Kamil Stochs Tourneesieg:Sein eigenes Maß

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Schwebte im Vorjahr über allen: der Pole Kamil Stoch. (Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Erst fast ausgeschlossen, dann ganz vorne: Kamil Stoch feiert einen emotionalen dritten Tournee-Erfolg. Karl Geiger gelingt in Bischofshofen ein versöhnlicher Abschluss.

Von Volker Kreisl, Bischofshofen/München

Es war nichts zu sehen. Kein Zappler, keine abstehend Hand, nicht der geringste Schaukler in der Luft. Auch die Landung gelang wieder butterweich bei Kamil Stoch. Er setzte wie schon in Innsbruck weit jenseits der Landemarken seiner Konkurrenten im Schnee auf, und so eindeutig und unmissverständlich wie dieser Sprung, so klar war am Ende auch der Ausgang dieser Tournee.

Nur ein Sturz, oder ein Missgeschick wie das vom Norweger Daniel Andre Tande, der 2017 in Führung liegend einen Ski nicht gesichert hatte, hätte den Polen Stoch noch den Sieg kosten können. Als er als Letzter oben stand, waren alle seine Gegner längst durch mit ihrem Wettkampf und hatten nur noch die Rolle des Publikums, das ja auch in Bischofshofen, wie schon den ganzen Winter, über corona-bedingt fehlte. Sie sahen zum Abschluss dieser 69. Vierschanzentournee nochmal ein Lehrvideo darüber, wie man perfekt fliegt, dann schwang Stoch ab und ließ sich von seinen Teamkollegen feiern.

In der Gesamtwertung gelang es Karl Geiger aus Oberstdorf nach einem Sieg zum Einstand, einem tiefen Tal in der Mitte dieser zehn Tage und einem starken Comeback am Ende, noch auf Platz zwei zu springen, nebenbei erreichte er in Bischofshofen auch das Tagespodest auf der dritten Stufe. "Ich bin echt froh", sagte er, "die letzten Tage hatte ich echt zu knabbern, aber es ist mir gelungen, die Spannung wieder hochzufahren." Dritter im Gesamtklassement wurde Dawid Kubacki, der Tournee-Titelverteidiger und Stochs Teamgefährte.

Vierschanzentournee
:Der Reinfall seiner bisherigen Karriere

Karl Geiger braucht viele Stunden, um zu verstehen, warum er die Vierschanzentournee schon so gut wie verloren hat. In Bischofshofen will er die Konkurrenz nicht mehr beachten.

Von Volker Kreisl

Es ist der dritte Tourneesieg des 33-jährigen Stoch, der schon vor acht Jahren Weltmeister, vor sieben Jahren in Sotschi Doppel-Olympiasieger wurde und später vor allem bei der Tournee auf sich aufmerksam machte. Jeder seiner Siege hatte etwas Besonderes. 2017 fiel ihm der Gewinn in den Schoß, wegen Tandes Missgeschick. 2018 gelang ihm der Beweis, dass Sven Hannawalds Tournee-Grand-Slam von 2002 mit Siegen in allen vier Ausgaben doch wiederholbar ist. So etwas ist kaum zu übertreffen, es sei denn mit einem emotionalen Tourneesieg wie nun, 2021.

Der einstige Tournee-Favorit Granerud riskiert noch mal alles - und wird nicht belohnt

Die gesamte Serie war ja von Beginn an gekennzeichnet durch ihre Unberechenbarkeit. Schon zu Beginn wurde das polnische Team ausgeschlossen, nach negativen Coronatests dann wieder aufgenommen, weil das Gesundheitsamt selbst wohl Zweifel an diesem Ergebnis bekommen hatte. An der Spitze gab es einen ständigen Wechsel, und auch dahinter ein Vor und Zurück in den Platzierungen. Marius Lindvik aus Norwegen musste zwischendurch eine Zahnoperation vornehmen lassen und sprang dann, als wäre nichts gewesen, in blendender Form wieder in Bischofshofen vom Tisch. Einer der Verlierer dieses Finales war Lindviks Teamkollege, der Gesamtweltcup-Führende Halvor Egner Granerud. Er setzte alles auf eine Karte und versuchte mit einem riskanten Trick, nämlich der Abkürzung des Anlaufs, Extrapunkte zu ergattern, was aber misslang. Granerud rutschte am Ende sogar vom Podest.

Die deutschen Springer hatten als Rückkehrer am Ende nur noch Karl Geiger, der diesmal alleine für Furore sorgte, weil von den anderen Topspringern des Deutschen Skiverbandes früh nichts mehr zu erwarten war. Markus Eisenbichler hatte die mäßige Tendenz seiner zurückliegenden Sprünge nicht umkehren können. Ihm hatte erst in Garmisch-Partenkirchen das Gefühl für die Schanze gefehlt, weil seine Beinmuskeln zu hart wurden, womit einem Springer das Gefühl für die Schanze und den Abdruck an der richtigen Stelle verloren geht. In Innsbruck wurde dies zwar besser, aber trotz eines höheren zweiten Sprungs schien sein Selbstvertrauen weiter eher in Bodennähe zu bleiben.

Und in Bischofshofen, auf der weiten Schanze, auf der einer wie er ins Fliegen kommen kann, blockierte dann sein System. Die Konsequenz: Eisenbichler kam schon bei 120,5 Metern auf, weit vor der grünen Linie, und verpasste den zweiten Durchgang. "Ich hatte kein Gefühl beim Fliegen", sagte er später im ZDF, und wurde dann auch noch deutlicher: "Das war ein echter Dreckssprung." Und folglich: "Ich werde mir heut Abend ein paar Bier reinstellen."

Er und Geiger sind, wenn nicht gerade Corona-Abstandsregeln gelten, gute Zimmerkollegen. Deshalb ist zu vermuten, dass auch Geiger, der in Innsbruck mit einem miserablen Sprung im ersten Durchgang gerade noch in den Finaldurchgang kam, von Eisenbichler noch getröstet worden war, nun umgekehrt seinem sportlich bruchgelandeten Freund Zuspruch gibt, und sich dabei vielleicht ebenfalls ein paar Bier reingestellt hat - aber nicht nur aus Solidarität, sondern auch für seinen weiten und insgesamt gelungenen Sprung im ersten Durchgang. Als erster des Abends war er dran, und er hatte der Konkurrenz eine Weite vorgelegt, mit der er im Finale als einer der Führungsgruppe antreten konnte.

Für die kommenden Aufgaben dürfte er nun Selbstbewusstsein haben. Schon in zwei Tagen geht es ja weiter, beim Weltcup in Titisee-Neustadt. Dort wird auch der Rest des Teams von Bundestrainer Stefan Horngacher wieder antreten, somit auch Constantin Schmid, Martin Hamann und Severin Freund, die zum Abschluss in Bischofshofen jeweils eine Aufwärtstendenz zeigten. Sie alle werden den Schwung wieder aufnehmen, für die Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft in Oberstdorf in sechs Wochen, der nächsten Großveranstaltung des Skispringens in diesem Winter.

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