Tennis:Kerber besiegt bei den Australian Open alle Zweifel

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Angelique Kerber konnte es irgendwie kaum glauben: Sie steht im Halbfinale. (Foto: dpa)
  • Das gab es seit 18 Jahren nicht mehr: Erstmals seit den Tagen von Anke Huber erreicht wieder eine Deutsche das Halbfinale in Down Under.
  • Angelique Kerbers Erfolg gegen Favoritin Asarenka erzählt viele Geschichten.
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Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Schweiß perlte auf der Stirn, das Gesicht glänzte leicht gerötet, aber das war nicht verwunderlich, nach der Anstrengung gerade. Torben Beltz, 39, der nicht der Kleinste ist, fläzte auf einem Stuhl im "Players Restaurant". Ruhig wirkte er. Er wusste ja: "Angie ist gut drauf. Sie hat sich einiges vorgenommen. Ein paar Dinge wird sie anders machen."

Dieser Moment fand eine Stunde vor Beginn des Viertelfinalspiels von Angelique Kerber statt. Die beste deutsche Spielerin, seine Spielerin, hatte sich mit ihm eingespielt. "Wir gehen gut vorbereitet rein", sagte der Tennistrainer noch, ein eloquenter, zupackender Norddeutscher aus Itzehoe. Er lächelte zuversichtlich.

Am frühen Dienstagnachmittag australischer Zeit wusste Viktoria Asarenka, wie das gemeint war von Beltz. Das mit den paar Dingen. Sie hat die Bälle oft auf die Vorhand gespielt bekommen. Diese ist schwächer als ihre Rückhand. Ihre Gegnerin hat agiert und nicht reagiert. Nicht nur brav mitgespielt. Mit 3:6, 5:7 verlor dann tatsächlich die favorisierte Weißrussin. Das ist keine Sensation. Aber doch eine Überraschung.

Asarenka war ja von der Fachwelt als Einziger zugetraut worden, die madonnenhafte, spielerisch dominante Serena Williams in die Bredouille bringen zu können. Aber jetzt steht nicht die höchst amüsante Erzählerin und tiefgründige Analytikerin Asarenka, die zweimal schon in Melbourne (2012/2013) triumphiert hatte, im Halbfinale. Stattdessen findet sich dort eine Deutsche wieder - Kerber.

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Sechs Begegnungen mit Victoria Asarenka, sechs Niederlagen. Bei der siebten gelingt es der deutschen Nummer eins, die zweimalige Turniersiegerin zu schlagen.

Die letzte Teilnehmerin aus Germany in der Runde der letzten vier war 1998 Anke Huber. Sie war hinter Steffi Graf damals die beste Deutsche. Und sie war die mit der Milchschnittenwerbung. Steffi Graf gewann ihren vierten und letzten Australian-Open-Titel 1994. Von Kerber ist bislang kein nachhaltiges Werbebild in Erinnerung geblieben, allein das sagt einiges aus über ihren Stellenwert in der Öffentlichkeit.

Sie fliegt seit Jahren unter dem Radar. Kerber ist die, die man gerne so vorstellt: Ist 28. Wuchs in Kiel auf. Hat polnische Wurzeln. Lebt inzwischen auch im Nachbarland, in Puszczykowo, einer Kleinstadt an der Warthe. Ihre Herkunft wäre eine Frage für den Telefonjoker bei "Wer wird Millionär?". In Deutschland sind die charismatische Andrea Petkovic und Wimbledon-Finalistin Sabine Lisicki viel bekannter.

Möglicherweise werden daher jetzt einige in Deutschland erschrecken, dass da plötzlich eine Vertreterin des Deutschen Tennis-Bundes bei einem der vier größten Turniere um den Sieg spielt. Aber Kerber ist ja zumindest in der Branche bestens vertraut, sie zählte seit vier Jahren zum Saisonende stets zu den Top-Ten-Kräften. 2015 gewann sie vier mittelgewichtige Turniere auf vier verschiedenen Belägen, sie hat neun Millionen Dollar bisher eingespielt.

Kerber ist aber bei den Grand Slams, den wichtigsten Turnieren, zu selten ganz vorne dabei. Zweimal immerhin war sie schon in Halbfinals. 2011 bei den US Open, 2012 in Wimbledon. Und doch ist sie in der Wahrnehmung des weltmännischen Tennis kein Riesenfaktor, auch als Top-Ten-Frau. Die internationale Presse interessiert sich selten für sie, was sie aber nicht stört. Sie steht nicht wahnsinnig gern im Rampenlicht.

Wenn es auf sie strahlt wie jetzt, hat sie natürlich nichts dagegen. Die 15 000 Zuschauer in der Rod Laver Arena sowie die Reporter und TV-Sender aus aller Welt lassen sich ohnehin nicht wegzaubern. Und das will sie diesmal nicht. Alle sollen sehen, wie sie, diese modifizierte Kerber, selbstbewusster geworden ist und sagt: "Ich weiß jetzt: Ich gehöre zu den Besten."

Kerber hat ein entschlossen durchkomponiertes Match gegen Asarenka gezeigt, sie hat verdrängt, was nicht leicht ist, dass sie in sechs Duellen zuvor mit ihr sechsmal die Verliererin war. In diesem Halbfinale war alles drin, was bei Kerber-Matches zu erwarten ist, wenn es gegen Favoritinnen geht - nur mit einem neuen Ende. Sie spielte aggressiv und sicher, führte 4:0, hatte beim 30:0 das 5:0 vor Augen. Dann brach sie leicht ein, wurde unsicherer, passiver, spielte die Bälle kürzer. Asarenka kam heran, 3:4. Irgendwie hielt Kerber dagegen, wehrte Breakbälle ab, sicherte sich den Satz 6:3.

Dann wurde Asarenka dynamischer, stand oft vor der Grundlinie, um die Bälle früh zu schlagen, um den Druck zu erhöhen. Und genau das ist ein Problem: Kerber kann aggressiv agieren, aber sie lässt sich manchmal zu sehr zurückfallen. Dieses Verhaltensmuster führte nach zwei kassierten Aufschlagverlusten zum 2:5-Rückstand.

Ab diesem Moment, das weiß man im Rückblick, machte Asarenka kein Spiel mehr. Kerber zeigte ihren bewährten Kampfgeist, das auch. Aber vor allem zeigte sie, dass sie mental zugelegt hat. Eine Nuance, die einen großen Unterschied ausmacht. "Ich muss zeigen, dass ich gewinnen will." Ihr Sieg gegen Asarenka war vor allem ein Sieg über Zweifel. Ja, die Kerber von Melbourne hat die Kerber von früher besiegt.

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Die Deutsche zeigt mit ihrer Partnerin Karolina Pliskova starkes Tennis. Im Einzel glänzt die Polin Agnieszka Radwanska - Angelique Kerber fiebert einem großen Auftritt entgegen.

2:5 im zweiten Satz also, da dachte sich Kerber: "Denk nicht mehr ans Ergebnis und spiele einfach." Denn: "Was sollte passieren - wir wären in den dritten Satz gegangen." Der wirklich nah war. 40:0 führte Asarenka, drei Satzbälle. Kerber holte mit mutigen Schlägen das Spiel. 3:5. 40:15 führte Asarenka bei Kerbers Aufschlag, noch zwei Satzbälle. Kerber attackierte. Bedenkt man, dass sie in Runde eins gegen die Japanerin Misaki Doi selbst einen Matchball abgewehrt hatte, erhält ihr erreichtes Halbfinale eine zusätzliche Note.

Die sie nicht auf Schicksal zurückführt. "Ich habe gelernt, dass ich Selbstbewusstsein auch zeigen muss." Punkt für Punkt spielte sie gegen Asarenka mit dem Spirit, als sei es ihr letzter. Erst beim Matchball "hatte ich plötzlich Gedanken." Sie verwandelte nach 1:44 Stunden den ersten. Asarenka scheiterte beim Halbflugball. Kerber ließ ungläubig den Schläger fallen und starrte zu Beltz.

Im Halbfinale wird sie wieder eine ganz neue Erfahrung machen. Zweimal stand sie in dieser Runde schon, sie verlor gegen Gesetzte, gegen Samantha Stosur, gegen Agnieszka Radwanska. In Melbourne wird sie am Donnerstag die Favoritin sein. Die Britin Johanna Konta, 24, die in Sydney geboren wurde und vor einem Jahr auf Rang 144 im Ranking war, gewann 6:4, 6:1 gegen Shuai Zhang, 27. Die Chinesin hatte hier so viele berührt mit ihrer Geschichte. Ihre Eltern sahen sie nie spielen, bis sie nach Melbourne kamen, Zhang wollte eigentlich aufhören, wegen Erfolglosigkeit bei den Grand Slams. Jetzt ist Konta aus lokaler Sicht in Australien das große Thema.

Kerber hat sich aber auch für dieses Duell einen Trick zugelegt, wie sie ihre Nerven beruhigt und auch nicht daran denkt, dass sie schon 481 000 Euro verdient hat. Sie sagte: "Ich will gar nicht darüber nachdenken, dass es ein Halbfinale ist. Ich denke einfach ans nächste Match."

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