Skispringen: Martin Schmitt:Geduldig im Karriereherbst

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Martin Schmitt ist ein Meister der Beharrlichkeit. Er muss seinen Sport sehr lieben, sonst würde er nicht jedes Jahr aufs Neue das Risiko eingehen, als wandelndes Krisen-Phänomen beschrieben zu werden.

Thomas Hahn

Martin Schmitt kann auf Anhieb gar nicht sagen, zum wievielten Mal er an der Vierschanzentournee teilnimmt. Und er staunt ein bisschen, als ein dienstbarer Geist die Information liefert, die 59. Tournee, deren Auftaktspringen an diesem Mittwoch in Oberstdorf stattfindet, sei schon seine sechzehnte. Schmitt schmunzelt. Er sagt: "Im Alter lässt das Gedächtnis ein bisschen nach."

Martin Schmitt beim Training auf der Schanze in Oberstdorf - seine ganz großen Tage sind längst vorbei, doch er bleibt seinem Sport treu. (Foto: dapd)

Ende Januar wird der frühere Weltmeister Martin Schmitt aus Freiburg 33 Jahre alt. Das ist ein reifes Alter für einen Skispringer. Dass er mit dieser Tatsache eher kokett umgeht, darf man wohl so deuten, dass sie ihn nicht besonders interessiert. Schmitt hat kürzlich erklärt, er wolle seine Karriere 2011 noch nicht beenden.

In Oberstdorf hat Bundestrainer Werner Schuster die aktuelle Formkrise Schmitts auch damit begründet, dass der Sportler sein Training im Sinne eines nachhaltigen Leistungsschubs umgestellt habe. Schuster sprach von einem "mehrjährigen Projekt", Martin Schmitt habe "weit ausgeholt". Schmitt selbst sagt: "Ich habe noch den gleichen Ehrgeiz wie vor zehn, 15 Jahren."

Martin Schmitt ist ein Meister der Beharrlichkeit. Er muss seinen Sport sehr lieben, sonst würde er nicht jedes Jahr aufs Neue das Risiko eingehen, als wandelndes Krisen-Phänomen beschrieben zu werden. Und das Risiko ist groß, denn alles, was Schmitt heute tut, geschieht im Lichte seiner Vergangenheit als Akkordgewinner. Zwischen 1998 und 2001 gehörte Schmitt zu den dominierenden Persönlichkeiten der Springerszene, wurde vier Mal Weltmeister, gewann zwei Mal den Gesamtweltcup, erreichte 27 Weltcup-Siege.

Seine Popularität war so groß, dass der Fernsehsender RTL darauf seine teure Skisprung-Kampagne aufbauen konnte, mit stundenlangen Übertragungen und revolutionären Kameraeinstellungen an den Schanzen. Aber das Skispringen war damals noch ein anderer Sport, am Schanzentisch funktionierte eine Absprungtechnik, die heute nicht mehr funktioniert. Die gesamte deutsche Skisprungschule verlor den Anschluss, als der Weltskiverband Fis mit markanten Regeländerungen den Wandel vollzog, und Martin Schmitt gehörte zu den prominentesten Opfern.

Geduldig ertrug er die Negativ-Schlagzeilen, Winter für Winter, wobei sich der Krisen-Schmitt kaum vom Gewinner-Schmitt unterschied. Kleinlauter war er, aber nie um Antworten verlegen. Erst 2008/09, nachdem der Österreicher Schuster das Training der deutschen Skispringer übernahm, wurde Schmitt wieder stärker: Sechster im Gesamtweltcup, WM-Zweiter. Danach aber konnte er seinen Ehrgeiz nicht bremsen, rutschte in einen Zustand von Übertraining und rettete sich nur mit Mühe zu Olympia 2010 nach Vancouver, wo er mit der deutschen Mannschaft Silber gewann.

In diesem Winter hat Martin Schmitt schon wieder ein paar herbe Niederlagen einstecken müssen, zuletzt nahm er eine Auszeit zum Trainieren. Seine Erwartungen vor der Tournee? "Keine besonderen." Er ist nicht in Bestform, nachdem er zum x-ten Mal den Neuanfang gewagt hat. Aber er arbeitet daran so eifrig, als wäre er noch gar nicht im Herbst seines Skispringer-Lebens.

© SZ vom 29.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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