Vierschanzentournee:Das fliegende Doppelzimmer Vol. 4

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Auf der Höhe: Karl Geiger. (Foto: Daniela Porcelli/Just Pictures/Imago)

Die Skispringer Karl Geiger und Markus Eisenbichler verdanken ihre WM-Medaillen nicht nur ihrem Talent und Trainingsfleiß. Ein wichtiger Faktor ist auch das Stück Heimat, das sie sich auf ihren Reisen geschaffen haben.

Von Volker Kreisl

Zehn Jahre ist es schon her, dass die beiden sich unterwegs erstmals das Zimmer teilten. Und auf Reisen befinden sie sich fast immer, denn Karl Geiger und Markus Eisenbichler sind Skispringer. Jeden Winter, von Mitte November bis Mitte März, sind sie unterwegs, jedes Wochenende woanders. Mal in den Alpen, in Skandinavien, mal in Fernost, und dazwischen bei der Vierschanzentournee, wenn der Takt erhöht wird: vier Hotelwechsel binnen zehn Tagen.

Nun startet die nächste Tournee mit der Qualifikation am kommenden Dienstag. Die Spannung nimmt täglich ein bisschen zu, und Sorgen und Probleme wachsen vermutlich auch, denn Eisenbichler und Geiger werden an großen Erfolgen gemessen, an WM-Titeln und Olympiamedaillen. Und dann erst die vielen Fans! Auch wenn die Tournee nun doch zum zweiten Mal nacheinander komplett ohne Zuschauer stattfinden wird, so wächst das Skisprung-Publikum in den Wohnzimmern und überall an den Handys immer mehr. Wie, so möchte man wissen, haben sich denn da die Themen im Doppelzimmer verändert?

Skispringen vor der Tournee
:Die Luft trägt Karl Geiger weit hinunter

Wer sind die Favoriten der Vierschanzentournee? Mit Karl Geiger bringt sich auch ein Deutscher in Position - kurz vor dem Jahres-Höhepunkt demonstriert er, dass er bestimmte Geheimnisse verstanden hat.

Von Volker Kreisl

"Erzähl du", sagt Karl Geiger, nachdem er etwas nachgedacht hat, und schaut nach links. Er meint Eisenbichler, der gerade bei der strategischen Pressekonferenz beim letzten Weltcup vor der Tournee neben ihm sitzt. Eisenbichler grinst, und man weiß nicht, ob er die Frage abwegig findet oder einfach nur übertrieben.

Es ist dann Letzteres, denn Eisenbichler sagt: "Da hat sich nicht viel geändert, über Skispringen reden wir nur kurz." - "Find ich auch", sagt Geiger. - "Alles ganz normal", sagt Eisenbichler.

Dabei sind die beiden schon durch dick und dünn gegangen in ihrem Sport, der stets Überraschungen bereithält und den Athleten immer auf die Probe stellt. Indirekt fordert er auch die Stimmung in einem Doppelzimmer heraus, und sei dessen Besetzung noch so gut eingeübt. Geiger/Eisenbichler ist eines der besten Raum-Duos im Skispringen, vielleicht sogar im ganzen Wintersport. Seit den Anfängen im Continental Cup haben sie sich zusammengerauft, haben den richtigen Ton gefunden, die richtigen Themen vor dem Einschlafen und wohl auch die Achtung vor dem Schlaf des anderen, wenn man mal nachts rausmuss.

Schon seit Jahren haben sie also dieses Etikett, das geradezu perfekt ist für Überschriften: das fliegende Doppelzimmer. Dieses hatte Zeit, sich über mehrere Stufen zu entwickeln. Geflogen sind gewissermaßen schon mehrere Doppelzimmer Geiger/Eisenbichler: zunächst das Nachwuchszimmer, dann das Weltcupzimmer, dieses wurde zum Weltmeisterzimmer, und jetzt ist es eine Art Extremzimmer, das Doppelzimmer Vol. 4.

Es herrschen unausgesprochene Regeln. Über den Sport spricht man eher nicht

Auch wenn sich die beiden vor den Medien einig sind, dass gerade alles "ganz normal" verläuft, so bleibt man skeptisch, denn es findet sich kaum ein Sport, bei dem so wenig normal läuft wie im Skispringen. Entweder die Protagonisten sind aus rätselhaften Gründen außer Form oder sogar verletzt. Oder sie erwischen eine Hochphase, in der alles funktioniert, wobei viele auch nicht genau wissen, warum. Skispringen birgt viele Erfolgsfaktoren, es entscheidet sich aber in den etwa 0,7 Sekunden beim Absprung. Aus all diesen Gründen ist der Oberstdorfer Karl Geiger nun seit Anfang des Winters der Führende im Weltcup und Eisenbichler gerade weit davon entfernt.

Im Schweizer Alpendorf Engelberg hat Geiger vor ein paar Tagen den kleinen Knoten gelöst, der ihn im flüssigen Ablauf behinderte, seit seine exzellente Frühwinter-Form nachgelassen hatte. Irgendwo zwischen der Qualifikation und dem Probesprung hatte er dann das richtige Gefühl für die Schanze wiedergefunden - er gewann und wurde am nächsten Tag Zweiter, hinter dem anderen großen Favoriten des Winters, dem Japaner Ryoyu Kobayashi. Geigers Herangehensweise ist eher cool, er hat ja Umwelttechnik studiert, führt präzise Tagebuch über seine Schanzenerfahrungen und spart sich damit auch viel Einarbeitungszeit beim nächsten Mal.

Im Formtief: Markus Eisenbichler. (Foto: Tilo Wiedensohler/camera4/Imago)

Skispringer sind akkurat, und das gilt meist auch für die Abläufe abends auf dem Zimmer. Es herrschen unausgesprochene Abmachungen, über den Sport spricht man zum Beispiel eher nicht. Das Doppelzimmer Geiger/Eisenbichler hat sich auf diese Art ein Stück Heimat auf Reisen geschaffen, statt übers Skispringen plaudert man über alles andere. "Über private Sachen, und wie es zu Hause so läuft. Man versucht, das Skispringen auszublenden", sagt Eisenbichler. Und das hilft nun beiden. Geiger kommt nicht in Versuchung, seine tolle Form zu überhöhen, Eisenbichler entflieht dem Gedankenterror und der Frage, warum es verdammt noch mal nicht läuft, in diesen Tagen.

Im Spätsommer schon, als noch auf grünen Matten gesprungen wurde, war er gestürzt, seitdem ist seine Form angeschlagen. Zweimal stand er dann zwar im Weltcup als Dritter auf dem Podium, aber die Langzeitform, die Selbstverständlichkeit aller Abläufe, zieht bis heute nicht richtig mit. Eisenbichler ist zuletzt wieder 27. und 35. geworden, verzweifelt wirkt er aber nicht.

Denn das hat er hinter sich. Nach den ersten Versuchen, die trotz Genesung nicht fruchteten, wandte er sich an das Trainerteam. "Ich habe gesagt, bitte helft mir. Ich habe keine Ahnung mehr, wie ich agieren soll", erzählt Eisenbichler. Das Team um Chef Stefan Horngacher wiederum hatte aus eigenen Erfahrungen allgemeine Schlüsse gezogen, es holt verlorene Sprungformen nicht mehr im Eiltempo zurück, sondern systematisch und damit nachhaltig. Horngacher bevorzugt viele kleine Schritte, Fleißarbeit vom Sportler ist sogar unerwünscht. Die geringeren Aufgaben sollen aber umso strikter durchgezogen werden, ein nahes Ziel, selbst wie nun die Tournee, ist nachrangig.

Vielleicht klappt es schon bei den Olympischen Spielen in Peking im Februar, vielleicht auch nicht. Auf dem Weg zu alter Stärke hat Eisenbichler aber einige Trümpfe. Nämlich einen klaren Plan, viele eigene Erfahrungen und ein funktionierendes Doppelzimmer.

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