Alexander Zverev:"Das war jetzt nicht das Schlaueste"

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Wie stehen seine Chancen bei den US Open? Alexander Zverev. (Foto: MATTHEW STOCKMAN/AFP)

Alexander Zverev räumt ein, dass seine Teilnahme an der viel kritisierten Adria-Tour ein Fehler war. Sportlich ist sein Spiel kurz vor den US Open leicht ausrechenbar.

Von Jürgen Schmieder, New York/Los Angeles

Und dann zieht Alexander Zverev seine rechte Oberlippe und seinen rechten Nasenflügel nach oben, über dem rechten Auge bildet sich eine winzige Falte. Es ist dieser fragende, suchende, flehende Gesichtsausdruck, der aus diesem so selbstbewussten jungen Mann einen Zweifler werden lässt, und sämtliche Gegner wissen mittlerweile, dass sie in Zverevs Gesicht lesen können wie in einem Buch - so wie Andre Agassi einst an der Zungenstellung die Aufschlagrichtung von Boris Becker prognostizierte. Sie wissen, dass sie nun attackieren können; wenn sie überhaupt müssen, denn sehr häufig besiegt sich Zverev einfach selbst, wenn er so dreinblickt.

Zum Beispiel bei der Partie gegen Andy Murray am Montag. Er schlug beim Stand von 5:4 im dritten Satz zum Sieg auf, bei Einstand blickte er vor dem zweiten Aufschlag hinüber zu Murray, der sich weit vorne im Feld platzierte, um anzudeuten: Sollte die Kugel mit weniger als 150 km/h übers Netz kommen, haue ich dir das Ding um die Ohren. Es folgte: ein Doppelfehler. Und gleich noch einer. 5:5. Murray brachte danach sein Aufschlagspiel durch, und was dann passierte, war eine Kurzzusammenfassung der Form von Zverev: Doppelfehler. Doppelfehler. Ass. Passierschlag Murray nach schwachem Rückhandvolley. Zweiter Aufschlag mit 140 km/h, den ihm Murray mit der Rückhand um die Ohren haute.

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Das Turnier von Cincinnati wird wegen der Coronavirus-Pandemie in New York ausgetragen, wo von kommendem Montag an auch die US Open gespielt werden. Natürlich geht es um den Turniersieg, Preisgeld und Weltranglistenpunkte. Aber Serena Williams etwa sagte, dass es ihr eher auf Matchpraxis ankomme und darauf, sich an die Bedingungen auf der Tennisanlage in Flushing Meadows zu gewöhnen. Es ist also ein Einspielen für das erste Grand-Slam-Turnier nach der Pause, Murray sagte: "Ich habe einen Pulsmesser getragen, weil ich sehen wollte, wo ich körperlich stehe. Es war schwül, und ich musste Vollgas geben - aber ich glaube, dass ich auch ein Fünfsatzmatch durchgehalten hätte."

Zverev präsentierte das Selbst, das er während der Pause gerne losgeworden wäre

Murray scheint sich bei seinem Comeback immer mehr seinem alten Selbst zu nähern: präziser Aufschlag, Konter und Improvisation, mentale Stärke durch Sich-selbst-Beschimpfen in der dritten Person. Er hat bei diesem Turnier Frances Tiafoe (USA) und Zverev besiegt und bekam im Achtelfinale gleich noch einen guten Testgegner vorgesetzt, den Kanadier Milos Raonic. Murray darf sich auf die US Open freuen. Zverev dagegen präsentierte das Selbst, das er während der Pause gerne losgeworden wäre.

Im Juni war er wegen seiner Teilnahme an der privat organisierten Adria-Tour des Weltranglistenersten Novak Djokovic kritisiert worden, in New York nahm er nun erstmals öffentlich Stellung dazu. "Das war extrem unglücklich irgendwo. Extrem unzuverlässig von uns", sagte er der Deutschen Presse-Agentur und gab sich einsichtig angesichts der weitgehend ignorierten Abstandsregeln: "Mit 5000 Kindern einen Kids Day zu machen oder vor Publikum zu spielen, war vielleicht nicht das Schlaueste."

Zverev räumte ein: "Ich habe einen Fehler gemacht mit der Adria-Tour und danach auch mit der Geburtstagsfeier." Damit meinte er eine Party in Monaco, bei der er zu sehen war, obwohl er sich Zurückhaltung hatte auferlegen wollen nach der Adria-Tour, bei der sich einige Tenniskollegen infiziert hatten. Er verwies darauf, niemanden in Gefahr gebracht zu haben, weil er in dieser Zeit siebenmal negativ auf Corona getestet worden sei: "Aber klar war das jetzt nicht das Schlaueste auf der Welt."

Das sportliche Thema bei Zverev ist derweil nicht nur sein zweiter Aufschlag, bei dem man bisweilen froh sein muss, dass derzeit keine Zuschauer zugelassen sind, die verletzt werden könnten. Von den technischen Fertigkeiten ist Zverev längst in der Weltspitze angelangt, er gehört zu den fittesten Spielern, auch mental hat er sich gewaltig verbessert. Gegen Murray holte er einen Satzrückstand auf und ließ sich auch vom frühen Break des Gegners im dritten Durchgang nicht beirren. Das wahre Problem ist, dass die Spielweise von Zverev so vorhersehbar ist wie die Handlung eines Rosamunde-Pilcher-Films und dass seine Gegner ihn mittlerweile lesen wie einen Rosamunde-Pilcher-Roman.

Murray zum Beispiel positionierte sich nicht nur beim zweiten Aufschlag anders als gegen andere Gegner (worauf Zverev oft erfolgreich mit einer riskanten schnelleren Variante reagierte), sondern auch bei Grundschlägen: Mit seiner Vorhand spielt Zverev derart häufig cross, dass Murray meist schon dort wartete. Auf Stopps reagiert Zverev fast immer mit einem kurzen Crossball, Passierschläge gehen meist die Linie entlang, der Rückhand-Volley ist ein zaghaft übers Netz geschubster Ball, bei dem er froh sein muss, wenn er die Aufschlaglinie überquert. Dem Passierschlag zum Matchball ging ein Ballwechsel voraus, den Zverev dominierte - doch Murray wusste, dass er eine Chance hatte, wenn er beim Angriff des Gegners dessen Rückhand würde anspielen können.

Zverev, 23, ist ein viel zu guter Tennisspieler mit zu vielen Möglichkeiten, als dass alles außer dem wackeligen zweiten Aufschlag gegen Durchschnittsspieler auffallen würde. Nun ist Murray, 33, zwar gerade nur die Nummer 129 der Weltrangliste, er ist aber dreimaliger Grand-Slam-Sieger und zweimaliger Olympiasieger. Angesichts der Verfassung, in der er sich in New York zeigt, muss er als Top-Ten-Spieler gewertet werden - und genau da liegt Zverevs Problem: Die Besten der Welt kennen seine Schwächen und Spielweise, sie stellen sich darauf ein, und gerade bei Partien über drei Gewinnsätze wird das zur gewaltigen Hürde: Bei sieben Versuchen hat Zverev noch nie bei einem Grand-Slam-Turnier gegen einen Spieler gewonnen, der zu dem Zeitpunkt unter den ersten zehn der Weltrangliste geführt wurde.

Bislang hat Zverev stets versucht, an seinen Schwächen zu arbeiten. Er hat durch die Zusammenarbeit mit Fitnesscoach Jez Green (der davor Murray trainiert hatte) seinen schlaksigen Körper zu einer Fünf-Satz-Maschine gestählt, er ist mental stärker geworden, vielleicht arbeitet er sogar zu viel am zweiten Aufschlag. Den prügelt er bisweilen mit 210 km/h übers Netz, ansonsten aber fehlen ihm die Variationen für verblüffende Aktionen.

Es liegt nun am neuen Trainer David Ferrer, der ein komplett anderer Spielertyp als Zverev gewesen ist und seine aktive Karriere erst im vergangenen Jahr beendet hat, diese Variationen einzuführen und ihm zu zeigen, dass es mehrere Wege gibt, eine Partie zu gewinnen. "Er übertrifft jede Erwartung, die ich als Trainer an ihn hatte", sagt Zverev: "Wir kommen wunderbar miteinander zurecht, ich freue mich darauf, was wir künftig erreichen können." Nur: Bei den Turnieren in den USA ist Ferrer nicht dabei, er bleibt in Europa. Womöglich hat Zverev im Moment, als er davon erfahren hat, so geguckt wie nach den Doppelfehlern im dritten Satz gegen Murray.

© SZ vom 26.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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