Suat Serdar bei Hertha BSC:Dem Chaos entkommen

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Geht doch: Suat Serdar erzielt für Hertha BSC das Tor zum 0:1 gegen Bochum. (Foto: Tim Rehbein/RHR-Foto/Imago)

Vom Nationalspieler zum Buhmann: Nach einem miesen Jahr bei Schalke 04 wurde Suat Serdar sogar von den eigenen Fans bedroht. Bei Hertha erhofft er sich Ruhe und Anerkennung - dafür brauchen die Berliner allerdings seine Tore.

Von Philipp Selldorf, Bochum

Als Suat Serdar an einem Dienstagabend im kalten April mit dem Auto von der Arbeit kam, standen die Besucher bereits vor seiner Haustür. Allerdings waren es keine lieben Gäste, die ihn spontan überraschen wollten, sondern Mitglieder einer Fraktion der Schalker Fanszene, die einen mindestens problematischen Ruf hat. Serdar verzichtete darauf, den Wahrheitsgehalt dieser Einschätzung zu überprüfen. Er drehte bei und übernachtete im Hotel auf dem Klubgelände.

Auch dieses Wendemanöver ging ihm möglicherweise am Sonntagabend durch den Kopf, als er nach dem 3:1-Sieg mit Hertha BSC beim VfL Bochum am Rasenrand stand und ein TV-Interview gab. Im Hintergrund grölten ein paar Fans Schalke-Parolen, was in Bochum zwar grundsätzlich nicht erwünscht ist, in diesem Fall aber vielleicht als tolerabel galt. So konnte man wenigstens den Mann ärgern, der dem VfL mit zwei Treffern die unverdiente Niederlage beschert hatte. Im Grunde hatten die Bochumer mehr zu ihrer Niederlage beigetragen als die außerordentlich defensiv orientierten Berliner.

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Wie konnte das geschehen? Hertha BSC agiert auch beim VfL eigentlich harmlos und weitgehend defensiv - doch am Ende macht Trainer Dardai einen beachtlichen Luftsprung.

Von Philipp Selldorf

Sämtliche Berliner Tore hatten sie durch krasse Abwehrfehler nicht nur begünstigt, sondern quasi proaktiv unterstützt. In der Summe wirkte es wie eine organisierte Selbstzerstörung. Serdar profitierte davon in zwei Fällen. Die 2:0-Halbzeitführung, die er damit hergestellt hatte, sorgte aber keineswegs für einen besseren Berliner Auftritt. Die zweite Halbzeit sei "ganz und gar nicht gut" gewesen, stellte er später fest, "aber effektiv - ein Schuss, ein Tor".

Sollte sich der 24 Jahre alte Mittelfeldspieler das Fernsehgespräch noch einmal anschauen, dann wird er womöglich von sich selbst überrascht sein. Dieses Lächeln in seinem Gesicht, war das wirklich er selbst? So gelöst hatte er sich nach einem Fußballspiel lange nicht mehr erlebt. Auch der Wechsel aus Gelsenkirchen hatte ihn ja nicht vom Fluch des Verlierens befreit, der ihn auf Schalke verfolgte; bei Hertha schien er ihn gleich wieder einzuholen. Drei Spiele, drei Niederlagen. Dabei hatte er sich nach dem Abstieg mit Schalke 04 auch deshalb der Hertha angeschlossen, weil er bei den neuerdings wohlsituierten Berlinern stabilere Verhältnisse erwartete - und Nächte ohne unerbetenen Hausbesuch.

"Ich brauche eine richtig gute und eine ruhige Umgebung, um meine fußballerischen Fähigkeiten abzurufen."

Zuerst habe er sich "überzeugt, dass ich in ein gutes Umfeld komme, in dem ich meine Leistungen einbringen kann", hatte Serdar im Sommer erzählt, das Chaos-Jahr im Westen hatte ihn zumindest eines gelehrt: "Ich brauche eine richtig gute und eine ruhige Umgebung, um meine fußballerischen Fähigkeiten abzurufen."

Sein Repertoire deutete er beim Tor zum 1:0 an, einem Sololauf ließ er einen präzisen Schuss in die Ecke folgen. In seinen guten Momenten ist Suat Serdar ein Spieler für das weite Feld zwischen den Strafräumen, stark im defensiven Zweikampf, dynamisch im Vorwärtsgang, schussgewaltig aus der Ferne, torgefährlich im Strafraum. An all diesen Vorzügen hat ihn Jogi Löw gemessen, als er Serdar vor zwei Jahren regelmäßig in die Nationalmannschaft berief. Ebenso regelmäßig ließ er es dann auch wieder bleiben, Serdar lieferte keine Empfehlungen mehr ab.

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Dass Hertha BSC im Sommer den in Bingen am Rhein geborenen Serdar zu sich nahm, zeugt vom Vertrauen in dessen verschüttete Fähigkeiten und von der Arbeit des neuen Managers Fredi Bobic. Dessen Strategien gleichen einem Korrekturprogramm zur Politik des Vorgängers. Serdars Übernahme kostete Hertha nicht mal ein Drittel dessen, was der Verein unter der Führung von Michael Preetz beim Kauf von Lucas Tousart ausgegeben hatte - 25 verrückte Millionen.

Nach dem Direktvergleich des 24-jährigen Franzosen und seines gleichaltrigen neuen Kollegen lässt sich wohl sagen: Suat Serdar bietet für weniger Geld mehr Perspektive - vorausgesetzt, dass sich die Gelsenkirchener Erfahrungen mit quasi monatlich wechselnden Cheftrainern und ständigen Kulissenkämpfen in Berlin nicht wiederholen. Tatsächlich hat er nun mit seinen Toren dem schon deutlich ins Gerede gekommenen Coach Pal Dardai fürs Erste die Stellung gesichert.

"Freut ihr euch jetzt auf eine ruhige Arbeitswoche?", fragte die freundliche TV-Dame in Bochum. Ja, antwortete Serdar: "Vor allem ich - ich hatte ein turbulentes Jahr auf Schalke." Der Schock sitzt offenbar immer noch tief.

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