Strittige Entscheidung im Abstiegskampf:Gebrochene Herzen

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Alexis Tibidi (rechts) fällt über den Fuß von Lukas Kübler - es gab keinen Elfmeter. (Foto: Pressefoto Rudel/imago)

Wann ist ein Elfmeter ein Elfmeter? Dem VfB Stuttgart wird erst ein Strafstoß verweigert, direkt danach fällt ein Gegentor. Das kann auch bei gefestigteren Teams zu der Frage führen, ob das Schicksal was gegen einen hat.

Von Christof Kneer

Auf diesen Erfolg haben sie sich beim VfB Stuttgart nicht viel eingebildet. Obwohl es auf den ersten Blick ja schon bemerkenswert war: Zehn Minuten vor Ende der ersten Halbzeit haben die Stuttgarter lautstark den Schiedsrichter kritisiert, und nach der Halbzeit kam der Schiedsrichter tatsächlich nicht mehr wieder. Der VfB gilt als Traditionsverein und der Sportchef Sven Mislintat als kluge Stimme in der Branche, aber so weit reicht ihr Einfluss dann doch nicht: dass sie in der Lage wären, den Schiedsrichter auszuwechseln. Zumal das Bild, das die Stuttgarter in der zweiten Halbzeit vor Augen hatten, noch ärgerlicher war: Weil Tobias Stieler die Spielleitung wegen muskulärer Probleme an den Kollegen Christian Dingert übergeben musste, übernahm Stieler für den Rest der Partie die Rolle als Vierter Offizieller - und stand damit ganz in der Nähe dieses bösen TV-Bildschirms, mit dessen Hilfe er den Stuttgartern so viel Leid zugefügt hatte.

Wann ist ein Elfmeter ein Elfmeter? Beziehungsweise: Wann ist ein Elfmeter vielleicht nicht unbedingt ein Elfmeter, muss aber doch ein Elfmeter bleiben, weil es so entschieden wurde und diese Entscheidung zumindest nicht falsch war? Solche komplizierten Fragen beschäftigen den deutschen Fußball seit der Einführung des TV-Gerichts am Spielfeldrand. Und seitdem hat man sich auch daran gewöhnt, dass die seriösesten Experten zu komplett unterschiedlichen Urteilen gelangen. "Völlig irrsinnig" sei das, schimpfte der Sportchef Mislintat nach der 0:2-Niederlage seines VfB beim SC Freiburg und meinte damit nicht den Elfmeter, den Stieler zunächst zugunsten des VfB verhängt hatte. Mislintat meinte die Flüsterpost des Videoreferees Sven Jablonski, der Stieler die Nachverfolgung der Szene empfahl. Am Spielfeldrand sah Stieler, was alle sahen: wie der Fuß des Freiburger Verteidigers Lukas Kübler den Fuß des VfB-Stürmers Alexis Tibidi berührt - und wie Tibidi dann in voller Fahrt dankbar zu Fall kommt. Unstrittig war, dass es sich um keinen klaren Elfmeter handelte - aber hat man nicht mal gelernt, dass nur sog. klare Fehlentscheidungen rückabgewickelt werden dürfen? Und auch das war ja unstrittig: Eine klare Fehlentscheidung lag nicht vor, wie auch Freiburgs Torschütze Nicolas Höfler später gut gelaunt einräumte. Jedenfalls: Stieler nahm den Elfmeter zurück.

Freiburgs Trainer Streich hat naturgemäß eine andere Sicht auf die Szene

"Es würde nie passieren, dass so ein Elfmeter gegen Mannschaften zurückgenommen wird, die eine andere Reputation haben als der VfB", grantelte Mislintat und verrechnete die Szene im Geiste wohl mit jener aus der Vorwoche, als beim Spiel gegen Leipzig ebenfalls Tibidi gefoult worden war - und dieser ebenfalls leer ausging. Freiburgs Trainer Christian Streich hingegen hatte naturgemäß eine andere Sicht auf die Dinge. "Der Kübi" mache in dieser Szene doch gar nichts, sagte Streich, "zum Glück werden solche Elfmeter zurückgenommen. Das kann niemals ein Elfmeter sein, für uns nicht und für jemand anders nicht."

Beim VfB müssen sie nun verhindern, dass aus Tibidis Sturz jenes Bild wird, an das sie sich in ein paar Monaten mit Grausen erinnern werden. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um in solchen Momenten einen Wink des Schicksals zu erkennen. Unmittelbar nach dem stornierten Elfmeter für den VfB ging Freiburg in Führung, wie zum Hohn wurde Höflers Schuss durch VfB-Verteidiger Hiroki Ito noch abgefälscht. Statt 0:1 stand es jetzt 1:0 - da kann schon bei gefestigteren Teams das Gefühl aufkommen, das Schicksal habe was gegen einen. Solche Augenblicke können einer Elf das Herz brechen - unabhängig davon, dass die Freiburger ohnehin die bessere Mannschaft waren und sicherheitshalber noch ein 2:0 durch Kevin Schade (72.) draufsetzten, das von niemandem zu bestreiten war.

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