Vorwürfe gegen Alexander Zverev:Das große Schweigen ist Geschichte

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Ausnahmeathlet: Alexander Zverev, 24, gehört zu den Topprofis der Tenniswelt. (Foto: Mark Brown/AFP)

Nun also doch: Nach Monaten des Verharrens will die Männer-Tennistour ATP die Gewalt-Vorwürfe gegen Alexander Zverev prüfen - wie die Untersuchung aussehen soll, ist aber unklar.

Von Gerald Kleffmann, München

Alexander Zverev ist ein außergewöhnlicher Sportler. Der 24-Jährige, der aus einer russischen Tennis-Familie stammt, hat sich dank seiner Begabung und seines Ehrgeizes zu einem der Stars seines Sports entwickelt. 17 Turniere der Profitour gewann der 1,98 Meter große Athlet, darunter die ATP Finals 2018 in London, die als eine Art Weltmeisterschaft gelten. Bei den US Open 2020 fehlten ihm im Finale gegen den Österreicher Dominik Thiem nur zwei Punkte zum ersten Grand-Slam-Sieg.

Dafür erkämpfte sich Zverev, die Nummer vier der Weltrangliste, im August dieses Jahres eine andere Auszeichnung: Olympia-Gold. "Ich kann das mit nichts vergleichen", sagte Zverev in Tokio, "was Größeres kann man im Sport nicht erreichen." In seiner Geburtsstadt Hamburg trug er sich ins Goldene Buch ein, ehe er nach Monte Carlo reiste, wo er lebt. Zverev spielt in der obersten Liga - wobei zu seiner Geschichte auch gehört, dass seine Karriere seit gut einem Jahr von einem schweren Thema belastet wird.

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Es geht um Vorwürfe häuslicher Gewalt, die seine frühere russische Freundin Olga Scharipowa in zwei langen Artikeln detailliert geäußert hat. Der erste erschien am 5. November 2020 in dem Tennismagazin Racquet mit dem Titel "Olya's Story". Der zweite am 25. August 2021 auf der Internetplattform slate.com mit der Überschrift "Every Day, I Was Crying". In beiden Fällen war der Autor Ben Rothenberg, ein in der Tenniswelt bekannter Journalist, der auch für die New York Times berichtet. Nach beiden Veröffentlichungen wies Zverev die Anschuldigungen entschieden zurück.

Die Wahrheit kennen nach derzeitigem Stand mutmaßlich nur zwei Menschen

"Ich bedauere sehr, dass diese Vorwürfe gemacht wurden, und ich muss wiederholen, dass sie falsch sind", sagte er etwa im November 2020, beim Medientag in London zum Start der ATP Finals. Im vergangenen August, kurz vor den US Open 2021 und nach der Veröffentlichung des Slate-Artikels, erwiderte Zverev, die Vorwürfe beruhten "auf falschen Annahmen und Unterstellungen". Da Scharipowa von einer Klage gegen Zverev absah und betonte, nicht juristisch vorgehen zu wollen, gab es bislang keinen aktenkundigen Vorgang. Bis zu diesem Montag.

Da teilte die ATP, die Vereinigung der Profitennisspieler, mit, man werde eine interne Untersuchung bezüglich des ATP-Turniers in Schanghai 2019 durchführen, bei dem es laut Scharipowa zu einer gewalttätigen Handlung Zverevs ihr gegenüber gekommen sein soll. Der private Fall der beiden hat sich somit zu einem offiziellen Fall, zumindest auf der Tennistour, entwickelt, wobei nach wie vor mehr unklar als klar erscheint. Bislang bewegte sich die Auseinandersetzung zwischen Scharipowa und Zverev auf der Ebene Aussage gegen Aussage. Die Wahrheit kennen nach derzeitigem Stand mutmaßlich nur die zwei.

Scharipowas öffentliche Vorwürfe der physischen und psychischen Gewalt beziehen sich auch auf Besuche bei drei Tennisturnieren, bei denen sie ihren damaligen Freund Zverev während ihrer rund 13-monatigen Beziehung begleitet hatte. Die beiden kennen sich seit der Jugend, beide sind gleich alt, Scharipowa war eine gute Tennisspielerin. 2019 bei den US Open in New York und dem Laver Cup in Genf soll Zverev handgreiflich geworden sein. Bei dem Vorfall in der Schweiz hätte sie sogar einen Suizidversuch unternommen, schilderte sie im Racquet-Magazin.

Da sowohl das Major-Turnier in den USA als auch der Laver Cup, das Show-Event von Roger Federers Agentur, nicht in die Zuständigkeit der ATP fällt, konnte die Männer-Tour öffentliche Forderungen, etwas unternehmen zu müssen, vorerst ins Leere laufen lassen. Als aber im Slate-Artikel Scharipowa Vorwürfe äußerte, die sich am Rande des ATP-Masters-Series-Turniers in Schanghai ereignet haben sollen, wuchs der öffentliche Druck auf die Vereinigung. Und eines war klar: Das Thema verschwand nicht mehr. Schon gar nicht im Internet.

Viele Monate musste sich die ATP Kritik für ihr passives Verhalten anhören - jetzt reagiert sie

Wie das heute so ist, zerteilte der Fall vor allem die Fangemeinde in den Sozialen Medien in zwei Lager. Hinter dem Hashtag #IbelieveOlya versammelten sich viele User, die Scharipowa unterstützten. Zverev wurde und wird dort von vielen seiner Anhänger verteidigt. Oft stehen sich die Lager völlig unversöhnlich gegenüber, der Ton ist oft rau. Inzwischen, so dramatisch hat sich der Fall entwickelt, wirken manche offiziellen Fraktionen in der Tennisbranche schon gespalten. TV-Kommentatorin Mary Carillo etwa trat beim Laver Cup im September von ihrer Aufgabe zurück. Sie kritisierte danach in einem Podcast, dass die Vorwürfe Scharipowas nicht richtig aufgearbeitet würden und sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte, Zverev in Boston zu würdigen, solange ein solcher Fall anhängig sei.

Viele Monate musste sich die ATP Kritik für ihr passives Verhalten anhören, gerade auch im Vergleich mit anderen Sportarten, die konsequenter beim Thema häusliche Gewalt Stellung bezögen, etwa die NBA im Basketball. Zumal auch ein anderer ATP-Profi, der Georgier Nikolos Bassilaschwili, sich Gewalt-Vorwürfen ausgesetzt sieht; dessen Ex-Frau leitete, anders als Scharipowa, juristische Schritte ein. Dass die ATP nun ermittelt, begrüßte Zverev in seinem Statement vom Montag ausdrücklich. "Ich habe die ATP schon seit Monaten um eine unabhängige Untersuchung gebeten", teilte er mit. Und abermals erklärte er: "Ich weise all diese Vorwürfe kategorisch und eindeutig zurück", sie seien "verleumderisch und unwahr". ATP-Geschäftsführer Massimo Calvelli wiederum bezeichnete Scharipowas Vorwürfe als "schwerwiegend, wir haben die Verantwortung, uns damit auseinanderzusetzen". Er meinte auch: "Wir hoffen, dass unsere Untersuchung es uns ermöglichen wird, die Fakten zu ermitteln und angemessene Folgemaßnahmen zu bestimmen." Wie die Untersuchung aussehen soll und welche Maßnahmen folgen könnten, teilte Calvelli nicht mit. SZ-Anfragen zu dem Fall ließen Zverevs Manager, sein Bruder Mischa und Sergej Bubka, der auch im Team Zverev arbeitet, unbeantwortet.

Zverev, der in dieser Woche ins Masters-Series-Turnier in Indian Wells (nach einem Freilos) einsteigt, erklärte überdies, seine Anwälte hätten eine einstweilige Verfügung "gegen den Herausgeber und den Journalisten" erwirkt; womit offensichtlich Rothenbergs Berichterstattung gemeint ist. Doch diese, so Zverev, "verstoßen beide absichtlich gegen diesen Gerichtsbeschluss mit ihrer Weigerung, die Berichterstattung zurückzuziehen und auch damit, dass sie die Anschuldigungen weiterhin wiederholt in den Sozialen Medien streuen. Meine Anwälte haben weitere Schritte eingeleitet". An Unterstützung dürfte es Zverev nicht fehlen, auch aus PR-Sicht. Anfangs, als der Fall erstmals publik wurde, hatte ihn der frühere Regierungssprecher Béla Anda beraten. Nun betreut ihn die New Yorker Agentur Berk Communications. Eines ihrer Spezialgebiete laut Homepage: "Reputation Management".

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