St. Pauli in der 2. Liga:So zu spielen, muss man sich erst mal trauen

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Will es mit seinem Team noch weit bringen in der 2. Bundesliga: St.-Pauli-Coach Fabian Hürzeler, 30. (Foto: Marcus Brandt/dpa)

Der Kiezklub FC St. Pauli steht nach einem 5:1 gegen Nürnberg an der Tabellenspitze - auch dank der besonderen Herangehensweise des jungen Trainers Fabian Hürzeler.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Es fehlte nicht viel, dann wäre es im Hamburger Millerntorstadion zu einem kleinen Eklat gekommen. Der Samstagabend war für den FC St. Pauli mal wieder so gelaufen, wie das besser kaum möglich ist, denn der beeindruckende 5:1-Sieg gegen den 1. FC Nürnberg wurde von einer nicht weniger imposanten Stimmung auf den Rängen begleitet. Doch manchmal geht das ja schnell: Aus Freude wird Überschwang, und nach dem Hochmut kommt der Fall. Die paulianischen Fans, der religiösen Tendenzen eigentlich unverdächtig, waren so angetan von der Leistung ihrer Mannschaft, dass sie ihre Spieler mit Sprechchören in den Rang von "Fußballgöttern" erhoben.

Nett gemeint, ein großes Lob, nur dann doch ein wenig viel für Fabian Hürzeler. Der Trainer der Paulianer reagierte zwar nicht gleich empört, als er nach der Partie auf diese Elogen angesprochen wurde, nein, er wolle da auch überhaupt nicht auf "die Bremse treten". Er selbst stehe allerdings für "Demut und Bescheidenheit", während St. Pauli ein klassisches "Arbeitermilieu" sei. Sollte heißen: Eine Heiligsprechung der Mannschaft ist weder zu erwarten noch erwünscht, und da ist es übrigens unerheblich, dass das Millerntorstadion direkt neben einem 20 Hektar großen Veranstaltungsgelände mit dem Namen "Heiligengeistfeld" gelegen ist. Hürzeler dürfte allerdings sicher Kenntnis darüber haben, was der Kiezklub mittlerweile für ein Bild abgibt. Denn es ist endgültig nicht mehr zu übersehen, wie sehr dieser FC St. Pauli auf dem Weg ist, eine sogenannte "Trainermannschaft" zu werden. Und das muss ja zwangsläufig vor allem an ihm liegen, dem Trainer.

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Hürzeler, 30, ist der jüngste aller Zweitliga-Coaches, aber er verantwortet das aktuell reifste Team im Unterhaus. Allein die nackten Zahlen sind formidabel: St. Pauli steht an der Tabellenspitze, ungeschlagen, mit der besten Defensive sowie der besten Tordifferenz. Dass der Vorsprung auf den Zweitplatzierten, den vermeintlich großen Stadtrivalen Hamburger SV, nur zwei Punkte beträgt, liegt an einer kleinen Unentschieden-Serie, die sich in den Saisonstart geschlichen hatte.

Kaum eine deutsche Mannschaft überführt die Theorie aktuell so gut in die Praxis wie St. Pauli

St. Pauli dominierte, aber es fehlten die Tore. Doch statt öffentliche Wehklagen zu verbreiten oder betriebsinterne Mittelstürmerdiskussionen zu starten, entwickelte Hürzeler die Treffer aus dem Organismus selbst heraus, indem er Spieler stark machte, deren Zweitligatauglichkeit zeitweilig in Zweifel gestanden war: Angreifer Johannes Eggestein, 25, etwa galt schon als gescheitertes Talent, bei St. Pauli hat er nun seine Rolle und seinen Riecher gefunden. Gegen Nürnberg traf Eggestein doppelt und harmonierte mal wieder blendend mit dem rasanten Flügelmann Elias Saad, der vor einem Dreivierteljahr noch bei Eintracht Norderstedt kickte, Regionalliga.

Die Paulianer schauen gerne mal in die fußballerische Nische, weil sie wissen, dass man dort spannende und erschwinglichere Spieler finden kann - und weil sie in Hürzeler einen Coach haben, dem passende Profile wichtiger sind als Meriten. So haben sie beim Kiezklub ein Milieu geschaffen, in dem sich auch Einzelkönner wie der Spielmacher Marcel Hartel entfalten können, ohne dass sie dabei über ihren Teamkollegen schweben.

Johannes Eggestein (li.) hat seinen Weg bei St. Pauli gefunden - und der führt ihn recht häufig zum gegnerischen Tor. (Foto: Marcus Brandt/dpa)

"Es soll Spaß machen, doch es steckt auch ein klarer Plan dahinter", sagte Hürzeler am Samstag. Was er nicht extra erwähnte, aber schon eine ganze Weile zu besichtigen ist: Diesen Plan überführt seine Mannschaft so präzise von der Theorie in die Praxis, wie das im deutschen Profifußball aktuell nur wenige Teams hinbekommen. St. Pauli praktiziert ein riskantes Aufbauspiel, die Akteure passen und rochieren vor allem durchs Zentrum, mitunter nehmen die Verteidiger das Tempo raus und streicheln den Ball etwas provokant mit der Sohle - ein sogenannter "Trigger", um das Pressing des Gegners zu provozieren. So zu spielen, muss man sich erst mal trauen. Und es braucht eine klare Struktur, ein intuitives und gelerntes Gefühl, was der Nebenmann gerade macht oder im nächsten Moment machen wird.

"Wir haben mutig aufgelöst", erklärte Hürzeler und meinte damit: Das Anlocken der Nürnberger hat so gut funktioniert, dass vorne Räume frei wurden, die seine Mannschaft für sich nutzen konnte. Nach einem 1:1-Halbzeitstand war die Überforderung der Gästeelf nicht mehr zu kaschieren, außer Eggestein trafen für St. Pauli Saad sowie die einwechselten Etienne Amenyido und Connor Metcalfe. "Um es auf den Punkt zu bringen", sagte der Nürnberger Trainer Christian Fiél, "wir haben gegen eine Mannschaft verloren, die besser ist als wir." Möglich, dass noch weitere Zweitliga-Coaches zu dieser Erkenntnis kommen.

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