Sportausschuss zu Homophobie:Nicht wie im Flugzeug

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Homosexualität und Sport, geht das? Ja, findet Marcus Urban. Im Sportausschuss des deutschen Bundestages kämpfte er für Schwule und Lesben - und wurde Zeuge einer ernüchternden Debatte.

Boris Herrmann

Ende der achtziger Jahre galt Marcus Urban als ein talentierter Nachwuchsfußballer bei Rot-Weiß Erfurt. Er war Jugendnationalspieler der DDR und träumte wie viele Jungs in seinem Alter vom Profifußball. Gleichzeitig lebte er in der ständigen Angst, entdeckt zu werden. In einer Welt voller vermeintlich starker Krieger hielt er es für ratsam, zu verheimlichen, dass er schwul ist.

"Homophobie geht uns alle an". Dies gilt auch und gerade im Sport. (Foto: ddp)

Urban sagt rückblickend, er habe mindestens die Hälfte seiner Kraft in dieses Versteckspiel investieren müssen. Schließlich sah er sich vor die Wahl gestellt: "Entweder werde ich Fußballer - oder ich führe ein menschenwürdiges Leben." Er hat sich für das Leben entschieden.

Zwei Jahrzehnte sind seither vergangen, in denen sich die Situation nur unwesentlich verbessert hat. Die meisten homosexuellen Sportler sehen sich weiter zu einem Doppelleben gezwungen. Urban kämpft inzwischen als Kommunikationsberater gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben - auch und gerade im Sport, wo man sich vorwiegend über Muskelkraft definiert.

"Da hat das Thema Sexualität weiterhin eine ganz andere Brisanz als beispielsweise in der Kunst oder in der Wirtschaft", meint Urban. Am Mittwoch hatte er die Gelegenheit, seine Geschichte in einer öffentlichen Anhörung im Sportausschuss des deutschen Bundestages vorzutragen. Er sagte: "Es war ein langer Weg bis hierher."

Es ist in der Tat ein starkes und obendrein ein längst überfälliges Signal, dass sich die Parlamentarier nun erstmals dem Thema Homophobie im Sport angenommen haben. Dabei zeigte sich allerdings: Damit alleine ist es noch längst nicht getan. Aus allen politischen Lagern wurden wohlfeile Absichtserklärungen abgegeben. Wann immer es in der gut zweistündigen Sitzung aber um konkrete Maßnahmen ging, verlor sich die Debatte in einer unverbindlichen Es-wäre-zu-wünschen-Rhetorik.

Michael Vesper, der als Generaldirektor den Deutschen Olympischen Sportbund vertrat, schlug vor: "Multiplikatoren und Multiplikatorinnen zu sensibilisieren." Als er gefragt wurde, ob denn ähnlich wie bei den Winterspielen in Vancouver auch bei der Münchner Olympiabewerbung ein Treffpunkt für homosexuelle Sportler und Fans geplant sei, ein "Pride House", antwortete er: "Das ist sicher eine gute Idee, aber dafür müssen wir die Spiele erst einmal kriegen."

Der CDU-Abgeordnete Frank Steffel sorgte mit einem klischeehaften Vortrag für Empörung. (Foto: N/A)

Vor allem der CDU-Abgeordnete Frank Steffel sorgte mit seinem klischeehaften Vortrag für Empörung auf der gut gefüllten Zuschauertribüne. "Dass man beim Bedienen im Flugzeug oder beim Friseur besonders viele Homosexuelle trifft, das hat man wohlwollend beziehungsweise befruchtend akzeptiert", führte Steffel aus. Er schloss daraus, dass die Toleranz wohl auch im Sport wesentlich größer sei, als "viele Betroffene" vermuten würden. Es sei daher an der Zeit, dass sich mal ein Nationalspieler oute, "der schwul ist oder schwul war."

Tanja Walther-Ahrens, die als Bildungsbeauftragte des Deutschen Fußball-Bundes am Experten-Tisch saß, ließ sich da stirnrunzelnd in ihren Stuhl zurückfallen. Die Suche nach dem ersten schwulen Popstar im Fußball habe mehr mit einer voyeuristischen Jagd als mit einer neuen Offenheit zu tun, meinte sie.

Aus allen fünf Fraktionen wurde die Frage aufgeworfen, in welcher Form die Politik denn konkret helfen könne. Als die geladenen Experten um Urban und Walter-Ahrens dann aber ihre Antworten vortrugen, verließen neben Steffel auch andere Parlamentarier den Saal. Am Ende waren von 18 Sportausschussmitgliedern noch neun auf ihrem Platz.

Viele bekamen also gar nicht mit, wie Urban anregte, dass es nicht nur einer Kampagne gegen Diskriminierung, sondern vor allem für den Vielfaltsgedanken bedürfe - mit Beratungsstellen in den Wahlkreisen, Lehrplänen in den Schulen, einer jugendgerechten Ansprache. Der Sport - und das war wohl der interessanteste Gedankenanstoß - dürfe dabei ruhig auch ökonomisch denken: "Diese Gesellschaft wird immer bunter, und wenn man die Leute nicht in ihrer Lebenswirklichkeit abholt, gehen den Vereinen unheimlich viele Talente verloren."

Der Appell verflüchtigte sich jedoch. Es wurde nichts beschlossen. Urban verließ den Bundestag mit dem Gefühl: "Eine hohe Funktion schützt bei manchen Leuten offenbar nicht davor, dass noch ein gewisses gedankliches Entwicklungspotenzial besteht."

© SZ vom 15.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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