Das Städtchen Orpington, südöstlich von London gelegen, verdankte seinen guten Ruf in England lange Zeit seiner schmucken mittelalterlichen Propstei, Klostergärten, Parks und Obsthainen. Auch die exzellente Verkehrsanbindung zum Großflughafen Gatwick sprach stets für sich. Inzwischen aber hat der Name Orpington weit über die Insel hinaus einen neuen Klang hinzugewonnen, die Geschichte eines Tenniswunders schwingt mit - wie hierzulande einst bei Leimen, der Boris-Becker-Stadt. Denn in Orpington ist Emma Raducanu aufgewachsen, die im September in einer phänomenalen Siegesserie von der Qualifikantin zur US-Open-Siegerin aufstieg; hier ging sie zur Schule, und hier befindet sich auch das Bistro "A Mano Coffee Bar and Kitchen", das es nach einem Bericht der Zeitung Telegraph ebenfalls zu überregionaler Bekanntheit brachte: weil sich Emma Raducanu, 18, wie auf einer Fanseite fotografisch dokumentiert, bereits am 20. Oktober an dieser Stelle mit Torben Beltz, ihrem neuen Trainer, samt Manager traf.
Tennis:Hinter Kerber klafft die Lücke
Bei den Niederlagen im Billie Jean King Cup zeigen sich die Probleme im deutschen Frauentennis. Abseits der etablierten Kräfte fehlen nachrückende Spitzenspielerinnen. Für einen Lichtblick in Prag sorgt das Duo der Debütantinnen.
Sie haben anschließend zur Probe Bälle übers Netz geschlagen, der Coach und die Spielerin, im Tenniscenter von Bromley, nicht weit von der Kaffeebar entfernt. Aber erst an diesem Montag wurde das Arrangement bekanntgegeben, das Emma Raducanu trotz ihrer beachtlichen Meriten als ein "großes Privileg" versteht. Künftig will sie sich von jenem Experten anleiten lassen, der die Karriere der dreimaligen Grand-Slam-Siegerin Angelique Kerber, 33, von Beginn an begleitete und sie zu einer Weltklasseathletin formte.
"In der Pre-Season geht es los", hat Torben Beltz, 44, am Donnerstag am Telefon bestätigt, "genauer gesagt: im Dezember." In der spielfreien Zeit werden die Grundlagen für das Tennisjahr gelegt, voraussichtlich zunächst in England. Allzu viel kann er noch nicht erzählen über seine neue Spielerin. Aber er trifft auf eine Athletin, deren Leben durch den überraschenden New Yorker Finaltriumph am 11. September ähnlich durcheinandergewirbelt wurde wie 1985 die Vita eines gewissen 17-jährigen Leimeners. Emma Raducanu, die bis zum Sommer noch zur Schule ging, hatte die Zusammenarbeit mit dem britischen Übergangstrainer Andrew Richardson nach den US Open nicht verlängert. Zuletzt zog sie ohne Coach von Turnier zu Turnier.
"Ich weiß nun, wie viel Raum zur physischen Verbesserung ich habe", sagte sie nach der Achtelfinal-Niederlage dieser Tage beim Turnier in Linz. Sie hat ebenfalls verstanden, "was es heißt, Woche für Woche einen Wettkampf zu spielen". Ihre Wahl fiel auch deshalb auf Beltz, weil sie glaubt, dass dessen "enorme Erfahrung für jemanden, der so unerfahren ist wie ich, sehr hilfreich sein kann". Sie hat ihn als "positiven, fröhlichen Typen" erlebt, der ihr im Reise- und Tourneestress dabei helfen soll, sich zurechtzufinden und wohlzufühlen.
Das sind die Qualitäten, auf die auch Angelique Kerber, mit Unterbrechungen, fast zwei Jahrzehnte lang vertraute. Und dennoch haben sich die Wege nun zum dritten Mal getrennt. "Nach dem Turnier in Palm Springs im Oktober ist mein Vertrag ausgelaufen", erläutert Beltz. Als ihn Emma Raducanu kontaktierte, war er demnach für neue Aufgaben frei.
Kerber dankte ihm "für die gemeinsame Zeit und für alles, was wir gemeinsam erlebt und erreicht haben". Aber zum letzten Abschnitt ihrer Karriere bricht sie nun ohne ihren treuen Begleiter auf. Sie will beim Saisonstart in Australien dort weitermachen, wo sie mit Beltz aufgehört hat. "Das bedeutet auch, dass ich nach dem Ausscheiden von Torben aus dem Team mehr Verantwortung übernehmen möchte", teilte sie in einem Interview mit ihrem Sponsor Porsche mit. Der Rest ihres Teams bleibt unverändert.
Offenbar war es tatsächlich ein Abschied im Guten. Beltz hatte Kerber erstmals von 2004 bis 2013 betreut; es folgten jene triumphalen Jahre von 2015 bis Ende 2017, in denen sie bei den Australian Open und in New York gewann. Erst im Juli 2020 starteten sie Teil drei ihrer Zusammenarbeit, deren Höhepunkt der Turniersieg in Bad Homburg und das Halbfinale von Wimbledon in diesem Jahr waren. Noch einmal hat sich Kerber bis in die Top Ten durchgeschlagen. "Wir waren ein gutes Gespann", hat Beltz am Donnerstag gesagt. Sie hätten die ersten Schritte auf der Profi-Tour gemeinsam unternommen, aber sein Wirken, erklärt er in aller Bescheidenheit, solle man nicht überbewerten: "Ein Trainer ist immer nur so gut wie seine Spielerin."
Er wird nun noch einmal von vorn beginnen mit Emma Raducanu, in England, im Örtchen Orpington. Was bleibt, das bleibt, sagt Torben Beltz: "Wir hatten eine tolle Zeit."