Dirk Gieselmann
Guten Morgen,
liebe Fans, an diesem grauen Tag. Der Himmel über Berlin sieht aus wie die Leinwand, nachdem Thomas Schneider die letzte PowerPoint-Grafik gezeigt hat: allzu weiß und allzu leer. Der Himmel blendet, aber er ist nicht schön, ein zu dieser WM passender Himmel also immerhin.
Kommt die Sonne noch raus? Das weiß zur Stunde niemand. Vielleicht wurde auch sie per Onlinevoting aus der Startelf gewählt.
Dirk Gieselmann
Unten im Garten spielen sich zwei Jungs nachdenklich einen nur halbwegs aufgepumpten Ball hin und her. Und sie bereiten sich auch mental auf das Spiel vor.
„Wenn Deutschland ausscheidet“, sagt der eine, „bin ich für Senegal.“
„Wenn Deutschland ausscheidet“, sagt der andere, „krieg ich ein Fahrrad.“
Er habe mit seinem Vater gewettet. Das ist also die Perspektive, liebe Fans. Sollte „es“ heute Abend „nichts“ werden, trösten Sie sich: Was uns bleibt, sind Senegal und ein Fahrrad.
„Wenn Deutschland ausscheidet“, sagt der eine, „bin ich für Senegal.“
„Wenn Deutschland ausscheidet“, sagt der andere, „krieg ich ein Fahrrad.“
Er habe mit seinem Vater gewettet. Das ist also die Perspektive, liebe Fans. Sollte „es“ heute Abend „nichts“ werden, trösten Sie sich: Was uns bleibt, sind Senegal und ein Fahrrad.
Dirk Gieselmann
Außenspiegel der Trauer
Als ich eben Brötchen holte, fuhr ein Auto an mir vorüber. Das ist ja zunächst mal nichts Außergewöhnliches. Allerdings dachte ich: Wahnsinn, jetzt hat der doch tatsächlich statt schwarz-rot-goldener Außenspiegel-Überzüge schwarze genommen. Wie bei einer Beerdigung. Ist die Stimmung wirklich so schlecht?
Dass er in Wahrheit gar keine Überzüge hatte, sondern einfach nur schwarze Außenspiegel, dass er vielleicht auf dem Weg zum Brunch bei seiner Tante war und sich überhaupt nicht dafür interessiert, was mich interessiert, das entzog sich meiner Vorstellungskraft.
Wie gesagt, ein Auto fuhr an mir vorüber. Das ist wirklich nichts Außergewöhnliches. Aber für einen kurzen Augenblick nahm ich es persönlich.
Dirk Gieselmann
Das musste ja so kommen
Vielleicht kommt es nur mir so vor. So wie alles, was ich hier schreibe, am Ende möglicherweise nur mir so vorkommt.
Erstmals seit der WM 2002, als das gemeinsame Fußballgucken unter freiem Himmel, dieser säkulare Feldgottesdienst namens Public Viewing, zur Mode geworden ist, nach 16 Jahren der Heilserwartung, scheint sich wieder ein ungutes Gefühl unter die Gemeindemitglieder zu mischen: der Defätismus.
„Ich hab’s geahnt.“
„Es hat sich abgezeichnet.“
„Das musste ja so kommen.“
So lauteten die Phrasen vieler Anhänger nach dem Schlusspfiff gegen Mexiko. Wenn man genau hinsah, konnte man in ihren Augen ein mattes Glänzen erkennen, den mickerigen Triumph des Rechthabens. Die lustigen Schland-Hüte wurden in die Mülltonnen gestopft, als böten die kommenden Gruppenspiele keinen Anlass mehr, sie noch einmal aufzusetzen.
Als würde sich die Zukunft jetzt nicht mehr lohnen.
Dirk Gieselmann
Sic transit Gloria Jogi
Bei Curry 36 am Kreuzberger Mehrdingdamm, wo man traditionell jede Zumutung des Schicksals, ob Insolvenz, Liebeskummer oder ein 0:1 im Auftaktspiel, mit Wurst und Bier zu kontern versucht, wurde am Abend nach der Niederlage gegen Mexiko bereits über die Entlassung von Bundestrainer Löw debattiert.
„Da muss mal ein anderer ran.“ „Am besten jetzt schon.“ „Kloppo wäre die beste Lösung. Meine Meinung.“
Sic transit Gloria Jogi: Plötzlich scheint der Erfolgscoach nur noch ein dahergelaufener Narr zu sein, der ein Erbe ramponiert, das gar nicht seines ist. Sein konstruktiver Optimismus, den er im Interview nach dem Spiel an den Tag legte, kommt vielen wie eine frappierende Verkennung der Tatsachen vor.
Joachim Löw ist für sie der Hummer, der im Kochtopf liegt und glaubt, es sei ein Whirlpool.