Synchronschwimmen:Olympia bleibt ein Traum

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Kunstvoll in Gwangju: Marlene Bojer zeigt 2019 ihre Kür bei der WM in Südkorea. (Foto: Mark Baker/dpa)

Synchronschwimmerin Marlene Bojer tritt vom Leistungssport zurück. Die Münchnerin hat ihre anspruchsvolle Disziplin ein Jahrzehnt lang trotz vieler Widerstände geprägt - und ihr größtes Ziel um einen Wimpernschlag verpasst.

Von Sebastian Winter

Der Rahmen war würdig am vergangenen Wochenende, deutsche Meisterschaften in Bochum, ein warmer Händedruck der Funktionäre, noch wärmere Dankesworte und ein schönes Bild, auf dem Deutschlands bestes Synchronschwimm-Duett der vergangenen Jahre bei einer gemeinsamen Kür zu sehen ist. Ein paar Tränchen flossen, später versandte der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) eine Mitteilung mit der angemessen pathetischen Überschrift: "Abgang als Champions: Marlene Bojer und Michelle Zimmer beenden ihre Karriere."

Das war es also für Bojer, die 30-jährige Münchnerin, und Zimmer, ihre vier Jahre jüngere Duettpartnerin aus Berlin. Nach einer Karriere, die sie zu Welt- und Europameisterschaften und fast zu Olympischen Spielen geführt hatte, die aber nicht immer ganz gradlinig verlief. Bojer verbrachte ja fast ihr ganzes Leben im Wasser, in einem Sport, der lange Zeit eher belächelt als gefördert wurde. Und sie kam, obwohl sie in den letzten paar Jahren mit Zimmer ein Perspektivduett für Olympia bildete, nie in den Genuss einer Sportförderung bei Bundeswehr, Zoll oder Polizei, mit der andere Athletinnen und Athleten unterstützt werden. "Wir hatten nie das Gefühl, dass der Verband das richtig forciert, dort hieß es immer, wir sollen es doch mal über Crowdfunding oder Spenden versuchen", sagt Bojer.

Zimmer wohnt und studiert in Berlin, Bojer in München, beide sind dort verwurzelt, ein Umzug war unrealistisch. Letztlich entschied sich das Duett auch wegen des zu großen finanziellen und organisatorischen Aufwands Ende 2022, seine Olympiapläne zu begraben. Es war eine harte Entscheidung, denn ein Start bei Sommerspielen fehlt in ihrer Vita. Olympia 2021 in Tokio hatten die einzigen deutschen Vertreterinnen bei der Qualifikation in Barcelona verpasst - um den Wimpernschlag von 0,1866 Punkten. Es wäre die erste deutsche Olympiateilnahme im Synchronschwimmen seit 1992 gewesen. "Das kreist schon noch in meinem Kopf und tut extrem weh", sagt Bojer.

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Man darf sie nicht falsch verstehen, die Münchnerin ist eigentlich im Reinen mit sich und ihrer Karriere; sie weiß auch, dass sie dem DSV viel zu verdanken hat. Sie hat unzählige DM-Titel gewonnen, war bei einigen Welt- und Europameisterschaften dabei, gewann bei der EM im vergangenen Sommer Silber mit dem Team - ihr wohl größter Erfolg. Der Sport hat ihr sehr, sehr viel gegeben, die Reisen, das Miteinander, die frühe Förderung durch Trainerinnen wie Doris Ramadan, Bettina Wrase und Barbara Liegl.

2015 startete Bojer erstmals bei einer WM, damals wurde ein temporärer Pool ins Fußballstadion von Kasan eingelassen, "und die Tribünen waren voll", erinnert sie sich noch immer ein wenig verwundert. 2017 startete sie unter fast märchenhaften Bedingungen bei der WM in Budapest in einem Outdoor-Pool am See mit Schloss im Hintergrund. "Ich habe in meinem Sport fast alles erreicht. Das Einzige, was mir noch fehlt, ist eine Olympiateilnahme, und die ist unter den aktuellen Gegebenheiten in meinem Umfeld leider nicht realistisch für mich", wird Bojer in der DSV-Mitteilung zitiert. DSV-Vizepräsident Kai Morgenroth sagte nach der Ehrung: "Einen besseren Abschied kann man einer Nationalkader-Athletin nicht geben." Aber mit noch professionelleren Bedingungen - auch in München, wo die Bäder- und Trainingssituation seit Jahren schwierig ist - und etwas mehr finanzieller Unterstützung hätte es vielleicht noch eine größere Karriere werden können.

Marlene Bojer und Michelle Zimmer beim Freien Duett während der WM 2022 in Budapest. (Foto: Francois-Xavier Marit/AFP)

Nur ein kleines Beispiel: Bevor Bojer und einige andere Isarnixen im vergangenen Sommer zur Weltmeisterschaft nach Fukuoka reisten, starteten sie einen Aufruf auf ihrer Homepage: "Hiiiilfe, wir sind Marlene Bojer, Maria Denisov und Solène Guisard. Wir werden als Synchronschwimmerinnen der Nationalmannschaft Deutschland während der WM vom 10.07.-23.07. repräsentieren. Wir rechnen aktuell mit einer Eigenbeteiligung von 1500 € pro Person. Da wir privat die gesamte Summe nicht stemmen können, brauchen wir eure Unterstützung. Jede Hilfe zählt."

Die Eigenbeteiligung mussten sie am Ende doch nicht zahlen, weil die Funktionäre dann noch Geld übrig hatten. Aber allein die Tatsache, dass im Synchronschwimmen in diesem Fall offenbar nur zu einer WM fahren kann, wer selbst noch seine Privatschatulle öffnet, lässt tief blicken.

Marlene Bojer wusste stets, dass sie einen Sport ausübt, der trainingsintensiv ist wie kaum ein zweiter - und zugleich kein Geld einbringt. Sie hat daher vorgesorgt, für ihre zweite Karriere. Ihr Studium ist fertig, vor drei Wochen hat sie ihre Masterarbeit abgegeben. Sie möchte im Marketing-Bereich arbeiten. Aber erst einmal steht ein Urlaub mit ihrem Freund in Thailand, Vietnam und Kambodscha auf dem Programm. Und dann, im Dezember, das Weihnachtsmusical der Isarnixen: "Die Schöne und das Biest". Bojer spielt darin: die böse Hexe.

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