Special Olympic World Games:Das waren die besten Momente der Special Olympics

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In der Not einen eigenen Stil entwickelt: Kirk Wint aus Jamaika, hier beim 50-Meter-Lauf der Berliner Special Olympics, musste eine Fortbewegungsmethode entwickeln, weil seine Eltern sich keinen Rollstuhl leisten konnten. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Ein Jamaikaner sprintet auf Händen und Knien zu Gold, eine eingesperrte Athletin befreit sich - und die deutschen Fußballer ärgern sich über einen 25:0-Sieg: Die schönsten, kuriosesten und emotionalsten Situationen der Berliner Spiele.

Von Korbinian Eisenberger, Berlin

Am Sonntag sind die Special Olympic World Games in Berlin zu Ende gegangen. 6500 Athletinnen und Athleten aus 176 Nationen waren beim größten deutschen Multisportereignis seit den olympischen Sommerspielen in München 1972 dabei, betreut wurden sie von 18 000 Volunteers, insgesamt wurden auf 1334 Siegerehrungen 4002 Medaillen überreicht. Den 330 000 Besuchern werden von den neun Tagen in Berlin aber vor allem die kuriosen, lustigen und emotionalen Momente und außergewöhnliche Menschen in Erinnerung bleiben. Eine Auswahl.

Schnell wie der Wint

Kirk Wint vor dem Start zwischen seinen Kontrahenten Omer Al Jumaili aus dem Irak (hinten) und John Capelle (vorne). (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Wenn es um jamaikanische Läufer ging, blieb man bisher stets an der alles überragenden Figur Usain Bolt hängen. Die Berliner Spiele haben nun einen zweiten jamaikanischen Athleten berühmt gemacht, der für seine Verhältnisse ebenfalls rasant läuft, allerdings nicht auf seinen Beinen. Kirk Wint trat beim 50-Meter-Sprint im Hanns-Braun-Stadion mit einem Stil an, den er aus der Not heraus entwickelt hat: Er läuft auf Händen und Knien.

Grund dafür ist, dass sich seine Eltern keinen Rollstuhl für ihr gehbehindertes Kind leisten konnten, hinzu kam eine geistige Behinderung Wints. So lernte er früh, sich alternativ fortzubewegen. Der inzwischen 21-Jährige trägt beim Laufen Handschuhe, mit dem Startsignal bewegt er sich vorwärts und erinnert dabei fast an einen Hasen. Während er auf Händen und Knien sprintet, sprinten seine Gegner im klassischen Stil - also auf ihren Beinen - neben ihm her. Beziehungsweise bei den 50 Metern von Berlin weitestgehend hinter ihm her. Zwei waren zwar schneller als Wint, wurden aber wegen sogenannter Überperformance disqualifiziert - und so gewann Wint Gold.

Unzufrieden über einen 25:0-Sieg

Flavio Roma vom Fußballteam Special Olympics Deutschland. (Foto: Andreas Gora/dpa)

Es ist mehr als eine Randnotiz dieser Weltspiele für geistig und mehrfach Behinderte: Nicht wenige Athleten fühlten sich aus sportlicher Sicht ungerecht behandelt. Änderungen im Regelwerk des Veranstalters Special Olympics International führten in Berlin zu einer regelrechten Welle an Disqualifikationen, vor allem in der Leichtathletik und bei den Schwimmern. Wer seine persönliche Bestleistung um mehr als 15 Prozent steigerte, wurde aus der Wertung genommen. Hintergrund dieser strengen Regel ist das Ansinnen, ähnlich stark besetzte Leistungsgruppen zu erzeugen. Restlos gelungen ist das bei diesen Spielen nicht, was das Beispiel der deutschen Fußballer zeigte.

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Die gewannen ihr Halbfinale 25:0 (kein Tippfehler) gegen die Schweiz und zeigten sich nach dem Schlusspfiff äußerst unzufrieden. Weniger mit dem Resultat als mit der Gesamtsituation. Das deutsche Team hatte in der Vorrunde angesichts deutlich unterlegener Gegner absichtlich schwächer gespielt. Dieser Fairplay-Gedanke wurde dem Team schließlich zum Verhängnis. Wegen des schlechteren Torverhältnisses verglichen mit Ägypten wurden die Deutschen im Kampf um die Medaillen in eine niedrigere Leistungsgruppe eingruppiert. Selbst der Trainer der ägyptischen Auswahl sah sein Team jedoch schwächer als das deutsche und hätte mit Ägypten lieber in Leistungsklasse zwei statt in eins gespielt. Doch es sollte nicht sein. Der ägyptische und der deutsche Verband versuchten zwar noch, die Gruppen zu tauschen. Diesem Antrag gaben die Special Olympics aber nicht statt. Und so zog sich die Unterforderung der deutschen Fußballer bis ins Finale um Gold durch, wo sie es bei einem 9:0 gegen Uganda beließen.

Eine Umarmung für den Chef

Timothy Shriver reagiert während seiner Eröffnungsrede auf die spontane Umarmung eines syrischen Athleten. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Der mächtigste Mann der Special Olympics heißt Timothy Shriver, er ist der Vorsitzende des Weltverbands SO International. Der 63-Jährige stammt aus der Kennedy-Familie, also der Präsidenten- und gleichwohl Gründerfamilie der Special Olympics. Bei der Eröffnungsfeier im Berliner Olympiastadion hielt Shriver eine flammende Rede, pathetisch und leidenschaftlich, fast wie ein Prediger, so wie man es von ihm kennt. Geistig Behinderte überwänden Hindernisse, rissen Mauern ein und ließen sich nicht in die Isolation zwingen. Teilweise rief er seine Worte hinaus in die Berliner Nacht - ehe er mitten im Satz unterbrochen wurde.

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Ein Athlet aus der syrischen Delegation hatte sich von seinen Teamkollegen gelöst und war Richtung Redner gerannt. Für einen Moment wirkte Shriver irritiert, zumal ihn der Athlet auch noch umarmte. Aber dann machte Shriver mit. "I give you a hug", sagte er und erwiderte die Umarmung. Da standen sie nun für diesen kurzen, winzigen Moment, der eine in roter Trainingsjacke, der andere im grauen Jackett, ehe der Sportler unter Gejohle und Getöse zurück auf seinen Platz lief. Nach der ungeplanten Pause erzählte Shriver dann weiter, vom Kampf für mehr Inklusion, den ja seine Mutter Eunice Kennedy Shriver in den 60er Jahren begonnen hatte. Anlass war seinerzeit die Behinderung von John F. Kennedys Schwester Rosemarie gewesen. Was damals als Gartenparty begann, ist inzwischen zur größten inklusiven Sportveranstaltung der Welt geworden - inklusive Free Hugs für den Chef.

Sana rennt

Fackelträgerin Sana bei der Eröffnungszeremonie der Special Olympics im Berliner Olympiastadion. (Foto: Tilo Wiedensohler/Camera4/Special Olympics World Games Berlin 2023)

Am Eröffnungsabend kam es zu einer weiteren Szene, die von diesen Spielen in Erinnerung bleiben wird:, mit der 21 Jahre alten Sana aus Pakistan in der Hauptrolle. Sie trug die Fackel über die blaue Berliner Laufbahn, strahlte vor Freude, schaute nur nach vorne. Und rannte, rannte, rannte. Sie rannte so lange, dass sie gar den Wechsel verpasste, um ihre Fackel an den nächsten Athleten weiterzugeben. Und so rannte plötzlich noch einer, ein Mitglied der Organisationscrew nämlich, hinter Sana her. Schließlich erkannte Sana dessen Signale und ließ sich von ihm zum Übergabeort begleiten.

Wegrennen ist ihr Thema, schon seit dem Kindesalter. Ein ehrenamtlicher Sozialarbeiter im Süden der pakistanischen Provinz Sindh hatte vor drei Jahren von Sanas bedrückender Geschichte erfahren. In dem Film "So weit sie laufen können" ist ihre Geschichte festgehalten, auch ein Gespräch mit Sanas Mutter. Die berichtet, dass Sana als Kind aufgrund ihrer Behinderung teilweise unberechenbar gewesen und von zu Hause weggerannt sei. Als ein ebenfalls geistig behindertes Mädchen aus dem Nachbardorf in einem Feld vergewaltigt wurde, beschloss die Mutter, ihre Tochter zur Sicherheit zu Hause anzuketten. Während die Mutter davon erzählt, bricht sie in Tränen aus, Sana tröstet sie: "Weine nicht, Mama." Der Sozialarbeiter befreite die Familie schließlich aus der schlimmen Situation, vor allem befreite er Sana und nahm sie mit auf eine Reise, die nun bis zu den Special Olympics nach Berlin geführt hat.

Asterix ist ausverkauft

Volunteer Sophie Katrin Panek hält den begehrten Asterix-Sonderband in den Händen. (Foto: Korbinian Eisenberger/oh)

"Unity", das Herzmaskottchen der Berliner Spiele mit dem Grinsegesicht, zählte wahrscheinlich zu den am meisten umarmten Figuren der Spiele, da kann auch Weltverbandschef Timothy Shriver nicht mithalten. Noch beliebter als Unity war bei diesen Spielen nur ein ganz spezielles Comic-Heft: Der Berliner Verlag Egmont Ehapa brachte zum Anlass der Special Olympics eine Sonderausgabe von "Asterix bei den Olympischen Spielen" in leicht verständlicher Sprache heraus, die Firma Capito hat die Texte der Sprechblasen aus der Originalfassung vereinfacht und verkürzt, die Zeichnungen blieben unverändert. Gedruckt wurden von dieser Sonderausgabe allerdings nur 20 000 Exemplare, und da diese vornehmlich an die 6500 Athleten und 18 000 freiwilligen Helfer verteilt wurden, war das Heft im Onlineshop der Special Olympics bereits nach Tag eins der Spiele ausverkauft. Ob eine Neuauflage geplant sei? Special Olympics und der Verlag teilen auf Nachfrage mit, man befinde sich darüber "im Gespräch".

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