles richtig gemacht. Sie hatten, trotz mancher Zweifel von außen, eine unglaublich erfolgreiche Zeit mit Djokovic - und Sie sind im richtigen Moment abgesprungen, wenn man das so sagen kann. Sie trennten sich vergangenen Dezember von ihm.

(lacht) Also erst mal danke für die Blumen. Es war auch für mich eine Frage: Klappt das mit Novak? Das weiß man vorher nie. Drei Jahre später muss man wohl sagen: Er hat alles richtig gemacht, und ich auch. Weil ein Trainer ja immer nur so gut ist wie sein Spieler. Dann war irgendwann aber auch das Buch zu. In einer Fußballmannschaft hat man 15, 20 Spieler. Beim Tennis hat man einen Spieler. Irgendwann ist man mit dem Latein am Ende. Dann wiederholt man sich. Die großen neuen Sachen kann ich ihm nach drei Jahren auch nicht mehr erklären. Er hatte dann alles gewonnen und war vielleicht etwas vom Tennis müde. Er kümmerte sich auch um seine Familie. Ich habe gemerkt, dass die Aufnahmefähigkeit bei Novak im zweiten Halbjahr 2016 nachgelassen hat, was ich absolut nachvollziehen kann. Ich musste dann aber auch schauen, wie es für mich weitergeht.

Sie sind jetzt ein gutes halbes Jahr nicht mehr Trainer. Gerade gab es ein bisschen Aufregung, weil ein Interview mit Ihnen so ausgelegt wurde, als wollten Sie die kriselnde Weltranglisten-Erste Angelique Kerber eventuell trainieren. Kribbelt es wieder in Ihnen und wollen Sie wieder Coach sein?

Ich freue mich jeden Tag auf meine jetzige Arbeit, ich bin voll beim Tennis dabei. Auch solche Gespräche wie mit Andre machen großen Spaß. Ich muss aber auch sagen: Natürlich juckt's mich, wieder auf dem Platz zu stehen. Alles andere wäre auch gelogen. Ich wäre kein leidenschaftlicher Tennismann, wenn das nicht der Fall wäre. Ich glaube, dass ich das ganz gut kann. Aber viele Faktoren müssen stimmen. Es muss der richtige Spieler sein, der richtige Zeitpunkt. Dann habe ich Verträge, mit Eurosport, mit der BBC. Da muss man auch sein Wort halten.

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Also keine Ausstiegsklausel?

Im Notfall würde man sicher eine Zwischenlösung finden, sollte ich mal sagen, der Spieler X hat angeklopft, ich will das machen. Aber so weit ist es noch nicht.

Wäre Kerber eine Möglichkeit?

Ich mag sie sehr gerne und habe angeboten, wir können uns gerne jederzeit mal unterhalten. Als Experte wurde ich zu ihr befragt. Dann gleich weiter zu phantasieren, dass ich der nächste Trainer bin - also das kann ich mir nicht vorstellen. Aber dass ich ein Freund von ihr bin, dass ich ihr gerne meine Meinung sage und vielleicht mit ein paar Einschätzungen versuchen würde zu helfen, ist doch klar.

Das heißt, Sie könnten aber auch, wenn es sich trotzdem ergeben sollte, morgen schon wieder als Trainer arbeiten - oder aber auch erst in zwölf Monaten oder später?

Boris Becker im Jahr 2015, damals Trainer von Novak Djokovic. Dass er noch einmal als Coach auf den Platz zurückkehrt, schließt der 49-Jährige nicht aus. (Foto: Made Nagi//dpa)

Richtig. Es ist alles offen. Ich lasse das ganz entspannt auf mich zukommen. Bei Grand Slams sieht man sich ja jeden Tag, man kann sich mit vielen Leuten austauschen, mit Spielern, Coaches, dem Management. Die wissen ja auch nicht, ob ich das kategorisch ausschließe. Oder ob ich mir das kategorisch vorstellen kann. Und deshalb sage ich ihnen meine Meinung.

Jetzt ist es raus: Sie wären wieder zum Einstieg bereit. Welches Profil müsste denn Ihr nächster Spieler haben? Muss der auch um Titel sofort spielen? Die Messlatte nach Djokovic ist sicher hoch.

Das Ziel muss schon sein, dass der Spieler ein Turnier wie hier gewinnt. Und nicht nur die zweite, dritte Runde erreichen will. Das ist für mich die Voraussetzung. Der Grund muss sein, nach ganz oben zu wollen. Nicht nur illusorisch, auch realistisch. Da gibt's nicht viele, aber es gibt ein, zwei bei den Männern. Es gibt auch ein, zwei bei den Damen. Ich will auch gar nicht sagen, dass ich nur Männer trainieren könnte. Ich habe aber noch nie eine Dame trainiert. Bei Angelique habe ich aber selbst Steffi Graf ins Spiel gebracht. Weil ich gesagt habe: Jetzt ist ihr Mann schon in Paris, da kann auch die Frau dazukommen. Andre hat ja auch gesagt, wenn Novak das möchte, wird er in Wimbledon und bei den US Open sein. Das ist ein Statement. Dann wäre es naheliegend, wenn die Ehefrau dazukäme. (lächelt) Das wäre eine spannende Lösung. Aber das entscheide nicht ich.

Wie sehen Sie die Spitze im Männertennis? Rafael Nadal ist der große Favorit, der Spanier könnte in Paris seinen zehnten Titel erringen. Es fehlt nur Roger Federer, der im Januar das Kunststück schaffte, nach langer Verletzungspause seinen 18. Grand Slam zu gewinnen. Der 35-jährige Schweizer verzichtete auf die Sandplatzsaison.

Das kann ich gut nachvollziehen. Wäre ich sein Trainer, hätte ich ihm auch empfohlen: Lass die Sandsaison! Sein Sieg in Melbourne war phänomenal. Und auch seine Siege danach in Indian Wells und Miami. Für das Tennis ist es das Beste, was passieren kann, wenn du eine Legende wie Roger hast. Rafa ist auch wieder sehr stark geworden. Dann hast du die beiden anderen, Andy Murray und Novak - dann kommen die Jungen, mit Alexander Zverev, Dominic Thiem, Nick Kyrgios. Das ist die ideale Mischung, wenn die Newcomer gegen die Legenden spielen. Besser geht's nicht. Die Jungen sind nun wirklich dabei. Das hat man mit dem Sieg von Zverev in Rom gesehen.

Trauen Sie den Jungen schon bald einen Grand-Slam-Titel zu?

Warum denn nicht? Das war in meiner Generation möglich, früh zu gewinnen. Man muss auch heute nicht erst 25 werden, um einen großen Titel zu gewinnen. Natürlich braucht man ein bisschen Erfahrung. Aber einer wie Thiem zum Beispiel ist schon ein paar Jahre dabei. Auch Sascha (Zverev) ist im zweiten Jahr sehr erfolgreich. Nick im dritten. Die haben die Meile hinter sich gebracht. Mit einer guten Form und guten Auslosung will ich das nicht mehr ausschließen.

Was trauen Sie Zverev zu? Er ist mit Abstand der Beste in seiner Altersklasse. Der Hamburger ist schon Zehnter der Weltrangliste.

Ich glaube, das kann man noch gar nicht so genau sagen, wo seine Grenze nach oben ist. Er schlägt Roger auf Rasen. Er schlägt Novak auf Sand. Er schlägt Stan nach dessen US-Open-Sieg. Er gewinnt zwei Turniere in der Halle. Wer macht sowas? Sascha ist ein Rohdiamant. Aber einer, der noch geschliffen werden muss. Er hat noch ein paar Schwächen.

Zverev sagte kürzlich in München, sein Vater Alexander senior, der ihn von Kindheit an trainierte, werde immer sein Trainer bleiben. Aber er könne sich vorstellen, einen Experten von außen mal dazu zu holen. Käme für Sie so eine Konstellation theoretisch in Frage oder würden Sie doch gerne lieber alleine der Ratgeber sein?

Ganz allgemein denke ich: Heutzutage ist alles Teamleistung. Es macht eh keiner mehr alles alleine. Zum Fall Zverev: Zunächst mal ist sein Vater immer sein Vater. Diese Bindung schweißt zusammen. Zweitens sollte der Vater dann immer auch die nächste Person sein. Sein Vater war Davis-Cup-Spieler, er hat beide Zverevs (Bruder Mischa, 29; d.Red.) ihr ganzes Leben lang betreut, ihnen sein Tennisverständnis mitgegeben. Dass aber Sascha, um im Konzert der Großen mitzuspielen, eine Stimme hören muss irgendwann, die in diesem Konzert schon mitgespielt hat, davon bin ich überzeugt. Wer das ist, muss dann Sascha mit seinem Vater und Bruder entscheiden. Dass das dann irgendwann der Fall sein muss, davon bin ich überzeugt.

Als Sie bei der deutschen Davis-Cup-Niederlage in Frankfurt gegen Belgien vorbeischauten, gab es auch gleich wieder Debatten. Becker könnte doch beim DTB-Team eine Rolle übernehmen, wurde spekuliert. Können Sie sich das noch mal vorstellen, eine deutsche Mannschaft zu betreuen - oder ziehen Sie doch die tägliche Arbeit auf der Tour vor?

Ich war ja schon mal Davis-Cup-Kapitän. Aus jetziger Sicht würde ich sagen: Das ist für mich nicht so reizvoll. Er findet auch nur zwei-, dreimal im Jahr statt. Das ganze Organisatorische, auch schon eine Woche früher anreisen - das will ich nicht mehr machen. Wir haben da mit Teamchef Michael Kohlmann und Sportdirektor Claus Eberhard auch die richtigen Leute. Dafür brauchen sie Becker nicht. Aber dabei zu sein, der Mannschaft zu helfen, mit guten Ratschlägen hoffentlich - das kann ich mir vorstellen. Dazuzukommen, gegen Portugal (Abstiegsmatch im September in Lissabon; d.Red.), mal bei einem Teamgespräch dabei zu sein - ja, diese Rolle kann ich mir vorstellen.

Was ist nach drei Jahren als Trainer jetzt das Schönste für Sie?

Vielleicht merken Sie das ja auch. Ich kann ein bisschen entspannter zu den Turnieren fahren. Was nicht heißt, dass meine Aufgabe jetzt leichter wäre. Es ist eine andere Aufgabe. Ich kann mehr Matches schauen. Ich habe mehr Gesamtüberblick. Mit nur einem Spieler ist man sehr fokussiert auf ihn. Ich kann mir jetzt auch mehr Damen-Matches ansehen. Wenn ich morgens auf die Anlage fahre, dann mit einem Lächeln. Nicht, dass ich vorher nicht gelächelt hätte. Aber der Plan war klar: gewinnen! Und das ist Druck, das ist anstrengend. Abends habe ich zwar schon gerne gelächelt, aber ich muss zugeben: Am Morgen habe ich schon mal etwas verknistert geguckt (lacht herzlich).

Sie müssen eben nicht mehr in der Box sitzen und Ihr grandioses Pokerface machen.

Das ist richtig. Der Spieler dort unten braucht, wenn er hochschaut, eine Insel der Ruhe. Und im richtigen Zeitpunkt die richtige Emotion. Da muss man ganz genau jeden Punkt verfolgen. Und den Spieler verfolgen: Wie ist er drauf? Mal was sagen oder klatschen oder aufstehen. Als Spieler war es oft schwer, die Gefühle im Zaum zu behalten. Und als Trainer ist es das auch. Aber das Alter hilft ein bisschen. Wie Sie wissen, pokere ich ja. Wenn die jungen Spieler am Tisch sitzen, tragen sie gerne Sonnenbrillen, Mützen und diese Hoodies. Die älteren Spieler brauchen das nicht. Weil wir keine Angst vor den anderen haben.

Und jetzt können Sie tatsächlich das erste Mal wieder offen zu allen sein. Man hat Sie viel lächeln sehen, auch bei einem intensiven Gespräch mit Djokovic.

Ich habe kein Lager. Ich muss nicht sagen, ich habe diese Mannschaft oder diesen Spieler nach bestem Wissen und Gewissen beschützen. Ich genieße den Tennissport. Ich bin auch Fan. Wenn ich Nadal sehe, flippe ich aus. Wenn ich Thiem im Training sehe, ist das einfach super. Ich kann Fan sein. Und ich kann jetzt auch das dem Gegenüber vermitteln, dass ich die wirklich mag und respektiere. Das freut die und macht mir auch mein Leben einfacher. Mir geht es hervorragend. Nur im Sommer muss ich mich nochmal einer kleinen Operation am Sprunggelenk unterziehen. Meine Hüfte aber passt. Das alles war eben der Preis meiner aktiven Karriere. Heute als Kommentator habe ich immerhin eine Gewissheit: Ich bin bis zum Finale dabei (lacht).

© SZ vom 04.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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