Tennisprofi Novak Djokovic:Gerne der Bösewicht

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Pfeift mich doch aus! Novak Djokovic hat gelernt, mit Antipathien umzugehen - sie motivieren ihn nur noch mehr. (Foto: Lluis Gene/AFP)

Novak Djokovic spricht in einem bemerkenswerten Fernsehinterview über seine Rolle in der Weltspitze, einschüchternde Sprints von Rafael Nadal und seine mentalen Vorteile durch Gegnerspionage.

Von Gerald Kleffmann

Für großes Fernsehen braucht es manchmal nicht viel, das hat schon vor mehr als 50 Jahren der TV-Produzent Don Hewitt gewusst. Zwei Stühle, zwei Menschen, der eine fragt, der andere antwortet, das kann reichen für spannende Dialoge und ist wohl auch der Grund, warum es heute noch "60 Minutes" beim amerikanischen Sender CBS gibt. Hewitt, der 2009 verstorbene Erfinder dieses Formats, hätte in jedem Fall seine Freude am jüngsten Interview gehabt, das nun in den USA ausgestrahlt wurde und sich diesmal einem Protagonisten des Tennissports näherte.

Der Reporter Jon Wertheim saß auf dem einen Stuhl, auf dem anderen Novak Djokovic, der erfolgreichste männliche Tennisspieler. 24 Grand-Slam-Titel gewann der 36-Jährige aus Belgrad bislang, Dutzende Rekorde hält er dazu. Und Wertheim schaffte nun etwas, das nicht vielen gelingt: Er stieß tief vor in die Gedankenwelt eines der dominierenden Sportler unserer Zeit - Djokovic, als Ausnahmeerscheinung und Phänomen, aber auch als Mysterium beschrieben, erklärte anschaulich, wie er funktioniert.

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Djokovic hatte ja generell das Los, in jener Ära aufzutauchen, in der es bereits zwei absurd vergötterte Tennisprofis gab, den Schweizer Roger Federer und den Spanier Rafael Nadal. Als er schließlich 2022 - weil er eine Impfung gegen das Coronavirus ablehnte - im letzten Moment die Australian Open quasi per Gerichtsbeschluss in Melbourne verpasste, zementierte sich seine ewige Rolle des ungeliebten Dritten vollends, wie er noch im Rückblick sagt: "Ich wurde im Grunde zum Bösewicht der Welt erklärt."

"Die meiste Zeit meiner Karriere erlebte ich überwiegend feindselige Umgebungen", sagt Djokovic

Das, was Djokovic auszeichnet, ist der Wille, Widerstände zu überwinden. "Der Druck und Stress ist viel höher, wenn man das Publikum gegen sich hat. Die meiste Zeit meiner Karriere erlebte ich überwiegend feindselige Umgebungen", gab er zu. "Ich habe irgendwie gelernt, in dieser Umgebung erfolgreich zu sein. Die Leute denken, dass es tatsächlich besser ist, wenn sie mich nicht mögen, also holt es im Hinblick auf Tennis das Beste aus mir heraus." Australien wirft ihn aus dem Land? Dann kommt er ein Jahr später zurück und siegt! Dann ist er gerne der Bösewicht.

In der großartigen Netflix-Serie "The Last Dance" sagte Michael Jordan, für viele der beste Basketballer der Geschichte, einen legendären Satz. "I took it personally", er nahm's also persönlich, etwa die Versuche anderer, ihn zu stoppen. Djokovic ist wie Jordan gestrickt. Im vergangenen Frühsommer verlor er ein bedeutsames Finale gegen den jungen Carlos Alcaraz aus Spanien, das größte Talent der heutigen Generation, "er ist der kompletteste Spieler, den ich seit Ewigkeiten gesehen habe", schwärmte Djokovic jetzt. Dann verriet er umgehend: "Die Niederlage in Wimbledon hat mich so angepisst, dass ich auf amerikanischem Boden alles gewinnen musste, was mir auch gelang." Sowohl bei den US Open als auch bei den ATP-Finals triumphierte er. "Es ist eine großartige Gelegenheit für mich, mich neu zu erfinden und noch mehr zu pushen als je zuvor." Er nahm Alcaraz absolut persönlich.

Das Interview mit Wertheim machte auch klar, wie sehr Djokovic alles aufsaugt, verarbeitet und somit ein Getriebener seiner selbst ist. Die Rivalität zu Nadal etwa ist nicht konstruiert. Sie ist ein Motor für Djokovic. So erinnerte er sich an frühe Begegnungen mit dem Mallorquiner, die wie Stachel saßen: "In der Umkleidekabine macht er Sprints neben dir. Ich kann sogar die Musik hören, die er über seine Kopfhörer hört. Es geht mir auf die Nerven. (...) Zu Beginn meiner Karriere war mir nicht klar, dass das alles Teil des Drehbuchs ist. Das schüchterte mich ein. Aber es motiviert mich auch, Dinge selbst zu tun und zu zeigen, dass ich bereit bin, verstehen Sie? Ich bin bereit für eine Schlacht, für einen Krieg." Das erklärt wohl auch seine Körpersprache auf dem Platz, die provozierend wirken kann. Er spielt keine Matches. Er wähnt sich in Kämpfen.

"Was die größten Champions ausmacht, ist die Fähigkeit, nicht zu lange in diesen Emotionen zu verharren."

Dass er viele Siege errang, weil er schlicht mental stärker war, weiß Djokovic, aber diese Gabe sei "kein Geschenk", betonte er, "sie kommt mit Arbeit". Wie ein Spion beobachte er Gegner. Er schaue ihnen in die Augen oder sieht sich an, wie sie sich verhalten: "Wie trinkt er Wasser? Schwitzt er mehr als sonst? Atmet er tief oder nicht tief? Und dann schaue ich, wie er mit seinem Team kommuniziert. Es sind all diese verschiedenen Elemente im Spiel, die sich wirklich auf die Leistung und das Spiel auswirken." Kein Aspekt erscheint ihm unwichtig, solange er einen Vorteil erlangt.

Djokovic erklärte auch seine Ausbrüche in manchen Partien. Er lasse sie bewusst zu, denn: "Ich mag diese Art von Denkweise nicht, die ich im Sport oft sehe: einfach positiv denken, optimistisch sein, es gibt keinen Platz für Misserfolge und Zweifel ... du bist ein Mensch." Der größte Kampf jedes Tennisspielers finde für ihn ohnehin im Inneren statt. Nur gelte es dann, sofort wieder das Vergangene abzuschütteln. "Was die größten Champions ausmacht, ist die Fähigkeit, nicht zu lange in diesen Emotionen zu verharren."

Inzwischen ist Djokovic wieder auf dem Tennisplatz aktiv. In Spanien trainiert er dieser Tage und bereitet sich bereits auf die Australian Open im Januar vor. Nadal kehrt nach langer Verletzungspause zurück. Schon vor der CBS-Sendung hatte Djokovic betont: Auf ein großes, letztes Match gegen seinen größten Rivalen hofft er noch, ehe Nadal seine Karriere bald beendet. Dessen Sprints in der Umkleide hat Djokovic nicht vergessen.

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