Sportpolitik:Wada stellt IOC für Dopingtests in Rio verheerendes Zeugnis aus

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Ein Wada-Report offenbart, dass es in Rio zu wenige Dopingtests gegeben hat. (Foto: dpa)

Ein Report entlarvt Dopingtests als filmreifes Desaster - viele Sportler etwa wurden einfach nicht gefunden, weil Drucker defekt waren.

Von Thomas Kistner, München

Die Dopingtests bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro sind "erfolgreich gemanagt" worden. Behauptet das Internationale Olympische Komitee. Das ist unzutreffend, aber auch sehr hilfreich: Es entlarvt die absurde Reinheits-Metaphorik des IOC. Tatsächlich war das Management der Betrugsfahndung ein einziges filmreifes Desaster, dies enthüllt nun der Expertenbericht eines unabhängigen Beobachterstabs (IO), den die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada publizierte.

Demnach sorgten Kosteneinsparungen überall für "schwerwiegende logistische Verfehlungen"; es fehlte an Knowhow und technischer Ausrüstung. Oft wurden laut Bericht "nur 50 Prozent oder weniger der geplanten Tests durchgeführt". Auch deren Validität erscheint arg fragwürdig, zieht man die neue Mängelliste zu Rate. Die Wada-Beobachter rügen "generelle Ausbildungsdefizite" beim in Rio tätigen Dopingkontroll-Personal, viele Offizielle seien nicht mal mit der Ausrüstung vertraut gewesen und hätten Aufträge falsch ausgeführt.

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Bei den Dopingproben in Rio konnten viele Sportler nicht gefunden werden. Der deutsche Basketballer Dennis Schröder überzeugt beim NBA-Debüt in dieser Saison.

Das betrifft natürlich nur diejenigen, die nicht schon während der Spiele ausgebüxt sind. Auch dafür gab es Gründe: Das Hotel für die Doping-Offiziellen wurde nie gebaut, weshalb das Personal während der Spiele wiederholt umziehen musste; sichere Heimfahrten nach den Spätschichten waren so wenig gewährleistet wie Essens-Bons für die Freiwilligen. "Letztlich", resümiert der Wada-Stab, "war es nur dem enormen Einfallsreichtum und Goodwill einiger Schlüsselfiguren im Dopingkontroll-Personal zu verdanken, dass der Prozess nicht völlig zusammenbrach."

Klingt da leiser Widerspruch zu IOC-Boss Thomas Bachs Lieblingsfloskeln an? Denenzufolge wird ja die Betrugsfahndung bei den Spielen mit "Nulltoleranz" bzw. "oberster Priorität" betrieben.

Dass die Anti-Doping-Rhetorik des Vorsitzenden allenfalls karnevalstauglich ist, hatte in Rio schon Bachs verzehrender Kampf für die Teilnahme des russischen Teams offenbart; zugleich hatte sein IOC die Whistleblowerin Julia Stepanowa ausgeschlossen, wegen "ethischer" Defizite. Nun stellt die Wada dem Moralapostel-Clan des deutschen Wirtschaftsanwalts ein verheerendes Zeugnis aus.

In Rio gab es statt der avisierten 5380 Tests nur 4882; fast ganz entfielen die geplanten 450 Bluttests für den biologischen Athletenpass: Nur 47 fanden statt. Insgesamt wurden nur 28 Prozent der Akteure (3237) getestet. Und das oft so, dass man ebenso gut die Zuschauer von den Rängen an die Pinkelflaschen hätte bitten können. Der Wada-Bericht listet zahlreiche Fälle auf, in denen die sogenannten Chaperons, die die Athleten zur Proben-Entnahme zu begleiten und zu beaufsichtigen haben, ihre Testperson "einfach nicht finden konnten". Weil sie keine Informationen über deren Aufenthalt gehabt hätten, was auch daran lag, dass Computer und Drucker zur Übermittlung der Kontrollaufträge teils nicht funktionierten. Und wenn doch: Dann wurde Chaperons in vielen Stadien einfach der Zugang zu heiklen Zonen verweigert.

4125 Athleten reisten nach Rio ohne einen Dopingtest

Nicht nur in Rio herrschte Chaos. Laut Wada-Report waren 4125 Athleten ohne einen Dopingtest im Olympiajahr 2016 zu den Spielen gereist; 1913 dieser ungetesteten Teilnehmer gehörten den zehn als Risiko-Sportarten betrachteten Disziplinen an. Australiens früherer Anti-Doping-Chef Richard Ings stellt die Kernfrage: "Wie kann es jährlich bis zu 300 000 Tests für eine halbe Dollarmilliarde geben, wenn 4000 Olympioniken vor Rio keine Tests hatten?" Abgerundet wird das Ganze von knapp 100 Proben, die wegen Dateneingabe-Fehlern keinem Athleten zugeordnet werden konnten.

Den zwingenden Schluss aus dem bizarren Gesamtbild haben Vertreter von 17 nationalen Nadas bereits am Donnerstag in Bonn formuliert: Die Wada müsse "absolut unabhängig vom Sport" sein. Bisher hängt sie an den Fäden des IOC. Und dessen Geschäftsinteresse an Pharma-Skandalen erscheint nach Rio überschaubarer denn je.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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