SpVgg Bayreuth:Durch die Decke

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"Die ersten 10 000 Karten waren in 36 Minuten weg": Das Hans-Walter-Wild-Stadion ist gegen den HSV selbstredend ausverkauft. (Foto: Weiland/Fotostand/Imago)

"Es ist einfach irre": Erstmals seit 1990 spielt die SpVgg Bayreuth wieder im nationalen Fußball, an diesem Samstag kommt der Hamburger SV. Ein Treffen mit einem Wegbereiter.

Von Sebastian Leisgang

Nach fast einer Stunde, im Laufe des Gesprächs hat Wolfgang Gruber schon so viel erzählt, dass er kaum dazu gekommen ist, einen Schluck zu trinken, nach fast einer Stunde also erinnert sich Gruber an diese Mauer. Zehn Jahre ist es mittlerweile her, irgendein Sonntag, irgendein Dorfsportplatz im Umland von Bamberg, irgendein Auswärtsspiel der SpVgg Bayreuth, und Gruber, der Geschäftsführer, schaute über eine Mauer am Spielfeldrand und sah - nichts.

Gruber, 53, meint das überhaupt nicht despektierlich, wenn er jetzt davon spricht, dass die Spielvereinigung damals "am Ende der Welt" gespielt habe. Aber sechste Liga, manchmal nur hundert Zuschauer und hin und wieder auch derart holprige Rasenfelder, dass an ein gepflegtes Fußballspiel kaum zu denken war, das war ja in gewisser Weise wirklich das Ende der Welt. Es war jedenfalls nicht das, was dem Bayreuther Selbstverständnis entspricht, doch Gruber sagt auch: "Wir wollen diese Zeit nicht missen, weil wir dadurch unseren Weg gefunden haben."

Es war ein warmer Sommertag in Bayreuth, aber jetzt, an diesem Abend, kühlt es etwas runter. Gruber, große Brille, dunkelblaues Polohemd, weiße Hose, sitzt in seinem Büro und spricht über die SpVgg Bayreuth und das Auf und Ab, das er mitgemacht hat. Gruber ist einer, der sich auszudrücken weiß. Klar, er ist Chirurg, er ist Stadtrat. Wenn er aber über den Weg spricht, der hinter der Spielvereinigung liegt, dann verfällt er manchmal ins Saloppe und formuliert plötzlich Sätze wie: "Es ist einfach irre, wie groß die Aufmerksamkeit auf einmal ist."

Damals, als die Mannschaft in der Landesliga von Dorf zu Dorf fuhr, da interessierte sich kaum jemand für den Verein. "Da waren wir erst mal in der Bedeutungslosigkeit", sagt Gruber, "ich bin hier Rettungshubschrauber geflogen und dachte eigentlich, dass ich alle Dörfer kenne." Kurze Pause. "Aber das war nicht so." Als Sechstligist kamen die Bayreuther in die entlegensten Orte - und heute, als Drittligist, hat es die Spielvereinigung auf einmal mit Vereinen wie Dynamo Dresden und dem TSV 1860 München zu tun. Und an diesem Samstag, wenn die erste Runde im DFB-Pokal ausgespielt wird, da kommt der Hamburger SV ins Hans-Walter-Wild-Stadion.

"Die ersten 10 000 Karten waren in 36 Minuten weg", sagt Gruber in seinem Büro und klingt beinahe wie ein Kind, das es kaum fassen kann, wie groß das Geschenk unterm Weihnachtsbaum ist. Schon vergangenes Jahr schaffte es die SpVgg in die erste Runde, aber da waren gegen Bielefeld nur 5000 Leute zugelassen.

Hinter Gruber hängt ein riesiges Gemälde an der Wand, das genauso bunt ist wie die Zeit, auf die sein Verein zurückblickt. Als er 2009 einstieg, hatte der Klub gerade einen Insolvenzantrag gestellt. "Niemand wollte den Vorsitz übernehmen", erzählt er, "und dann braucht es zwei Dinge: Überzeugung - und eine gewisse Hybris."

Es gab mehrere Tiefpunkte. "Wir standen oft vor der Frage: Machen wir hier überhaupt weiter?"

Gruber hatte beides, musste dann aber erkennen, was es wirklich bedeutet, wenn ein Weg steinig ist. Der Verein sei in den vergangenen 15 Jahren nicht immer beliebt gewesen, sagt Gruber: "Und das aus gutem Grund, weil die Spielvereinigung viel guten Willen verbrannt hat." In all den Jahren gab es mehrere Tiefpunkte, und Gruber hat sie alle erlebt: "Wir standen oft vor der Frage: Machen wir hier überhaupt weiter?"

Vier Jahre ist es gerade mal her, als der Klub mal wieder am großen Ganzen zweifelte. Damals hatte Bayreuth Josef Albersinger als Trainer engagiert, um mit ihm den Weg aus der Regionalliga in den professionellen Fußball zu gehen. Das war die Idee, das war der Plan. Und nach den ersten sieben Spielen fand sich die Mannschaft mit null Punkten und 1:15 Toren auf dem letzten Platz wieder. "Da stand alles auf der Kippe", verrät Gruber. Damals trieb es ihn um, wie schlecht es dem Verein ging, heute spricht er mit fester und ruhiger Stimme über die damalige Zeit. Gruber weiß ja, dass am Ende alles gut gegangen ist. Dass der Plan über Umwege doch noch funktioniert hat, dass die Spielvereinigung jetzt wieder wer ist.

Grund zum Staunen: Wolfgang Gruber mit Geschäftsführungs-Kollege Michael Born. (Foto: Peter Kolb/Imago)

Gruber weiß allerdings auch: Die dritte Liga ist ein Abenteuer für den Klub. In den meisten Spielen wird Bayreuth Außenseiter sein; und dass Trainer Timo Rost den Verein nach dem Aufstieg in Richtung Aue verlassen und in Ivan Knezevic und Tim Danhof zwei Spieler mitgenommen hat, das macht die Sache nicht leichter. Auch im Gespräch wird deutlich, dass Rosts Abschied mit Gruber etwas gemacht hat. Er habe einen sehr guten Eindruck von Thomas Kleine, sagt Bayreuths Geschäftsführer. Der neue Trainer sei nüchterner und sachlicher, weniger emotional, als Rost es war, und das tue der Mannschaft gerade gut. Doch dann wirft Gruber einen Blick auf dieses Foto. Gruber und Rost in der Stunde des Erfolgs, Arm in Arm, den Mund weit aufgerissen, schreiend vor Glück.

Als Gruber das Bild anschaut, merkt man, dass ihm das was bedeutet. Er hat ja eine Menge erreicht mit Rost. 2019 riefen die beiden die dritte Liga als Ziel aus. Drei Jahre wollten sie sich Zeit geben, um den Klub wieder in den nationalen Fußball zu führen, in dem Bayreuth zuletzt 1989/90 gespielt hatte. Und in dieser Zeit haben sie es auch hinbekommen.

"Am Anfang sind wir belächelt worden", sagt Gruber, "ich verstehe das auch."

"Am Anfang sind wir belächelt worden", sagt Gruber, "ich verstehe das auch, weil es mutig war, zu sagen, dass wir aus einem Abstiegskandidaten einen Aufsteiger formen wollen." In dieser Zeit prasselte einiges auf Gruber und die anderen Verantwortlichen ein, doch sie hielten das alles gemeinsam aus. "Wir leben in einer Zeit der Kommentare. Und wir wissen, dass diese Kommentare deftiger und heftiger werden." Doch er, Gruber, glaubte an das, was er auch öffentlich sagte. Und heute sitzt er in seinem Büro und ruft: "Es geht durch die Decke - wie eine Rakete."

Gruber spricht jetzt über diesen Maitag vor ein paar Wochen, als mehr als viertausend Leute in Gelb aufs Bayreuther Stadtparkett kamen, um die Mannschaft und die Meisterschaft zu feiern. Für Gruber war es ein besonders bewegender Tag. Er weiß ja, wie es auf den Dorfsportplätzen in der Landesliga zugeht, er war ja auch in all den Momenten dabei, als sich Bayreuth die Sinnfrage stellte. Und jetzt, im Sommer Zweiundzwanzig, da kommt auf einmal der HSV. "Du kannst gegen Bayern oder Dortmund spielen, die Hütte ist voll, und du scheidest aus", sagt Gruber, "oder du spielst gegen eine tolle Mannschaft aus der zweiten Liga, die Hütte ist voll..."

Gruber bricht seinen Satz ab. Soll ja keiner den Eindruck haben, er richte jetzt eine Kampfansage an den großen HSV. Klar, ein bisschen Hoffnung mache er sich schon, gesteht Gruber, aber in erster Linie sei er Realist. Deshalb habe er im Grunde keine Erwartungen, er empfinde einfach nur Vorfreude. Vorfreude auf den HSV, Vorfreude auf all die Menschen, die ins Stadion kommen werden - und Vorfreude auf einen großen Tag, an dem Wolfgang Gruber vielleicht sogar noch mal an die Mauer denkt.

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