Fußballentwickler Michael Müller:Die Vertreibung aus dem Maschinenraum

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Michael Müller vor dem Sitz des koreanischen Fußballverbands KFA in Seoul. (Foto: Thomas Hahn/oh)

Vorstopper, Trainer, Jugendkoordinator: Der Sauerländer Michael Müller, 58, war im Fußball immer dort, wo die Grundlagenarbeit anfiel. In Südkorea sollte er die komplette Ausbildung reformieren. Nun muss er gehen - auch, weil Jürgen Klinsmann zu viel lächelte.

Von Thomas Hahn, Seoul

Sechs Jahre später. Michael Müller sitzt in einem Coffeeshop im Seouler Innenstadt-Bezirk Jongno und weiß nicht so richtig, was er tun soll. Sein Vertrag beim koreanischen Fußballverband KFA läuft noch bis Jahresende, das freut ihn. Aber seit der Entlassung des deutschen Ex-Weltmeisters Jürgen Klinsmann als Nationalcoach ist er nicht mehr Chef des Nationalteam-Ausschusses, zu dem der Verband ihn, den Fußballpädagogen Müller, Ende 2023 gemacht hatte. "Mir wurde mitgeteilt, dass ich meinen Vertrag erfüllen soll", sagt Michael Müller, "woran ich konkret arbeite, wird mir in Kürze mitgeteilt." Er überspielt, wie sehr ihn die Situation quält. Er hat immer viel gearbeitet in seinem bewegten Berufsleben, auch beim KFA. Er hat es immer gern getan. Jetzt sitzt er hier, in Südkorea, in einem Job, der keiner ist, und kann nicht weiter. Was ist passiert, seit er im Frühjahr 2018 an dieses andere Ende der Fußballwelt kam?

Michael Müller, 58, aus Menden im Sauerland ist ein Profi aus dem Maschinenraum des Fußballs. Seine Arbeit war immer dort, wo das Spiel entsteht. Er hat mal in der A-Jugend von Borussia Dortmund gespielt, später in der Verteidigung des Drittligisten SuS Hülsten 09. Für mehr reichte sein Talent nicht, trotzdem machte er sein Lieblingsspiel nach Sport- und Sportökonomie-Studium in Köln zum Beruf. Heute füllt sein Werdegang drei Seiten mit Jobs als Trainer, Jugendkoordinator, Scout, Spiele-Analyst, Ausbilder. Als er sich für Südkorea entschied, hatte er 13 Jahre beim Deutschen Fußballbund hinter sich, drei Jahre als Talentsucher, zehn Jahre als leitender Trainerausbilder. Er war zufrieden, aber zu dem Angebot der KFA, Jugendfußball und Trainerausbildung für ganz Südkorea zu reformieren, konnte er nicht Nein sagen. "Das war eine große Herausforderung."

Wenn Michael Müller erzählt, mischt sich die Fremdwortsprache des Sportakademikers mit dem warmen Klang des westfälischen Ex-Vorstoppers, und man lernt viel über die Tiefen des Fußballs. Zum Beispiel über die in Südkorea. Er sollte internationale Standards einführen im eigenwilligen Fußballbetrieb des Tigerstaats. Also neue Kriterien für die verschiedenen Trainerlizenzen sowie die Spielform acht gegen acht für Zehn- bis Zwölfjährige, die bis dahin elf gegen elf gespielt hatten. Vor allem die Reform der Trainerausbildung war schwierig.

Schon der Kinderfußball sei in Südkorea "sehr leistungsorientiert", sagt Müller

"In Korea war die Ausbildung sehr deduktiv, es wurde im Grunde nur nachgemacht, was der Ausbilder sagt", erklärt Müller. Diese Art des Frontalunterrichts ist out im internationalen Fußball. Stattdessen geht es grob gesagt darum, die Lehre des Spiels in Diskussionen zu erarbeiten, damit die Trainerinnen und Trainer später nicht nur stur Übungen mit ihren Spielerinnen und Spielern abarbeiten, sondern Talente kreativ auf das wahre Leben auf dem Platz vorbereiten.

In Südkorea glaubt man an Fleiß, Wettbewerb, Unterordnung. Diese Tugenden durchdringen dort jeden Bereich der Arbeitswelt, auch den Fußball, und zwar nicht erst bei den Erwachsenen. "Schon der Kinderfußball ist sehr leistungsorientiert", sagt Michael Müller. Aus ausgewählten Schülern werden Teams gebildet, die hauptamtliche Privattrainer zum Erfolg coachen sollen. Die Eltern zahlen, und die Trainer fördern weniger Spieltrieb und individuelle Technik der Kinder in ihren U10- oder U12-Teams. Sondern sie formen in täglicher Trainingsarbeit neben dem Schulalltag Nachwuchskollektive für Siege bei den diversen Schulturnieren.

"Es geht um Mannschaftstaktik, nicht um Einzelförderung", sagt Michael Müller. "Dabei hat doch jeder eigene Stärken und Schwächen, an denen gearbeitet werden muss." Es war kein Spaziergang für ihn, seine Vorstellung von Fußballentwicklung in Südkorea zu verbreiten.

Aber Müllers Arbeit muss erfolgreich gewesen sein, sonst hätte die KFA nicht erst seinen Dreijahresvertrag verlängert und ihm dann, nach der WM 2022 in Katar, den Job des hauptamtlichen Beauftragten für alle Nationalteams angeboten. Südkorea war im Achtelfinale gegen Brasilien ausgeschieden, der Portugiese Paulo Bento als Nationalcoach abgetreten. Und Michael Müller war gleich an der Nachfolgersuche beteiligt, die letztlich damit endete, dass der Ex-Sommermärchen-Bundestrainer Jürgen Klinsmann mit einem prominent besetzten Assistententeam die wichtigste KFA-Mannschaft übernahm.

Das Aus für Südkoreas Nationalmannschaft (links Stürmer Son Heung-Min) im Halbfinale des Asien-Cups gegen Jordanien besiegelte auch das Ende von Jürgen Klinsmann als Nationaltrainer. (Foto: Amphol Thongmueangluang /SOPA Images/Imago)

Michael Müller war viel unterwegs als Chef des Nationalteam-Ausschusses, denn er war ja nicht nur für die erste Männermannschaft zuständig. Seine Aufgabe war, die Entwicklung aller KFA-Teams zu begleiten und dann dem Nationalteam-Ausschuss mit Vertretern des koreanischen Trainerwesens davon zu berichten. Michael Müller war mit Südkoreas Frauen bei der WM in Neuseeland und Australien, erlebte den Halbfinaleinzug der Männer-U20 bei der WM in Argentinien und den Sieg der Männer-U23 bei den Asian Games in China. Es war keine erfolglose Zeit, aber das zählte nicht mehr, als die erste Mannschaft beim Asien-Cup in Katar mühevoll durchs Turnier stolperte und dann im Halbfinale gegen den Außenseiter Jordanien ausschied. Die Wut auf Klinsmann war groß, weil die Mannschaft schlecht spielte, weil er zu selten in Seoul war, weil er zu viel lächelte. Er war nicht zu halten. Beim großen Reinemachen wurde dann auch Michael Müller weggefegt.

Dass nach Klinsmann auch er seinen Posten bald räumen muss, respektiert er: "Mitgefangen, mitgehangen."

Und jetzt sitzt er also im Ungefähren, nach sechs arbeitsreichen Jahren in der spannenden asiatischen Fremde. "Es war mir klar, worauf ich mich einlasse", sagt Michael Müller. Er beschwert sich nicht und spricht sehr wenig über die möglichen Gründe für das Asian-Cup-Aus. Lag es am Streit im Team? Oder doch an Klinsmann? Müller kann nur sagen, dass er sein Verhältnis zu Klinsmann gut fand. "Aus Mannschaftsstrategie und Training habe ich mich natürlich rausgehalten."

Insofern ist es etwas seltsam, dass er seinen Posten räumen musste. Müller zuckt mit den Schultern. "Mitgefangen, mitgehangen." Vielleicht war es eine Prinzipienfrage, will er damit sagen. "Man muss das respektieren." Zumal er weiter für die KFA arbeiten will, zumindest seinen Vertrag erfüllen und trotz Klinsmann-Theater für seine Basisarbeit in guter Erinnerung bleiben. "Ich bin ja hier, um meine Fußstapfen für den koreanischen Fußball zu hinterlassen", sagt Michael Müller. Das war schon sein Ziel, als er nach Korea kam, damals, vor sechs Jahren.

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