Tennis-Politikum:Winziges Turnier, großer Wirbel 

Lesezeit: 4 min

Bezieht immer wieder Stellung gegen den Angriffskrieg Russlands: die ukrainische Tennisspielerin Marta Kostjuk, 21. (Foto: Christophe Ena/dpa)

Bei einem Tennis-Event in Frankreich tritt die Ukrainerin Marta Kostjuk nicht zu einem Match gegen eine Russin an, angeblich aus Sicherheitsgründen - danach kommt es zu einem seltenen Duell der Geschlechter.

Von Gerald Kleffmann

Es waren Bilder, die um die Tenniswelt gingen, Anfang März dieses Jahres. Beim Turnier der Frauentour in Austin, Texas, trafen im Endspiel Marta Kostjuk und Warwara Gratschewa aufeinander. Dieses Duell war insofern brisant, weil Kostjuk aus der Ukraine stammt und Gratschewa zum damaligen Zeitpunkt noch für Russland antrat; sie ist in Moskau geboren. Mit 6:3, 7:5 setzte sich Kostjuk durch, es war ihr erster Turniererfolg auf WTA-Ebene, der höchsten im Tennis. Erst sank sie zu Boden, sie schien Tränen zu vergießen, wie die Fernsehbilder einfingen. Es war ein Moment, wie er oft genug vorkommt in diesem Einzelsport.

Dann jedoch folgte das Ungewöhnliche: kein Handschlag am Netz, kein gemeinsames Foto. Stattdessen: eine Bekundung Kostjuks, die unterstrich, wie sehr diese Spielerin sich auch in einem anderen, höheren Kampf befand. "Ich möchte", sagte sie, "diesen Titel der Ukraine und all den Menschen widmen, die momentan kämpfen und sterben."

French Open
:"Die Leute sollten sich aufrichtig schämen"

Die Ukrainerin Marta Kostjuk wird nach ihrer Niederlage gegen die Belarussin Aryna Sabalenka nach einem verweigerten Handschlag ausgebuht - und plötzlich geht es sofort um den Krieg und die Frage, wie die Tenniswelt damit umgeht.

Von Gerald Kleffmann

Spätestens seit diesem Auftritt wusste die Branche, dass die inzwischen 21 Jahre alte Kostjuk aus Kiew es versteht, Plattformen zu nutzen, um ihre Botschaften zu entsenden. Und sie ist eine mutige Frau, die sich nicht in die vermeintlich heile Blase der Branche zurückzieht und Scheuklappen aufsetzt, sondern Stellung bezieht - und den russischen Angriffskrieg scharf anprangert. Sie ließ auch seitdem nicht nach in ihren Protestbemühungen.

In Paris wurde Marta Kostjuk ausgebuht

Ende Mai, nur zweieinhalb Monate später, lehnte sie auf der größtmöglichen Bühne, auf dem Court Philippe-Chatrier bei den French Open in Paris, nach ihrer Niederlage gegen die Weltranglistenzweite Aryna Sabalenka einen Handschlag ab. Sabalenka kommt aus Belarus, dem Land, das Russlands Krieg gegen die Ukraine unterstützt. Diese Aktion sorgte seinerzeit für Turbulenzen, da viele französische Zuschauer offensichtlich nicht wussten, dass die ukrainischen Spielerinnen aus Protest Gegnerinnen aus den beiden kriegstreibenden Ländern nun mal nicht die Hand reichen - sie pfiffen und buhten die vermeintlich unhöfliche Kostjuk aus. Diese zeigte sich aber unerschütterlich und forderte daraufhin Sabalenka auf, als prominente Person endlich ein Zeichen gegen die Aggressoren zu setzen.

Auch jetzt, mehr als ein halbes Jahr später, hat Kostjuk ihren Kurs nicht geändert. Sie ist sicherlich keine gewöhnliche Spielerin, ein Match-Verzicht ihrerseits hat jetzt deshalb auch dafür gesorgt, dass ein unbedeutendes, winziges Einladungsturnier in Frankreich zu einem Politikum wurde, gleich in zweifacher Hinsicht.

Tennisprofi Novak Djokovic
:Gerne der Bösewicht

Novak Djokovic spricht in einem bemerkenswerten Fernsehinterview über seine Rolle in der Weltspitze, einschüchternde Sprints von Rafael Nadal und seine mentalen Vorteile durch Gegnerspionage.

Von Gerald Kleffmann

Eigentlich ist zurzeit die sogenannte spielfreie Zeit im Profitennis, aber längst, so ist die Entwicklung, wird immer irgendwo trotzdem gespielt, und seien es eben Schaukämpfe. Wie soeben in dem kleinen Ort Bourg-de-Péage im Département Drôme, in dem sich einige passable Tennisspielerinnen miteinander messen sollten. Doch plötzlich wurde es, aufgrund einer Verkettung von Begebenheiten, kompliziert.

Kostjuk kam ins Spiel, nachdem die Kroatin Donna Vekic wegen Schulterbeschwerden nicht zum Finale antreten konnte - die Ukrainerin sprang ein, zumindest war dies der Plan. Zuerst musste noch die Endspielgegnerin ermittelt werden. Diese hätte, auf schicksalhafte Weise, die ihr bestens vertraute Gratschewa sein können - ein Duell mit ihr wäre diesmal weniger ein Problem gewesen. Die 23-Jährige hat sich im Juni von Russland losgesagt und startet seitdem unter französischer Flagge. Jedoch: Gratschewa verlor im Halbfinale gegen Mirra Andrejewa.

Der Franzose Yanis Ghazouani Durand tritt zum Endspiel an - er ist die Nummer 1145 der Weltrangliste

Die 16-jährige Andrejewa gilt als eines der größten Talente im Frauentennis, in Wimbledon hatte sie im Sommer das Achtelfinale erreicht. Aber sie ist eben auch Russin, und daher ging Kostjuk, so sah es aus, einen Schritt weiter als sonst - und zog ihre Teilnahme am Finale kurzerhand zurück. Sie selbst wollte sich vorerst nicht äußern, hieß es. Angeblich habe Kostjuks Rückzug auch an Drohungen gelegen, die sie in Sozialen Medien erhalten habe, berichtete das italienische Onlinemedium Ubitennis.

So oder so führte der Fall der Tennisszene mal wieder vor Augen, dass auf der Tour angesichts des Krieges nicht von einer Normalisierung die Rede sein kann. Auch wenn manche Sportfunktionäre es gerne anders sehen wollen. Der Rückzug Kostjuks hat keine sportlichen Folgen für sie, Weltranglistenpunkte gab es nicht. Der Veranstalter reagierte zunächst mit einer Erklärung vor dem Endspiel und teilte mit: "Aus Gründen, die außerhalb unseres Willens liegen, und angesichts des geopolitischen Kontexts in der Ukraine wird Marta Kostjuk nicht in der Lage sein, am Finale der sechsten Auflage der Negometal Open teilzunehmen", hieß es, und weiter: "Wir haben unser Bestes getan, um unser Netzwerk an Profispielern zu aktivieren, aber die Zeit ist leider zu knapp, um einen Ersatz zu finden."

Dieser wurde schließlich doch aufgetrieben, allerdings fand man keine Frau. Der 23 Jahre alte französische Profi Yanis Ghazouani Durand trat zum Endspiel gegen Andrejewa an, und unversehens ging dieses Showevent somit, auf andere Weise, abermals in die Geschichte ein. Denn Duelle zwischen beiden Geschlechtern kommen selten vor, jedenfalls offizielle. 1973 traten Margaret Court und Bobby Riggs gegeneinander an, der 55-Jährige besiegte damals die 30-Jährige mit 6:2, 6:1. Im selben Jahr kam es noch mal zu einem Match, das wieder als "Battle of Sexes" verkauft wurde, diesmal zwischen Riggs und Billie Jean King, 29. King siegte 6:4, 6:3, 6:3.

Tenniskennern bekannt sind bis heute auch zwei legendäre Trainingssätze, die Karsten Braasch, ein Linkshänder mit unorthodoxem Spielstil (und Hang zu Zigaretten), 1998 in Melbourne absolvierte. Der damals 31-jährige Deutsche aus Marl gewann zuerst 6:1 gegen Serena Williams und dann 6:2 gegen deren Schwester Venus, wobei Serena erst 16 Jahre alt war und Venus 17; beide standen am Anfang ihrer einzigartigen Karrieren.

Dass Männer aufgrund ihrer Physis schlicht im Vorteil sind, belegte nun auch das Finale von Bourg-de-Péage, das Ghazouani Durand - aktuell 1146. der Einzelweltrangliste - gewann. Er besiegte Andrejewa, 57. im Frauen-Ranking, mit 7:5, 6:2.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Athleten aus Russland und Belarus
:Schwierige Koexistenz

Wie realistisch ist ein friedliches Auskommen zwischen ukrainischen Sportlern und Athleten aus den Aggressorländern? Im Tennis zeigt sich, dass es nur schwer möglich ist.

Von Barbara Klimke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: