Radsport:Pogacar ist so gierig wie nie

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Volle Attacke: Beim Schotterrennen Strade Bianche raste Tadej Pogacar der Konkurrenz davon und beendete ein 81-Kilometer-Solo als Sieger. (Foto: Marco Bertorello/AFP)

Der Klassiker Mailand-Sanremo soll für Tadej Pogacar der Auftakt zu einer besonderen Saison werden: Sein Ziel ist Doppelsieg aus Giro d'Italia und Tour de France - was zuletzt in der Superdopingphase vor 26 Jahren gelang.

Von Korbinian Eisenberger

Der 160 Meter hohe Poggio di Sanremo gilt in der Radsporthistorie als legendärer Berg, kein Witz. Grund ist, dass sich am Poggio, mehr ein Hügelchen, der Frühjahrsklassiker Mailand-Sanremo entscheiden könnte, am Samstag ist es wieder so weit, zum 115. Mal. Zu diesem Anlass fühlte sich jemand dazu ermutigt, unweit des Ortsschilds von Poggio einen im echten Leben 176 Zentimeter hohen Radfahrer als Riesen an eine Betonmauer zu malen. Gemalt - oder gesprayt - wurde der Slowene Tadej Pogacar, ein filigraner, fast graziler Mann, wie gemacht für Rundfahrten mit wahrhaftigen Bergen. In der Interpretation auf Beton sieht Pogacar indes gar nicht schmächtig aus, sondern auffällig kräftig. Wie ein Zielsprinter, ein Mann für Eintagesrennen und Etappen.

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Nicht alle Radwege führen nach Rom, aber viele nach oder durch Italien. Die für Samstag zu bewältigende Strecke verläuft der Tradition folgend von Mailand nach Sanremo. Mit 288 Kilometern ist "La Primavera" das längste Eintagesrennen des Rennkalenders und der erste ganz große Test des Frühjahrs. Auch für die Schwergewichte - und zu denen zählt längst Tadej Pogacar, der in Poggio so schwergewichtig in Szene gesetzt wurde. Das passt bei 66 Kilo auf der Waage zwar kaum, irgendwie aber doch, denn zumindest seine Worte waren zuletzt von Wucht.

Für Pogacar soll die Saison eine ganz besondere werden. Der Slowene zählt seit Beginn des Jahrzehnts zu den Ausnahmekönnern seines Sports. Zweimal hat er bereits die Tour de France gewonnen, den Höhepunkt des Jahres, dazu diverse Klassiker. Aber zuletzt hat er bei der Frankreich-Rundfahrt zweimal dem Dänen Jonas Vingegaard den Vortritt lassen müssen. Und nun will er nicht nur bei der Tour Vingegaard bezwingen. Sein Jahresziel ist vielmehr der Doppelsieg aus Giro d'Italia (4. bis 26. Mai) und Tour de France (29. Juni bis 21. Juli), wie Meisterschaft und Champions League im Fußball.

Das ist in der langen Historie des Radsports erst sieben Fahrern geglückt und zuletzt vor 26 Jahren dem 2004 gestorbenen Marco Pantani in der Superdopingphase. "Jeder will das Double schaffen. Es ist eine der härtesten Sachen, dies zu erreichen", sagt Pogacar. "Es ist genügend Zeit zwischen den beiden Rundfahrten zu regenerieren."

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Kann der 25-Jährige das wirklich schaffen? Ab der "Classicissima" an diesem Samstag werden die Hinweise gesammelt. Noch nie stand Pogacar bei Mailand-Sanremo (Eurosport 2/Dazn, 9.50 Uhr) auf dem Podest der besten Drei - das soll sich jetzt ändern. Für seine Trainingsfahrten begab Pogacar sich zuletzt aus seiner Wahlheimat Monaco über die Grenze nach Italien, um die Schlüsselstellen zwischen Mailand und Sanremo zu inspizieren, wie eben den Poggio - und die Cipressa, den vorletzten Anstieg auf 239 Höhenmeter, nicht minder von Mythen umrankt wie von Geäst.

Zwischen Olivenbäumen, Pinien und Zypressen geht es fünfeinhalb Kilometer mit einer durchschnittlichen Steigung von 4,1 Prozent hinauf, ein kurzes Steilstück hat 9,0 Prozent. Der Poggio: noch kürzer und flacher, vier Kilometer mit im Schnitt 3,7 Prozent. Als Anstiege spielen sie selbst für Hobbyrennradler keine besondere Rolle. Aber bei Mailand-Sanremo sind es diese beiden Stellen, die alles entscheiden.

Pogacar hat schon in Lüttich (2021), Flandern (2023) und bei der Lombardei-Rundfahrt (2021 bis 2023) alle hinter sich gelassen. Reüssiert er auch bei Mailand-Sanremo, wäre von den fünf Monumenten, den bedeutsamsten Eintagesrennen der Szene, nur noch die Tortur über die Kopfsteinpflaster von Paris-Roubaix offen, wenn auch eher nicht für dieses Jahr.

"Radsport ist nicht nur die Tour de France" - eine kleine Spitze gegen Rivale Jonas Vingegaard

Dass sich der Slowene so gierig in die Eintagesrennen im Frühling stürzt, unterscheidet ihn von seinem Dauerrivalen bei der Frankreich-Rundfahrt. Der Däne Jonas Vingegaard, Tour-Sieger 2022 und 2023, ist traditionell erst im Hochsommer gefräßig, bei Mailand-Sanremo ist der 27-Jährige nicht am Start. "Radsport ist nicht nur die Tour de France", sagt indes Pogacar, was als kleine Spitze gegen Vingegaard verstanden werden kann - der ihm bei besagter Tour zuletzt mehr als eine Radlänge voraus war.

Ob es Pogacar helfen wird, dass ihm in Frankreich diesmal bereits der Giro in den Knochen stecken wird? "Eine Karriere auf höchstem Level dauert nicht so lange. Du musst zu 100 Prozent fokussiert bleiben. Danach habe ich immer noch Zeit, Dinge zu genießen", erklärt Pogacar.

Vor dem Giro plant er selbst (nur) noch die Katalonien-Rundfahrt und den Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich. Dort hatte Pogacar im Vorjahr bei einem Sturz einen Kahnbeinbruch erlitten, was ihn womöglich die Tour-Form gekostet hat. "Ich habe mein ganzes Selbstvertrauen zurück, das ich letztes Jahr nach meinem Sturz verloren habe", sagt Pogacar, der im Winter Dinge verändert hat: Er wechselte den Trainer, Javier Sola ersetzte Inigo San Millan. Manchmal, so Pogacar, seien "ein Systemschock und eine Veränderung gut".

Pogacars Mentoren sind schlecht beleumundet

Das System, in dem er sich bewegt, ist in den vergangenen Jahren immer wieder Thema gewesen. Pogacars Mentoren haben, gelinde gesagt, nicht den besten Leumund. Einer wurde einst gesperrt, weil seine Vitalwerte Blutdoping nahelegten. Und die beiden Lenker von Pogacars Rad-Equipe machten Karrieren in Teams, die oft Dopingfälle hervor spülten. Aber: Pogacar ist nie etwas nachgewiesen worden.

In Form ist der Slowene in jedem Fall: Beim Schotterrennen Strade Bianche düpierte er zuletzt mit einem 81-Kilometer-Solo die Konkurrenz. Gut möglich, dass er sich am Samstag lange im Peloton aufhält und so am Meer entlang auf die Cipressa zu düst. Der Anstieg beginnt knapp 30 Kilometer vor dem Ziel, in scharfem Tempo kann es dort für die Sprinter schwierig werden: Potenzial für Attacken ist also, auch wenn der Weg von der Cipressa bis ins Ziel zu weit ist.

Andernfalls gäbe es da noch den Poggio-Hügel, wo Pogacar kürzlich die Stelle mit dem Betonfresko passierte und sich trotz der wuchtigen Statur wiedererkannte. Volle Attacke hier? Oder er muss im Schlusssprint zeigen, dass der Freskenmaler von Poggio mit seiner Interpretation gar nicht so daneben lag.

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