Quarterbacks im Super Bowl:Comeback-König gegen 106-Jährigen

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Die beiden Quarterbacks im Super Bowl werden speziell ausgeleuchtet. (Foto: Marcio Jose Sanchez/AP)

Im Super Bowl blicken traditionell alle auf die Quarterbacks: Matthew Stafford von den Rams und Joe Burrow von den Bengals sind zwar die Könige - doch ihre Helfer spielen eine entscheidende Rolle.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

7,6 Milliarden Dollar werden die Amerikaner einer Prognose der American Gaming Association zufolge auf den Super Bowl wetten. Die Los Angeles Rams sind favorisiert, die Quoten-Vorhersage liegt bei einem Drei-Punkte-Sieg gegen die Cincinnati Bengals. Die Buchmacher in Las Vegas verwenden Computer und Algorithmen, die Wahrscheinlichkeiten sind deshalb präzise. Die interessanteste Wette aber hätte man direkt nach dem Finale der Footballliga NFL im vergangenen Jahr abschließen müssen - nämlich: Im Super Bowl LVI werden sich die Quarterbacks Joe Burrow und Matthew Stafford gegenüberstehen. Wer damals 100 Euro gesetzt hätte, wäre jetzt 840 000 Euro reicher.

Die Gründe für diese unfassliche Gewinnausschüttung: Burrow erholte sich noch vom doppelten Kreuzbandriss, den er sich am elften Spieltag zugezogen hatte. Die Bengals, die in ihrer ruhmlosen Geschichte auf gerade mal zwei Super-Bowl-Teilnahmen verweisen konnten, hatten eine Saison mit nur vier Siegen hingelegt, und es gab nicht wirklich Hoffnung auf Besserung. Stafford spielte damals noch bei den Detroit Lions, was für die Footballkarriere einem Kreuzband- und Meniskusriss mit bleibendem Knorpelschaden gleichkommt. Eine Stafford-Burrow-Super-Bowl? Vor einem Jahr klang das noch nach einem schlechten Scherz.

Football wird hin und wieder als Rasenschach bezeichnet, der Quarterback ist dabei für die Offensive König und Dame zugleich: unfassbar wichtig. Er braucht aber dennoch gute Bauern, Läufer, Springer und Türme. Ohne die entsprechenden Helfer hat es auch ein guter Quarterback schwer, so wie Stafford in Detroit. Er löste das Problem in der Sommerpause, indem er die Lions um einen Wechsel bat - die tauschten ihn wohl mehr aus Mitleid denn aus strategischen Gründen (kein Witz, die Lions sind wirklich so schlecht; sie haben in der Super-Bowl-Ära nie das Finale erreicht, nur ein Playoff-Spiel gewonnen und 2008 eine sieglose Saison hingelegt) gegen Los-Angeles-Rams-Spielmacher Jared Goff.

Hat viel Gefühl und Kraft im rechten Arm - doch Rams-Quarterback Matthew Stafford riskiert deswegen auch oft sehr viel. (Foto: Marcio Jose Sanchez/AP)

Stafford, 34, kam nach zwölf Hundejahren in Detroit (weshalb manche sagen, dass er in Wirklichkeit 106 Jahre alt sei) zu den Rams, und er bemerkte, was die Zuschauer nun im Super Bowl sehen werden: Cam Akers kam nach seinem Achillessehnenriss im Sommer pünktlich zu den Playoffs zurück und bildet mit Sony Michel kein spektakuläres, aber ein zuverlässiges Läufer-Paar. Passempfänger Cooper Kupp, am Donnerstagabend zum besten Offensivspieler der Liga erkoren, ist ein Turm, jederzeit anspielbar, selbst in Doppeldeckung. Der zweite Wide Receiver, Odell Beckham Junior, kam während der Saison; er hat in seiner Karriere immer wieder bewiesen, dass er einer der spektakulärsten Springer und damit Fänger der Liga ist.

Stafford ist gesegnet mit einem rechten Arm, mit dem er unfassbar weit und präzise werfen kann. Er ist aber mit dem Wissen gestraft, dass er mit diesem rechten Arm gesegnet ist. Nicht nur zu Beginn seiner Karriere glaubte er, sämtliche Probleme mit seinem Wurf lösen zu können, gerne auch mal mit einer Technik, die so aussah, als würde er versuchen, einen Stein möglichst häufig auf einem See hüpfen zu lassen. So häufig er Spiele mit verrückten Würfen gewann - oft erst kurz vor Schluss -, so oft verlor er sie schon vorher mit grotesken Fehlwürfen.

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Der Quarterback hat in Los Angeles zwar immer noch viele Fehlversuche dabei, er hat aber - auch das wird am Sonntag zu beobachten sein - gelernt, wann es sich lohnt, einen riskanten Wurf zu wagen. Wie schon erwähnt: Kupp ist quasi immer anspielbar, Beckham pflückt selbst wilde Würfe aus der Luft. Sollte es Staffords Bewachern gelingen, ihn vor den aggressiven Verteidigern der Bengals um Trey Hendrickson zu beschützen, könnte es ein spektakulärer Nachmittag für den Quarterback werden: Die Buchmacher in Vegas prognostizieren mindestens drei Touchdowns für die Rams.

Burrow fühlt sich pudelwohl als König und Dame auf diesem Football-Schachbrett

Das führt zu den Bengals, die eine andere Herangehensweise an diese Saison hatten und deshalb auch einen anderen Zugang zum Super Bowl. Burrow kehrte zu Saisonbeginn als Spielmacher zurück, und traf auf einen alten Bekannten: Ja'Marr Chase, sein Lieblings-Passempfänger an der Louisiana State University, mit dem er die Uni-Meisterschaft gewann, spielt nun auch bei den Profis mit ihm. Die Frage war: Harmonieren die beiden auch auf höchster Ebene? Die Antwort: Burrow wurde am Donnerstag zum "Comeback-Spieler des Jahres" gewählt, Chase zum besten Nachwuchsspieler dieser Saison. Die zwei verstehen sich blind, Burrow kann deshalb auch spontan einen weiten Pass auf Chase wagen.

Die Bengals holten bei der Talentbörse zudem Kicker Evan McPherson, der eine grandiose erste Profisaison hinlegt und gerade wegen des Erfolgs in den Playoffs (er verwandelte in jedem Spiel jeweils vier Field-Goal-Versuche) für eine interessante Konstellation sorgt: Der Gegner weiß, dass die Bengals nur in etwa die gegnerische 40-Yard-Linie erreichen müssen, damit McPherson eine recht hohe Chance auf einen erfolgreichen Tritt hat - und die Bengals damit auf drei Punkte. Und es kann eine Defensive mürbe machen, wenn sie zwar Touchdowns verhindert, aber dennoch Punkte kassiert. Drei Field Goals sind mehr wert (neun Punkte) als ein Touchdown selbst mit Zwei-Punkte-Konversion (acht).

Die zwei Kreuzbandrisse sind vergessen: Bengals-Quarterback Joe Burrow fühlt sich auf dem Feld wohl wie eh und je. (Foto: Marcio Jose Sanchez/AP)

Was genau das bedeutet, war in den Playoffs zu sehen. Die Gegner waren in allen Spielen völlig genervt von den McPherson-Field-Goals, und dann probierte Burrow, als die Bengals schon wieder in Field-Goal-Reichweite waren, diesen weiten Wurf auf Chase oder seltener auf Tee Higgins und C.J. Uzomah. Überhaupt spielt Burrow mit der Selbstsicherheit eines Typen, der nach einem Kreuzbandriss zurückgekehrt ist und gesehen hat, dass alles in Ordnung ist. Der mit seinem kongenialen Mitspieler aus Uni-Zeiten auch bei den Profis zocken darf. Und der weiß, dass er da einen Kicker hat, der gerne den Rekord für das längste Super-Bowl-Field-Goal (derzeit: Steve Christie im Jahr 1994 mit 54 Yards) brechen würde. Er fühlt sich pudelwohl als König und Dame auf diesem Football-Schachbrett.

Der Super Bowl wird oft auf dieses Duell der beiden Spielmacher reduziert, und sehr häufig wird diese Partie auch von einem der beiden entscheidend geprägt - positiv oder negativ. Was diesmal indes auffällt: Die Leute im Pressezentrum reden zwar aus Folklore-Gründen über Stafford und Burrow und suchen nach Gemeinsamkeiten, sportlich geht es aber eher um die erwähnten Nebenfiguren. Jede Wette dennoch, dass die beiden Quarterbacks diese Partie prägen werden, das zeigt auch der Blick nach Vegas: Die beiden Favoriten, zum wertvollsten Spieler des Super Bowl gewählt zu werden, sind Stafford (Quote: 2:1) und Burrow (3,25:1).

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