Tennis: French Open:Muster und Mäuse

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Der Halbfinaleinzug des Österreichers Jürgen Melzer bei den French Open ist eine erstaunliche Geschichte. Sogar Rafael Nadal findet: "Er spielt unglaublich."

Michael Neudecker, Paris

In Österreich holen sie jetzt die ganzen alten Geschichten wieder raus, und sind diese Parallelen nicht auch erstaunlich? 1995 zum Beispiel, da stand Thomas Muster im Finale der French Open, so weit war er noch nie bei einem Grand Slam gekommen, und er gewann. Er war noch nicht ganz 29 Jahre alt damals, sein Trainer war Ronnie Leitgeb.

Jürgen Melzer ist der erste Österreicher seit Thomas Muster 1995, der bei einem Grand-Slam-Turnier im Halbfinale steht. (Foto: afp)

Und jetzt, bei den French Open 2010, ist da dieser Jürgen Melzer, soeben 29 geworden, er ist im Halbfinale und damit so weit gekommen wie noch nie bei einem Grand Slam, Ronnie Leitgeb ist sein Manager. Thomas Muster und Jürgen Melzer, beide Österreicher, beide Linkshänder. Muster beeindruckte durch seine animalische Kampfkraft, ein geradezu manisches Immerweiter, und Melzer? Er ist zwar nicht manisch, aber was seine Kampfkraft angeht: Im Viertelfinale gegen Novak Djokovic, die Nummer drei der Welt, lag er 0:2 Sätze und im dritten Durchgang schon ein Break zurück - und gewann. Er spielt jetzt an diesem Freitag gegen Rafael Nadal, den besten Sandplatzspieler der Welt.

Nytröm bringt den Klick

Melzer sagt, klar, als Kind habe er Muster gesehen und sei beeindruckt gewesen, "aber ein Idol war er nicht wirklich für mich". Jürgen Melzer mag diese Thomas-Muster-Fragen nicht besonders, wieso auch? Jürgen Melzer ist nicht nach zwanzig Jahren endlich wieder ein Österreicher, der das Land begeistert, den ORF zu Live-Übertragungen animiert und die Presselandschaft zu heroisch-pathetischen Schlagzeilen inspiriert (Die Presse: "Es ist vollbracht"). Jürgen Melzer ist ganz einfach Jürgen Melzer, Punkt, so sieht er das.

Thomas Muster hat bei jedem Ball geschrien, Jürgen Melzer schreit nicht, zumindest nicht so wie Muster. Thomas Muster hat die Bälle von der Grundlinie übers Netz gepeitscht, gnadenlos, ein bisschen monoton auch, das sah kraftvoll aus. Jürgen Melzer sieht im Vergleich dazu elegant aus, sein Tennis ist variabel, er spielt mal einen Stopp-Ball kurz hinter die Netzkante, spielt die Rückhand mal als Slice, mal als Topspin.

"Er spielt unglaublich", sagt Rafael Nadal. Der Spanier fügt dann noch das kleine Wort "hier" an, denn das ist ja die Geschichte des Jürgen Melzer: Er ist 1999 Profi geworden, und er hat oft ordentlich gespielt in diesen elf Jahren, manchmal sehr gut, aber er ist nie so aufgetreten wie hier und jetzt. "Ich habe auch früher gute Leistungen gezeigt", sagt Jürgen Melzer am Mittwochabend in der internationalen Pressekonferenz, er spricht englisch, "but it had to make klick". In Paris 2010 hat es klick gemacht, und jetzt spielt Melzer das Turnier seines Lebens.

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Für den Erfolg eines Sportlers ist der Trainer sehr wichtig, und dass es bei Jürgen Melzer klick gemacht hat, das hat auch viel mit Joakim Nytröm zu tun, dem Schweden, der in den achtziger Jahren Nummer sieben der Tenniswelt war. Nyström ist seit Ende 2007 Melzers Trainer, damals war Melzer auf Position 60 der Weltrangliste. Das Jahr 2008 beendete er als Nummer 34, das Jahr 2009 als Nummer 28, in der Weltrangliste kommende Woche wird er in den Top 20 stehen.

Es gibt nicht viele, besonders nicht in Österreich, die ihm das noch zugetraut hätten: In den vergangenen Jahren hat sich der Boulevard mehr mit seinem Privatleben beschäftigt als mit seinem Beruf, sie haben Fotos gedruckt von seinen Partnerinnen, schönen Tennisspielerinnen wie Nicole Vaidisova oder Anastasia Myskina, und jetzt eben von der österreichischen Schwimmerin Mirna Jukic, mit der Melzer seit mehr als einem Jahr zusammen ist. In Paris musste er Fragen beantworten zu seinem Mickey-Mouse-Anhänger am Halsband, er erzählte, dass seine Freundin das Gegenstück trage, Minnie Mouse, "und manchmal tauschen wir", da lachten die Reporter. Jürgen Melzer weiß, was die Leute hören wollen.

"Du schenkst ihm dieses Match jetzt nicht"

Was den Sport angeht, hat Melzer die Leute nun aber in Paris noch mehr begeistert. In der dritten Runde hat er den Weltranglisten-Neunten David Ferrer regelrecht vom Platz gefegt, 6:4, 6:0, 7:6, bis zum Viertelfinale hatte er nur zwei Sätze im ganzen Turnier abgegeben. Gegen Djokovic war er Außenseiter, und der Serbe gewann ja auch die ersten beiden Sätze, 6:3 und 6:2. Da, sagt Melzer, "war ich sehr weit weg vom Halbfinale". Aber er hat sich zusammengerissen, "ich hab' mir gesagt: du schenkst ihm dieses Match jetzt nicht", er hat gekämpft, und es wurde ein Match, wie man es selten sieht. Melzer gewann den dritten Satz 6:2, den vierten 7:6, die Ballwechsel waren lang, abwechslungsreich, grandios. Im fünften Satz vergab Melzer zwei Matchbälle, und dann nutzte er den dritten, nach vier Stunden und 25 Minuten.

Eine Stunde später saß er im Presseraum, "es ist eine Genugtuung", sagte er, es war schon halb zehn am Abend, "aber in erster Linie bin ich jetzt ganz schön müde". Müde sein, manchmal ist das ein schönes Gefühl.

© SZ vom 04.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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