Tennis:Feierabend in Wimbledon

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Sehr beliebt in Wimbledon: der dreifache Champion Boris Becker (Foto: Getty Images)

Eine Pizza, die heißt wie Boris Beckers Sohn. Martina Hingis händchenhaltend, Kei Nishikori locker plaudernd. Ein Wimbledon-Spaziergang abseits der Anlage.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Aus dem Sonntag ist dann plötzlich überraschend früh die Luft raus, Sascha Zverev hat gerade verloren, in vier Sätzen gegen den langjährigen Top-Ten-Mann Tomas Berdych aus Tschechien, bei seiner Premiere auf dem Centre Court. Ein weiteres Match ist im Hauptstadion von Wimbledon nicht mehr angesetzt, an diesem Middle Sunday, wie der Tag hier heißt. Aufgrund der vielen Regenunterbrechungen war ja zum vierten Mal in der Geschichte die Spielpause aufgehoben worden. Auf zu Zverev in die Pressekonferenz, der 19-Jährige aus Hamburg ist schon 28. der Weltrangliste, er gilt als kommender Grand-Slam-Sieger, nur bei den Topprofis scharwenzeln auch immer die Manager mit in den Interviewraum, bei Zverev ist dies auch so der Fall. Auch wenn er streng genommen noch kein Mega-Event gewonnen hat. Die große Bühne hat bereits Einfluss auf ihn.

Zverev beginnt auf Englisch zu schwärmen, wie sein erstes Mal auf dem Centre Court war, es habe ihm natürlich sehr gefallen. Er klingt routiniert, aber als er dann ins Deutsche wechselt, klingt er gleich anders. Etwas kürzer angebunden, schnippischer, "woran erkennt man, dass ein Vater stolz aussah", fragt Zverev einen Reporter, der auf den stolzen Vater im Centre Court hingewiesen hatte. Das Kämpferische, das Unerschrockene, das, ja, durchaus Nicklige, das Zverev auf dem Platz diese Furchtlosigkeit gegen all die Top-Gegner gibt, ist zu spüren. Die Eigenschaften, die ihn in der Tennisrangliste hochkatapultiert haben lassen, kann er noch nicht ganz ablegen auf Knopfdruck danach, er ist eben erst 19 und wird es eines Tages sicher so machen wie die Federers und Murrays.

Wie lange er pausiere, wird er zum Schluss gefragt, er guckt schon genervt und biegt seinen langen Oberkörper zur Seite. Da sagt er: "Sechs Jahre." Das ist eine Antwort, die ihm gefällt, er lächelt, und tatsächlich ist die Vorstellung für einen Moment ganz lustig, man würde jetzt einfach mal verkünden: "Wimbledon - Rückschlag fürs deutsche Tennis: Sascha Zverev gab nach seiner Niederlage gegen Tomas Berdych bekannt, er werde sechs Jahre pausieren. Gründe nannte er nicht, auch sein Manager ließ weitere Erklärungen zunächst offen." Was wohl passieren würde? Befriedigend war die Pressekonferenz am Ende aber doch nicht irgendwie. Auf nach Wimbledon Village, mal abschalten vom Tennis.

Früher mietete der Deutsche Tennis-Bund in Wimbledon eine Villa

Schon nach der ersten Abzweigung einen kleinen Hügel hinauf, Wimbledon ist ja erstaunlich hügelig, sagt der Kollege, dass dort drüben immer Rafael Nadal gewohnt habe. Man sieht ein Haus mit einer Einfahrt, die Platz für drei, vier normale Autos hier hat, also für Limousinen und SUVs deutscher Herkunft. Rüber über die nächste Kreuzung, da überquert ein sehr großer Mann die Straße und schaut suchend. Milos Raonic findet den Eingang jenes Hauses, das er offenbar gesucht hat. Jetzt weiß man schon mal einen Grund, sollte der Mitfavorit aus Kanada, der nun von John McEnroe trainiert wird, das Turnier gewinnen: Er hat den kürzesten Weg zur Anlage. Er kann mit den langen Beinen quasi in sieben Schritten den Centre Court betreten.

Kleiderordnung in Wimbledon
:Bauchfrei durchgemogelt

Alles muss weiß sein - da ist die Kleiderordnung in Wimbledon eindeutig. Und doch fallen manche Athleten mehr auf als andere. Ein modischer Rundgang.

Burghley Rd, SW 19 steht auf dem Schild, die Gruppe ist richtig. Als die Nummer 16 kommt, ruft wieder ein Kollege: "Hier war's." Hier war was? "Hier hatte der Deutsche Tennis-Bund in den goldenen Zeiten immer das Haus gemietet." In den Achtzigern und Neunzigern, als Becker, Graf, Stich so oft siegten. Nettes Anwesen in jedem Fall, aber wenn man bedenkt, dass der Kaufpreis so bei zwei Millionen Pfund hier losgeht, kann man sich gut vorstellen, warum der DTB sich die Renovierung des Hallendaches beim Hamburger Rothenbaum so lange geschenkt hat: Das Geld ging ja für die Miete in der Burghley Rd drauf. Gut: billiger, böser Witz, weiter.

Der Tisch bei einem Italiener ist reserviert, gute, ehrliche Küche der Ruf. Der Fernseher läuft, Frankreich gegen Island, die Karte kommt, Penne, ein Glas Wein, es ist angerichtet. Beim kurzen Rundgang durchs Restaurant fällt auf: Oh, da sitzt Billie Jean King, die legendäre Spielerin, die sich so für Gleichberechtigung eingesetzt hat. Sie wird umgeben von zig anderen früheren Spielerinnen. Patrick Mouratoglou ist auch in einer Ecke, mit einer Begleitung, die sich den schwangeren Bauch sanft streichelt. Nein, es ist nicht Serena Williams, mit der der coole Franzose mal zusammen war und die er immer noch als Trainer betreut.

Angelique Kerber
:Zähe Kämpferin

Angelique Kerber kennt die großen Erfolge, doch auch die Last, eine Nummer eins zu sein. 2018 gelingt ihr die Rückkehr auf die große Bühne - und der lang ersehnte Triumph in Wimbledon. Ihre Karriere in Bildern.

Brad Gilbert sitzt mit seiner Familie schräg gegenüber, der Amerikaner war in den Neunzigern immer der, der unseren Boris so geärgert und später dieses famose Buch "Winning ugly" geschrieben hat. Justin Gimelstob biegt um die Ecke, ein mäßig erfolgreicher Profi einst, der aber die Kunst des Strippenziehens beherrscht und heute einige nette Pöstchen im Tennisbusiness innehat. Er steuert auf Edwin Weindorfer zu, der Österreicher ist der Chef des Stuttgarter Rasenturniers und Manager von Tommy Haas. Nebenan sitzt ein schwergewichtiger Mann, ihn kennt keiner, er isst aber eine Pizza mit dem speziellen Etwas: Die Pizza mit Salami heißt "Noah", benannt nach Beckers Sohn. Boris Becker sei hier Stammkunde, sagt jemand. Ein Absacker tut jetzt noch gut, 2:5, Islands Tore hat man gar nicht mitbekommen.

Auf ins Fox and Dog, ein Pub, das für seine Geselligkeit gerühmt wird. Patrik Kühnen sitzt an einem Tisch mit Kollegen des TV-Senders Sky, ein kurzer Plausch entsteht. Kühnen war mal im Viertelfinale von Wimbledon, er ist Mitglied im Last Eight Club und darf jedes Jahr zum Turnier kommen, noch kommt er aber arbeitend fürs Fernsehen. Kühnen erzählt eine herrliche Geschichte, wie er seinerzeit mal ein Match gegen Ivan Lendl bestritt, auf dem Centre Court, es war dort seine Premiere wie bei Zverev am Sonntag. Er hatte den Centre Court tatsächlich das allererste Mal von innen gesehen, als er mit Lendl den Platz betrat. Ehe er sich versah, stand es 1:6, Kühnen sei einfach zu überwältigt gewesen, allein die Stille beim Aufschlag habe ihn gelähmt. Diese Stille ist hier anders. Die Sätze zwei und drei verlor er dann respektabel 6:7, 6:7.

Japans Star Nishikori kauft nachts noch Wasser

Feierabend endgültig, zurück ins heimelige Bed&Breakfast-Zimmer bei einer wahnsinnig netten Pfarrersfamilie. Auf dem Heimweg läuft einem noch Martina Hingis über den Weg, händchenhaltend steht sie an einer Bushaltestelle und wartet auf den Bus. Noch ein Wasser im kleinen Minimarkt: Kei Nishikori macht Platz und lächelt. Japans Star, millionenschwer, um 22 Uhr noch auf der Wimbledon Park Rd, beim Ratschen mit einem tätowierten Briten, das hätte man auch nicht erwartet. Bei Pressekonferenzen kriegt er kaum Wörter raus, er ist angenehm schüchtern.

Ja, war unterm Strich ein guter Abend. In Wimbledon. Um abzuschalten vom Tennis, muss man sich aber wohl einen anderen Ort zu dieser Jahreszeit suchen.

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