SpVgg Greuther Fürth:Öfter auf die Zunge beißen

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"Ich komme aus der sechsten Liga und habe das Gefühl, dass ich Dinge verbessern kann." - Alexander Zorniger. (Foto: Wolfgang Zink/Imago)

Alexander Zorniger ist in Fürth nicht mehr derselbe Trainer, der er in Stuttgart war. Die sechseinhalb Jahre im Ausland, in Kopenhagen und Limassol, haben ihn verändert. Aber auch künftig will er niemand sein, der anderen nach dem Mund redet.

Von Christoph Ruf

Wenn Alexander Zorniger seine Spieler an diesem Montag zum Trainingsauftakt begrüßt, dürfte er ihnen erstmal ein erfolgreiches neues Jahr wünschen - und vermutlich dabei in sehr zuversichtliche Gesichter blicken. Alles andere wäre erstaunlich. Denn zum einen kann das Jahr 2023 aus Sicht der Fürther nur besser werden als das zurückliegende, das man nur als saisonübergreifende Seuche bezeichnen kann. Und zum anderen ist es ja eben Zorniger selbst, unter dessen Ägide Fürth mit drei Siegen und einem Unentschieden genauso viele Punkte geholt hat wie in den 13 zuvor, für die Marc Schneider verantwortlich war. Wer sich heute mit Fans unterhält, trifft plötzlich wieder auf glückliche Menschen. Die Angst, nach dem demütigenden Bundesligajahr umgehend in die Dritte Liga durchgereicht zu werden, war im Ronhof mit Händen zu greifen. Unrealistisch war die Sorge nicht, Fürth stand auf dem letzten Tabellenplatz, als Zorniger übernahm.

Vielleicht ist es dann ja auch gar nicht so verwunderlich, wie schnell ein zutiefst deprimiertes Fürther Publikum nun wieder mit sich, dem Verein und dem Trainer im Reinen ist. Überaus verwunderlich dürfte es hingegen vielen Menschen vorkommen, dass auch der Trainer selbst genau diese Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt. Alexander Zorniger hat die vergangenen sechseinhalb Jahre im Ausland gearbeitet. Doch da die deutsche Fußballöffentlichkeit weder die Geschicke von Brøndby Kopenhagen noch von Apollon Limassol verfolgt, ist er den meisten noch aus seiner Stuttgarter Zeit vor sieben Jahren in Erinnerung, wo er schon nach ein paar Monaten entlassen wurde.

Dass die bundesliga-untaugliche Abwehr damals nicht von ihm zusammengestellt worden war und auch seine Nachfolger den Abstieg nicht verhindern konnten, ist nicht mehr im kollektiven Gedächtnis der Fußball-Nation. Dass Zorniger sich mit Timo Werner anlegte und generell konfliktfreudig war, hingegen schon. Zorniger weiß das. Wie könnte es anders sein? Er wird ja ständig darauf angesprochen. Damals, 2015, legte der aufstrebende Werner nach seinem Ausgleichstreffer in Hoffenheim einen theatralischen Handkuss-Jubel hin. Und vergab kurz darauf eine aussichtsreiche Chance, was Zorniger mit der Imitation der Küsschen-Geste quittierte.

"Wenn du mit der Art, wie ich früher war, erfolgreich bist, dann bist du ein Typ. Wenn nicht, dann wirst du als sturer Bock dargestellt, als Holzkopf."

Die meisten Kollegen hätten sich an Zornigers Stelle auch über den Nationalspieler geärgert, da ist er sich Zorniger heute noch sicher. Aber sie hätten es sich nicht so anmerken lassen. "Ob du etwas erkennst, oder ob du es auch sagst, sind halt zwei Paar Stiefel. Das war sicher mein entscheidender Fehler, dass ich gedacht habe, wenn ich Recht habe mit dem was ich sehe, dann ist es auch richtig." Ist es aber nicht immer. Zumindest nicht, wenn die Siege ausbleiben, wie Zorniger heute weiß. "Wenn du mit der Art, wie ich früher war, erfolgreich bist, dann bist du ein Typ. Wenn nicht, dann wirst du als sturer Bock dargestellt, als Holzkopf."

Wie der Zorniger von 2015 über die jetzige Fürther Mannschaft gesprochen hätte? In der soll es ja zwei, drei Spieler geben, die bei gegnerischem Ballbesitz auch mal eine Laufpause einlegen. Doch der Zorniger von 2023 würde ihre Namen wohl selbst dann nicht öffentlich nennen, wenn die Delinquenten beim Herumstehen Kusshändchen verteilen würden. Der Zorniger von heute - und das ist ihm wichtig - ist anders als der von 2015. Die sechseinhalb Jahre im Ausland haben ihn verändert. "Wir Deutschen neigen dazu, uns für den Nabel der Welt zu halten und unsere Sicht als das Maß aller Dinge", sagt er. Und in Dänemark? "Steht an erster Stelle das Privatleben, die Freunde, die Familie. Und dazu dient ein Berufsleben, das Spaß machen muss."

Zum anderen laufe eben vieles von selbst, wenn gleich die ersten Spiele gewonnen werden. "Dann fällt es einem als Trainer leichter, sich auch mal auf die Zunge zu beißen und nicht jede Situation, die du erkennst, auch gleich anzusprechen." Zumal Zorniger in Fürth eine Mannschaft vorfand, die nichts weniger brauchen konnte als den verbalen Vorschlaghammer. "Die Spieler hätten doch nichts weniger gebraucht als einen Trainer, der ihnen nach einem Negativlauf, der über ein Jahr gegangen ist, auch noch erzählt, was sie falsch machen, wenn sie endlich mal wieder gewinnen."

Der Fürther Kader wurde für eine aktive, auf Ballbesitz orientierte Spielweise zusammengestellt

Jemand, der anderen nach dem Mund redet, war Zorniger noch nie. Er will es auch künftig nicht sein. Authentizität sei eine der größten Waffen eines Trainers, sagt er. Und er stehe nun mal für eine bestimmte Art von Fußball. Einen, der auf hohem Anlaufen, sofortigem Gegenpressing und Vertikalspiel beruht. Beides hat er in Fürth sofort eingeführt. Schon im ersten Spiel unter Zorniger, einem zähen 1:0 gegen Bielefeld, standen die Linien zehn Meter höher als zuvor. In voller Überzeugung, dass das auch für den Fürther Kader, der für eine aktive, auf Ballbesitz orientierte Spielweise zusammengestellt worden war, die beste Option sein würde. Dabei sei ein gutes Pressing immer nur zu 80 Prozent wichtig. "Die anderen 20 sind immer Mentalität und Emotionalität."

Genau diese Widerborstigkeit, meinen viele Beobachter, war vor dem Trainerwechsel zu selten im Fürther Spiel zu erkennen. Zornigers Vorgänger Marc Schneider passte menschlich prima nach Fürth. Doch Spiele wie das Pokal-Aus bei den Stuttgarter Kickers oder das leidenschaftslose Derby gegen den Club gaben den Verantwortlichen mindestens ebenso zu denken wie die Punkteausbeute. Die Trennung nach dem 13. Spieltag war eher nicht übereilt.

Dass Zweikämpfe nun wieder mehrheitlich gewonnen werden, ist kein Zufall. Denn "Mentalität", ein Wort, das Zorniger oft benutzt, kann man nur dann vermitteln, wenn man intensiv trainieren lässt. In dieser Hinsicht hat sich Zorniger bestätigt gefühlt, als er mal bei Christian Streich im spanischen Trainingslager vorbeigeschaut hat und "eine wahnsinnige Intensität" im Freiburger Training sah. Zorniger glaubt, das könnte auch daran liegen, dass sie beide nicht auf 300 Bundesligaspiele als Aktive zurückblicken, dass sie aus dem Amateur- und Jugendbereich kommen, wo es gar keine Alternative zum eigentlichen Leitmotiv des Trainerdaseins gibt, jeden einzelnen Spieler kontinuierlich weiterzuentwickeln. "Ich komme aus der sechsten Liga und habe das Gefühl, dass ich Dinge verbessern kann. Aber eben nicht in jeder Situation, sonst wird es zur Überforderung."

Der erste Satz ist ein Glaubensbekenntnis, der zweite einer, den er 2015 niemals hinzugefügt hätte. Dazwischen stehen viele Jahre in Dänemark. Und die Heirat mit einer ehemaligen Sportjournalistin, die sich in ihrem Blog darüber wundert, dass es ihr gelang, "den Steppenwolf" einzufangen. Der Steppenwolf ist mit seiner Frau und den beiden Kindern dieser Tage endgültig nach Fürth gezogen.

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