Stabhochspringerin Silke Spiegelburg:"Das kann doch nicht sein, dass ich immer Vierte werde!"

Lesezeit: 3 min

Sie weinte schon, da war sie noch im Fallen: Wieder einmal hat Stabhochspringern Silke Spiegelburg bei einem Großereignis eine Medaille verpasst. Sie sprang gut, hatte aber einfach kein Glück. Nach dem letzten Versuch veranstaltete sie einen bizarren Lauf durch das Londoner Olympiastadion.

Jürgen Schmieder, London

Silke Spiegelburg weinte schon, da war sie noch im Fallen - und es ist durchaus möglich, dass eine Träne auf die Matte tropfte, noch bevor die Stabhochspringerin darauf landete. Sie hatte beim Versuch über 4,75 Meter die Latte mit nach unten genommen, es war ihr letzter Versuch. Sie war Vierte. Mal wieder. Wie bei der Weltmeisterschaft 2009 in Rom. Wie bei der Europameisterschaft in diesem Jahr in Helsinki. Wie nun bei Olympia 2012.

Drama um Silke Spiegelburg
:Einfach kein Glück

Stabhochspringerin Silke Spiegelburg wollte endlich eine Medaille gewinnen - doch für mehr als 4,65 Meter reicht es nicht. Anschließend fließen die Tränen. Weil auch Favoritin Jelena Issinbajewa patzt, machen zwei Außenseiterinnen den Olympiasieg unter sich aus.

Nach ihrem Versuch veranstaltete sie einen bizarren Lauf durch das Olympiastadion von London, verbunden mit Gesten bitterer Enttäuschung. Erst lief sie über die Tartanbahn und vergaß dabei fast, dass darauf gerade das Finale über 3000 Meter Hindernis ausgetragen wurde. Sie rannte hinüber zu ihrem Trainer Leszek Klima, es sah aus wie eine hitzige Diskussion, doch das war es nicht: "Ich habe zu ihm gesagt: 'Das kann doch nicht wahr sein, dass ich immer nur Vierte werde!'"

Sie ging zurück, wieder kamen die Läuferinnen vorbei. Spiegelburg riss sich die Nummer von der Hose, sie schüttelte den Kopf, immer wieder, sie schluchzte, sie warf die Hände in die Luft, sie brüllte, schluchzte wieder.

Dann wollte sie einfach nur weg. Doch das konnte sie nicht. Erst einmal musste sie ihren Stab wegräumen, also stapfte sie zur Matte, packte ihr Sportgerät und schleuderte es zu den anderen Stäben. Dann wollte sie endlich aus dem Innenraum flüchten, doch aus das ging nicht. Sie musste erst ihre Sachen sammeln.

Die Aufwärmklamotten lagen noch neben der Anlaufspur herum, andere Utensilien waren auf der Bank verteilt. Spiegelburg sammelte alles zusammen, stopfte es in einen Rucksack und ging davon - doch als sie hinaus wollte, befanden sich die Medaillengewinner des 3000-Meter-Hindernis-Laufes gerade auf der Ehrenrunde. Diese Frau hatte einfach kein Glück an diesem Abend.

Sie lief dann noch durch die Katakomben des Stadions, es war immer das gleiche Bild: ein Kopf, der sich hin und her bewegte, zwei Hände, die auf dem Kopf lagen, viele Tränen, die die Wange hinunterkullerten. Irgendwann stand sie vor einer Kamera, doch sie brachte keinen Ton heraus. Der Reporter eines Fernsehsenders streichelte ihren Arm und gab ihr ein Taschentuch.

"Immer werde ich Vierte bei Großereignissen, langsam will man's einfach nicht mehr wahrhaben", sagte sie ein paar Minuten später, als sie bei den Journalisten stand, "ich weiß gar nicht mehr, was ich sagen soll." Sie sei locker gewesen, sie sei frei gewesen, sie habe Spaß gehabt: "Es war bei diesem Wind auch ein wenig Glückssache."

Drama um Silke Spiegelburg
:Einfach kein Glück

Stabhochspringerin Silke Spiegelburg wollte endlich eine Medaille gewinnen - doch für mehr als 4,65 Meter reicht es nicht. Anschließend fließen die Tränen. Weil auch Favoritin Jelena Issinbajewa patzt, machen zwei Außenseiterinnen den Olympiasieg unter sich aus.

In der Tat wehte ein garstiger Wind durch das Olympiastadion, dazu regnete es - mal heftig, mal nieselte es nur. Sollte jemand künftig versuchen, ideale Bedingungen für einen Wettkampf im Stabhochsprung zu beschreiben, dann könnte er sagen: genau das Gegenteil von London am 6. August 2012. Auch die anderen Springerinnen sprachen danach davon, wie schwierig dieser Wettkampf gewesen war. "Das waren die schlimmsten Bedingungen, die ich jemals erlebt habe", sagte Jelena Issinbajewa. Jennifer Suhr aus den USA ergänzte: "Es war verrückt - immer wenn man dachte, es wird ruhig, wurde es nur noch schlimmer."

Spiegelburg war gut in diesen Wettkampf gekommen, zwei Höhen ließ sie aus, zwei schaffte sie im ersten Versuch - dann begann das Taktieren: Sie scheiterte im ersten Versuch über 4,70 Meter, die Jennifer Suhr (später Gold), Yarisley Silva (Silber) und Jelena Issinbajewa (Bronze) geschafft hatten. Ein gültiger Versuch über diese Höhe hätte ihre Position nicht verbessert, also wechselte sie gleich zur nächsten Höhe. An der scheiterte sie zwei Mal und schied aus. "Ich war frei, warm und spritzig, mein Sprung war auch gut, aber ich bin eben nicht drübergekommen", sagte sie danach.

Man muss diesen Wettkampf in einem anderen, womöglich größeren Kontext sehen. 26 Jahre ist sie nun alt. Vor sieben Jahren hatte sie mit 4,48 Metern den Junioren-Weltrekord aufgestellt, sie galt damals als großes Versprechen. Sie hat dieses Versprechen auch eingelöst, sie hat ihre Bestmarken stets verbessert, in diesem Jahr gelang ihr in der Halle ein Sprung über 4,77 Meter. Im Freien schaffte sie in Monaco kurz vor Olympia gar einen Versuch über 4,82 Meter.

Sie konnte auch ihre Platzierungen stets verbessern. Bei Olympia 2004 war sie 18. geworden, vor vier Jahren in Peking dann Achte. "Ich will eine sehr gute Leistung zeigen und hoffe, dass dann etwas Schönes herauskommt", hatte sie vor den Spielen gesagt, "was, bleibt ein Geheimnis." Dieses Geheimnis verriet ihr Trainer Leszek Klima, der sie "in der Form ihres Lebens" gesehen hatte: "Eine Medaille!"

Die Medaille bekam sie nicht, sie hat eben dieses Problem bei großen Wettkämpfen, dass da immer eine oder drei Springerinnen besser sind. Die häufigsten Positionen im Endklassement sind zwei (Hallen-EM 2009/2011, EM 2010) oder vier (WM 2009, EM 2012, Olympia 2012). Bei der EM 2009 war sie gar genauso hoch gesprungen wie die Frauen, die später Silber und Bronze gewonnen hatten - nur sie hatte einen Versuch mehr gebraucht. "Immer bei diesen Wettkämpfen", sagte Spiegelburg und schüttelte noch einmal den Kopf. Diese Tage sind wirklich nicht ihre Tage.

Und dieser Tag in London, das war überhaupt nicht ihr Tag. Denn sie durfte immer noch nicht das Stadion verlassen: "Ich muss noch zur Dopingkontrolle, die machen schon Stress", sagte sie und ging wieder zurück zu den Umkleidekabinen. Im Stadion absolvierte in genau diesem Moment Jennifer Suhr ihren letzten Sprung. Sie lachte, als sie auf die Matte fiel.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: