Tennis: Wimbledon:Zeitlose Klasse

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Das Wimbledon-Halbfinale zwischen Roger Federer und Tommy Haas ist auch der Vergleich eines Früh- und eines Spätgereiften.

René Hofmann

Es sieht so aus, als sei es noch gar nicht so lange her. In Wimbledon werden gerade gerne Bilder von Roger Federers erstem Sieg dort gedruckt. Eines zeigt den Schweizer am Morgen nach dem Champions Dinner. Entspannt sitzt er im Garten des gemieteten Hauses, vor ihm steht die Trophäe, neben ihm lächelt seine Freundin Mirka. Kleine Pausbacken hatte Roger Federer damals noch. Und lange Haare. Sechs Jahre ist das her. Aus der Freundin ist seine Frau geworden. Die beiden erwarten ihr erstes Kind. Roger Federer wird bald Vater sein und der Tennisspieler mit den meisten Grand-Slam-Trophäen. Am Sonntag kann er zum sechsten Mal in Wimbledon triumphieren. Es wäre sein 15. bedeutender Titel. Wie er sich fühlt? "Mirka ist entspannt. Das hilft mir. Ich fühle mich gut", sagt Roger Federer.

Zum Fürchten: Noch nie hat Haas mit seinen Aufschlägen so viel Schrecken verbreitet wie derzeit in Wimbledon. (Foto: Foto: AFP)

Tennis ist ein Sport, bei dem die Zeit keine Rolle spielt. Das Match beginnt, wenn der Schiedsrichter "Time!" ruft. Danach aber ist die Uhr egal. Es gibt kein Limit. Das Duell ist zu Ende, wenn einer das entscheidende Spiel im entscheidenden Satz gewonnen hat. Dann ruft der Schiedsrichter "Game! Set! Match!" und nennt den Namen des Siegers. Tennis ist ein schönes Spiel. Es ist auch so schön, weil es so reduziert ist. Fünfmal haben die Schiedsrichter in den vergangenen elf Tagen Roger Federer in Wimbledon als Sieger ausgerufen. Fünfmal haben sie am Ende auch "Tommy Haas" gesagt.

An diesem Freitag treffen die beiden aufeinander, und die Begegnung wird mehr sein als ein Halbfinale. Die beiden kennen sich lange und gut. Es wird ein Treffen zweier alter Bekannter sein, zweier Freunde. "Ich freue mich darauf", sagt Federer, "ich finde es immer schön, wenn einer nach einer Verletzung wieder zurückkommt und gut spielt."

In weißer Weste

Federer ist erst 27. Aber die Erfolge haben ihn schnell reifen lassen. Schon länger tritt er als Elder Statesman der Tennistour auf. Im vergangenen Jahr hat er in Wimbledon den Platz in einer Strickjacke betreten. In diesem Jahr kommt er in einer weißen Weste, die an die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts erinnert. Die Mode soll seine zeitlose Klasse unterstreichen.

Seit seinem ersten Coup hat er jedes Mal das Finale erreicht. Nur einmal hat er es verloren - im vergangenen Jahr in fünf epischen Sätzen gegen Rafael Nadal. Die Uhrenfirma Rolex wirbt derzeit mit einem Schwarz-weiß-Foto, das Federer beim Aufschlag zeigt. Der Claim dazu: "Das Schicksal lässt sich manchmal hinauszögern, aber es lässt sich niemals aufhalten."

Rafael Nadal ist fünf Jahre jünger als Federer, Tommy Haas ist vier Jahre älter. Im April wurde er 31. Björn Borg hatte der Tennistour in dem Alter schon fünf Jahre den Rücken gekehrt, Boris Becker war vom ersten Rücktritt schon wieder zurückgetreten. Haas könnte auch viel über das Schicksal erzählen, gerade in Wimbledon. 2002 verpasste er das Turnier, weil seine Eltern einen schweren Verkehrsunfall hatten. 2005 trat Haas beim Einschlagen auf einen Ball, dehnte sich die Bänder und musste seine Erstrunden-Begegnung aufgeben. 1999 war er dem australischen Aufschlagwunder Wayne Arthurs 6:7, 6:7, 6:7 unterlegen. Das Schicksal kennt viele Abstufungen, aber Haas möchte darüber nicht lange reden. "Was vorbei ist, ist vorbei", sagt er, "ich schaue lieber nach vorne."

Einhändig zum Erfolg

Dreimal wurde er an der Schulter operiert. Dreimal hat er sich anschließend durch die Reha gemüht und wieder in die Weltspitze gekämpft. Die Leistung ist einmalig, und nur wenige hätten sie Haas zugetraut. Bei ihm hatte es lange so ausgesehen, als würde ihm alles leicht fallen. Mit 13 in die Tennisakademie von Nick Bollettieri, mit 18 Profi, mit 24 die Nummer zwei der Welt - Haas erntete den Erfolg so, wie er die Vorhand und die Rückhand spielt: schnell, einhändig. Federer spielt genauso. Aber ihn bremste noch nie eine schwere Verletzung. Seit neun Jahren hat er kein Grand-Slam-Turnier mehr verpasst, dabei erreichte er 21 Mal nacheinander mindestens das Halbfinale. Auch das ist ein Rekord.

"Man kann alles im Leben aus zwei Perspektiven betrachten", sagt Haas dazu: "Manche Körper halten ein wenig besser als andere. Manche Menschen sind sehr früh sehr reif und umgeben sich mit den richtigen Leuten. Ich hatte in meiner Karriere einige Male Pech, aber ich hatte auch viel Glück. Im großen und ganzen kann ich mich nicht beschweren. Ich mache, was ich liebe und habe damit einiges erreicht."

Seit einigen Wochen hat er wieder Thomas Högstedt als Trainer zur Seite und den Physiotherapeuten Alex Stober. Eine Stunde vor jedem Match beginnt der, Haas' Schulter systematisch aufzuwärmen. An den freien Tagen sollen gleichmäßige Übungen die Narben lösen, die sich in den Muskeln gebildet haben, und die Stränge kräftigen. "Dafür ist es nie zu spät", sagt Stober, "wir arbeiten schließlich mit lebendiger Materie."

"Tenniskarrieren sind kurz"

Das Resultat ist beeindruckend. Noch nie hat Haas mit seinen Aufschlägen so viel Schrecken verbreitet wie gerade in Wimbledon, noch nie ist er ähnlich oft ähnlich unerschrocken in die Offensive gestürmt. Hätte er früher schon so gespielt, hätte er sicher mehr Turniere gewonnen als die zwölf, bei denen er heute als Bester geführt wird. Warum er immer wieder zurückgekommen ist? "Tenniskarrieren sind kurz", sagt Haas, "mit 33, 34, 35 ist es vorbei. Dann hat man noch ein ganzes Leben vor sich. Ich möchte dann zurückblicken und sagen können: Ich habe das, was ich am liebsten gemacht habe, so gut und so lange wie möglich gemacht." Roger Federer treibt offenbar Ähnliches an. Sein Traum: Sein Kind soll ihn eines Tages noch spielen sehen. Am liebsten vermutlich auf dem Centre Court in Wimbledon.

© SZ vom 03.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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