French Open:"Die Leute sollten sich aufrichtig schämen"

French Open: Eine Geste, die auch Fragen aufwarf: Aryna Sabalenka macht nach ihrem Sieg gegen Marta Kostjuk eine bogenhafte Bewegung mit dem Arm.

Eine Geste, die auch Fragen aufwarf: Aryna Sabalenka macht nach ihrem Sieg gegen Marta Kostjuk eine bogenhafte Bewegung mit dem Arm.

(Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Die Ukrainerin Marta Kostjuk wird nach ihrer Niederlage gegen die Belarussin Aryna Sabalenka nach einem verweigerten Handschlag ausgebuht - und plötzlich geht es sofort um den Krieg und die Frage, wie die Tenniswelt damit umgeht.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Es war klar, dass es ein emotionales Match werden würde an diesem Sonntag ab 11 Uhr im Westen von Paris. Auf der einen Seite stand Aryna Sabalenka, die Belarussin, auf der anderen Seite Marta Kostjuk, die Ukrainerin. Kostjuk gehört zu einer Gruppe von Spielerinnen aus ihrem Land, die immer und immer wieder den Kriegs-Aggressor Russland und Belarus verurteilen und auf der Tennistour unermüdlich für mehr Verständnis und Unterstützung für ukrainische Profis kämpfen. Natürlich, da musste man kein Prophet sein, würde es bei diesem Duell am Ende keinen Handschlag am Netz geben, wie es seitens ukrainischer Profis, wenn sie auf Gegner aus Russland und Belarus treffen, Alltag geworden ist. Aber dann wurde das Ende ein ganz anderes, mit einer bitteren Note für Kostjuk.

Anfangs hielt die 20-Jährige aus Kiew, die Nummer 28 der Weltrangliste, in dieser ersten Partie der French Open auf dem Court Philippe-Chatrier mit, sie führte gar 3:2 mit einem Break. Aber gegen die knallharten Schläge der aktuellen Australian-Open-Siegerin war sie auf Dauer machtlos. Sie verlor 3:6, 2:6, ging nachdem Matchball wenig überraschend direkt zur Schiedsrichterin und schüttelte deren Hand. So hätte alles enden können.

Aber das tat es nicht. Plötzlich buhten Zuschauer. Die abfälligen Rufe waren gegen Kostjuk gerichtet.

French Open: Hielt eine bemerkenswerte Pressekonferenz: Marta Kostjuk aus der Ukraine.

Hielt eine bemerkenswerte Pressekonferenz: Marta Kostjuk aus der Ukraine.

(Foto: Christophe Ena/dpa)

Später, auf ihrer Pressekonferenz, versuchte Sabalenka, durchaus deeskalierend die Ereignisse zu schildern. "Niemand in der Welt, russische Athleten und belarussische Athleten, unterstützt den Krieg", sagte Sabalenka, hörbar angefasst in der Stimme. "Warum müssen wir laut werden und diese Dinge sagen - es ist wie Eins und Eins Zwei ergibt." Und nein, ihre Gegnerin hätte diesen Abtritt nicht verdient gehabt, sagte sie ganz am Schluss, ein wenig zaghaft und erst auf explizite Nachfrage, aber sie sagte diesen Satz tatsächlich.

Die 25-Jährige aus Minsk, die beim wichtigsten Sandplatzturnier erstmals zur Nummer eins aufsteigen könnte, meinte weiter, alle wüssten, dass die ukrainischen Profis keinen Handschlag geben. Sie verstünde sie und führte diese Nicht-Aktion darauf zurück, dass die ukrainischen Sportler sonst zu Hause Probleme kriegen würden. Doch, so ihre Vermutung, das Publikum wüsste das in Paris nicht, dass diese Handschlag-Verweigerung seitens der ukrainischen Profis inzwischen etabliert ist auf der Tour. Zuschauer hätten deshalb Kostjuks gestenlose Verabschiedung als unsportliche Aktion empfunden.

Sabalenka lachte, als sie erfuhr, dass nicht sie ausgebuht wurde

Zur Verwirrung und Aufgeregtheit nach dem Match trug freilich bei, dass Sabalenka noch auf dem Platz eine Jubelgeste vollführt hatte, die sehr missverständlich war. Sie machte mit der Hand eine bogenhafte Bewegung, als sei sie Sängerin in einer Oper. Ihre Erklärung dazu war, dass sie zunächst dachte, sie sei die Ausgebuhte gewesen. Und so reagierte sie mit dieser Geste in Richtung Publikum. Als sie aber von ihrer Betreuerbox erfuhr, dass Kostjuk die Verhöhnte gewesen war, fand sie das so erleichternd, dass sie sich beim Publikum in ersten Interviews auf dem Platz für die Unterstützung bedankte. Sie lachte dabei, sie fand das alles im ersten Moment eher amüsant. Vielleicht aber darf man auch nicht zu streng sein mit Sabalenka. Es bedarf bei ihr schon recht wenig des Anlasses, um sie zu erheitern. Sie ist eine, wie man sagt, Frohnatur.

Kostjuk beurteilte diese Minuten des Nachklapps indes wenig überraschend völlig anders, und sie fand wenig Positives an der Reaktion des Publikums noch wollte sie Sabalenka mit ihren eher allgemein wohlklingenden Worten so davonkommen lassen. In einer 20-minütigen Pressekonferenz erklärte sie gefasst ihre Sicht. Zum Publikum wollte sie nichts sagen, aber tat es dann indirekt doch, als sie meinte: "Ich will Leute in zehn Jahren sehen, wie sie darauf reagieren, wenn der Krieg vorbei ist. Ich denke, sie werden sich nicht wirklich gut fühlen wegen dem, was sie machten." Sie sagte schließlich konkret, und man spürte, wie aufgewühlt sie war: "Die Leute sollten sich aufrichtig schämen. Aber das ist nicht meine Entscheidung." Ihre Hand werde sie auch in Zukunft nicht Gegnerinnen aus Russland und Belarus entgegenstrecken: "Ich habe gesagt, dass ich es nicht mache, und verstehe nicht, warum die Leute denken, ich würde plötzlich meine Sicht ändern."

Die Journalisten im vollen Presseraum 2 forderte sie auf, ihre Fragestellungen zu ändern, sich nicht mit allgemeingültigen Sätzen zufrieden zu geben. Man solle Sabalenka persönlich fragen, wen sie sich als Sieger in dem Krieg wünsche. Sie kenne jedenfalls Spielerinnen, die eindeutig für den Krieg seien, was impliziert: Diese stünden auf Seiten Russlands und Belarus.

Kostjuk erfuhr morgens um fünf Uhr von den 54 Drohnen-Attacken auf Kiew

Beklemmend war die Atmosphäre, als Kostjuk davon erzählte, wie sie die neuesten Attacken Russlands erfuhr. In der Nacht auf Sonntag war ihre Heimatstadt Kiew mit 54 Drohnen attackiert worden. Kostjuk versuche, nachts immer das Handy auszumachen, der Krieg sei längst Teil ihres Lebens. Doch um fünf Uhr morgens habe sie gesehen, dass ständig Nachrichten einliefen. Da wusste sie, es ist wieder etwas Schlimmes passiert. Mit solchen Neuigkeiten im Kopf bestritt Kostjuk dieses Match.

Auch der Schilderung Sabalenkas, sie könne ja nichts machen, um den Krieg zu beenden, entgegnete Kostjuk mit einer nachdrücklich formulierten Anregung. "Sie wird vielleicht hier die Nummer eins der Welt, in einer der bekanntesten Sportarten der Welt", sagte sie. Sabalenka habe Zugänge zu großen Reichweiten, sie werde gehört, über Medien wie die New York Times und CNN, über soziale Medien. Überall könne jemand, der Wert darauf legt, über diese Wege und Kanäle Position beziehen. "Nur indem sie etwas ausspricht, kann sie schon eine Botschaft senden."

Die French Open, das stand nach diesem Match und zwei außergewöhnlichen Pressekonferenzen fest, sind wahrlich nicht so gestartet, dass man von einem fröhlichen Auftakt sprechen könnte. In Wimbledon, das war nicht als Spitze gemeint, aber klang fast so, erwarte Kostjuk jedenfalls keine Buhrufe. Sabalenka meinte noch, und vielleicht war es auch mehr als frommer Wunsch formuliert, dass man Sport und Politik nicht mischen sollte. Aber die Ereignisse rund um ihren Sieg haben gezeigt: Die Wirklichkeit da draußen holt die Tenniswelt, die sich gerne als heile Welt präsentiert, immer wieder ein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: