Jedes Rennen hat eine Schlüsselstelle. Es ist der Punkt, an dem sich der Weg öffnet für den Erfolg. Beim Staffelrennen der Frauen war auf einmal die Loipe für die Deutschen frei. Denn im dritten Abschnitt skatete Pia Fink der Schwedin Frida Karlsson davon. Fink, 27, ist in den mittleren Topsportler-Jahren, doch ihre Erfolgsliste war noch überschaubar, Rivalin Karlsson dagegen blickt bereits auf neun große Siege zurück, doch diesmal, bei der WM in Planica, sah sie in der zweiten Runde nur noch den Rücken von Fink.
Die Weltmeisterschaft geht am Sonntag zu Ende, doch schon drei Tage zuvor können die Deutschen eine Bilanz ziehen, bei der sie sich noch länger die Augen reiben werden. Beim Medaillenzählen sind sie ziemlich weit vorne dabei, nämlich auf Platz zwei nach 19 von 24 Entscheidungen. Dabei dürfte das Staffel-Silber der deutschen Langläuferinnen im Nachhinein der vielleicht am hellsten strahlende Erfolg des Deutschen Skiverbands bei dieser WM bleiben. Die meisten Medaillen wurden zwar von den Skisprung- und Kombinationsteams des Verbands errungen, doch letztlich stachelten sich wohl die einzelnen Teams auch gegenseitig an - ohne professionelle Motivationshilfe. Die Abteilung Langlauf lieferte durch ihre Staffeln jeweils ein Dokument: Nach Jahren der Erfolglosigkeit bewiesen die Frauen mit Silber, dass ihr Team Potenzial für eine erfolgreiche Zukunft hat; Teamchef Peter Schlickenrieder sprach von einem "entscheidenden Meilenstein".
Und dann, am nächsten Morgen, steigerte sich sein Team weiter - es kam noch eine Bronzemedaille dazu. Für das lange in der Nische arbeitende und im Aufbau begriffene Männer-Team verwandelte sich diese WM-Piste plötzlich zu einer leuchtenden Bühne. In den Einzelrennen zuvor liefen Albert Kuchler, Janosch Brugger, Jonas Dobler und Friedrich Moch meist den Spitzengruppen hinterher, in der Staffel nun gelang ihnen der Beweis, dass gemeinsam größere Erfolge möglich sind. Den Schlussläufer Moch trug im Rennen die eigene Zuversicht, er habe gewusst, dass er schneller ist als der Franzose Lapierre, "das ist mir dann auch gelungen". Diese Überraschung konnten dann auch nicht am Abend die Skispringer auf der Großschanze überbieten. Beim Sieg des Slowenen Timi Zaic brachten es als beste Deutsche Markus Eisenbichler und Karl Geiger auf Platz fünf und acht.
Ein Nachteil: Die Anfeuerungen der wenigen Zuschauer verwehte der Wind
Und der Abend war erstmals auch von guter Stimmung getragen. All die Tage bis dahin fehlte etwas in Planica. Die großen Erfolge, die Meilensteine nicht nur der Deutschen blieben auch etwas grau, in Planica war wenig Fest-Atmosphäre aufgekommen. Sogar im Skispringen, in dem der slowenische Verband eine Medaillen-Tradition hat und auch stets Podestkandidaten, war die Farbe der Sitzplätze gut zu erkennen. Und die Fans, die vom zentralen Parkplatz unterhalb des Wettkampfgeländes täglich ins Hochtal von Planica pilgern sollten, waren meist versprengte Familien oder Skiclubs. Auch Hotels und Herbergen hatten noch Zimmer frei, und oben, in den Stadien, gelegen vor einem grandiosen Felsmassiv, verwehten die Anfeuerungen im Wind. Denn die Eintrittspreise erwiesen sich teilweise als viel zu hoch. "Ich glaube, da hat der Veranstalter zu hoch gepokert", sagte Schlickenrieder, "70 Euro für ein Ticket, das ist einfach zu teuer." Auch Hermann Weinbuch, Trainer der Kombinierer, hatte sich mehr Stimmung gewünscht: "Schade, dass so wenig Zuschauer da sind."
Ski-nordisch-WM:Bronze zum Abschluss
Sammlung komplett: Skispringerin Katharina Althaus belegt am Ende ihres Auftritts bei der Weltmeisterschaft in Planica Platz drei. Das verpasste vierte Gold ist für sie kein Thema - der Titel geht überraschend nach Kanada.
Die Gesamtbilanz der Deutschen war von der Ruhe auf den Rängen aber nicht betroffen. Im Gegenteil, sie schien die Konzentration zu schärfen. Fast an jedem Tag räumte das Team mindestens eine Medaille ab, insgesamt kamen schon vor dem Wochenende zwölf Medaillen zusammen. Die Läufer und Springer schienen auch ohne Zuschauer auszukommen, weshalb es am Ende auch egal war, woran die Ablehnung des Publikums lag. Ob es die Preise waren, wie es die ausländischen Trainer vermuteten, oder ob es diese eine Riesenschanze war, die ganz links thront, in der Reihe der anderen Alphörner-gleichen Schanzen.
Die Skiflugschanze nämlich. Slowenische Experten sagen, Skisprungfans seien eigentlich Ski flug-Anhänger. Und bei einer WM, bei der ja nicht auf den sogenannten Monsterbakken gesprungen wird, schon weil es nur sehr wenige davon gibt, würden viele Zuschauer auch dann nicht kommen, wenn der Eintritt umsonst wäre. Das hängt mit der Königin im Reich der Schanzen zusammen. Erfahrene slowenische Kollegen sagen, das Auge und die Ansprüche haben sich hier besonders an das spektakuläre Fliegen gewöhnt, weil es die Riesin ganz links halt schon so lange gibt. Viel zu viel Spaß mache es, die Weiten zu schätzen, die Landungen zu bewundern und sich die Kräfte vorzustellen, die in der Luft an den Akteuren zerren.
Und meist erschöpft sich das restliche Interesse in den kleineren WM-Springen, in den zwei übrigen Nordisch-Disziplinen, in Kombination und Langlauf, haben die slowenischen Athleten zurzeit kaum eine Chance, womit allenfalls besonders neugierige Besucher einen Abstecher gemacht haben.
Und doch - vielleicht hat am Freitag ja einer der neugierigen Zuschauer im fremden Langlaufstadion verfolgt, wie sich die deutschen Langläufer gefreut haben. Dies sind Sportler, über die kaum mal berichtet wird, weil sie ja kaum etwas gewinnen, und die jetzt schlagartig in den Mittelpunkt geraten sind. Und die, nachdem Schlussläufer Moch als Dritter über die Ziellinie gerutscht war, zunächst ihren Erfolg nicht begreifen konnten, bis Janosch Brugger es recht passend in Worte fasste: "Jetzt sind wir nicht mehr nur die kleinen Langläufer in Deutschland, jetzt haben wir auch eine fucking Medaille."