VfB Stuttgart:Irgendwo zwischen Europapokal und zweiter Liga

Lesezeit: 2 min

Verbeult, aber für den Moment glücklich: Stuttgarts Serhou Guirassy freut sich mit Teamkollege Atakan Karazor über den Sieg gegen Gladbach. (Foto: Volker Müller/Pressefoto Baumann/Imago)

Mit zwei Siegen im DFB-Pokal könnte sich der VfB Stuttgart für die Europa League qualifizieren, ebenso ist der Abstieg weiter eine realistische Gefahr. Der Klub schwankt zwischen den Extremen - es stellen sich Fragen der Priorisierung.

Von Felix Haselsteiner

Serhou Guirassy ging es ganz offensichtlich schon besser, so schnell, wie er in die Arme von Tanguy Coulibaly eilte. Nach einer Kopfverletzung war der Torschütze zum 1:0 zu Beginn der zweiten Halbzeit mit einem dicken Turban ausgewechselt worden. In der 83. Minute schien der Schmerz kurz egal, denn Guirassy war nach einem Sprint von der Bank der erste Spieler, der den Weg zum 22-jährigen Elfmeterschützen fand, der soeben den Stuttgarter Siegtreffer beim 2:1 gegen Gladbach erzielt hatte. Ein Treffer, dem man auch abseits der unmittelbaren Folgen wie dem Torjubel eines Spielers, der angesichts der Schwellung über seinem linken Auge sicher nicht torjubeln sollte, große Bedeutung beimessen konnte.

Tabellarisch nämlich wirkte Stuttgarts Sieg am Samstagnachmittag noch wie ein Befreiungsschlag, ehe er am Abend im Nachgang noch zu einer Art Pflichtprogramm wurde: Schalkes Sieg gegen Werder Bremen am Abend verursachte eine Konstellation, in der für den VfB wenige Wochen vor dem Saisonende nur die Gewissheit besteht, dass nichts gewiss ist, erst recht im Hinblick auf das Pokal-Halbfinale am Mittwoch gegen Eintracht Frankfurt.

Es könnte passieren, dass Stuttgart zwei Relegationsspiele bestreiten muss - und dazwischen das Pokalfinale

In der Mercedes-Benz-Arena könnte in der kommenden Saison daher Zweitliga- und Europa-League-Fußball oder aber Erstliga- und kein Europa-League-Fußball oder gar Erstliga- und Europa-League-Fußball stattfinden, je nach Ausgang der verbliebenen Pokal- und Bundesliga-Spiele. Es könnten zudem in näherer Zukunft Relegationspartien am 1. und 5. Juni bevorstehen, was nicht nur dem VfB, sondern auch dem DFB Kopfzerbrechen bereiten würde, wenn Stuttgart gleichzeitig ins Pokalfinale einziehen würde, das am 3. Juni stattfindet. So oder so: Langweilig wird es nicht am Standort Stuttgart, der sich in den vergangenen zwei Saisons zu einer festen Bühne für das Drama entwickelt hat.

SZ PlusNicht gegebener Elfmeter für Dortmund
:Stegemanns Tortur

Dem Schiedsrichter und dem VAR unterläuft im Spiel des BVB gegen Bochum ein Fehler, der im Titelkampf entscheidend werden könnte. Später berichtet der Referee, wie er die Situation sah - und dass er und seine Familie bedroht wurden.

Von Ulrich Hartmann

Fußballerisch gilt das, weil wie schon im vergangenen Jahr Partien wie die gegen Gladbach, in denen der VfB hervorragenden und bisweilen dominanten Fußball spielt, erst in der Schlussviertelstunde in einem Auf und Ab der Gefühle entschieden werden. Guirassy allein hätte für eine klarere Führung sorgen können, er verfehlte genauso wie der ansonsten hervorragende Enzo Millot oder Silas Katompa Mvumpa - was dann dazu führte, dass der Elfmeter eines 22-Jährigen für wichtige Punkte im Abstiegskampf gebraucht wurde.

Es gäbe Anlass, darüber nach der Saison eine ausgeruhte Debatte zu führen, denn so sehr sich der VfB und sein Publikum gerade an der hauseigenen Dramatik erfreuen: Kein Bundesligist sollte sich auf Dauer darauf verlassen, dass die Dinge immer irgendwie gut ausgehen, zumindest nicht dann, wenn man Bundesligist bleiben möchte.

Wehrle sieht einen großen Teil der Schuld bei Sven Mislintat

Interessant war daher, dass der Vorstandsvorsitzende Alexander Wehrle bereits am Sonntag in diese Analysephase überging. In der Fußball-Talksendung "Doppelpass" kritisierte er lautstark die Einkaufspolitik des im Dezember entlassenen Sportdirektors Sven Mislintat, unter dessen Ägide Anfang September aber immerhin noch der Verlust des Torjägers Sasa Kalajdzic in Person von Guirassy aufgefangen werden konnte. Wehrle sieht beim VfB dennoch einen Kader mit "Defiziten" und sagte: "Da muss man ein Stück weit die strategische Kaderzusammensetzung hinterfragen."

Dass Wehrle selbst erst im dritten Anlauf mit Sebastian Hoeneß einen Trainer gefunden hat, der nun dabei ist, dem VfB gerade eine realistische Chance auf die Rettung einer fast verlorenen Saison zu organisieren, dürfte ebenso ein Teil der Wahrheit sein.

Hoeneß jedenfalls beeindruckt aktuell durch seine sportliche Neuausrichtung - steht nun aber vor Fragen der Priorisierung, die ein wenig über das klassische Von-Spiel-zu-Spiel-Denken im Abstiegskampf hinausgehen. Solche, die mit den Zielsetzungen eines Vereins zu tun haben. Etwa die: Sollte man die Gesundheit eines verbeulten Torjägers Guirassy riskieren, indem man ihm ein Pokal-Halbfinale zumutet - wenn doch gleichzeitig bereits am Samstag gegen die Hertha das nächste entscheidende Spiel in der Liga bevorsteht?

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: