Skispringen vor der Tournee:Die Luft trägt Karl Geiger weit hinunter

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Skispringer Karl Geiger flog weit in Engelberg. (Foto: FABRICE COFFRINI/AFP)

Wer sind die Favoriten der Vierschanzentournee? Mit Karl Geiger bringt sich auch ein Deutscher in Position - kurz vor dem Jahres-Höhepunkt demonstriert er, dass er bestimmte Geheimnisse verstanden hat.

Von Volker Kreisl, Engelberg

Solche Situationen mag Karl Geiger nicht. Der 28-Jährige aus Oberstdorf fühlt sich bei einem Weltcup dann wohl, wenn er sich langsam steigert, vom ersten Trainingssprung zum zweiten und zum dritten, immer schön weiter und dann auch in der Qualifikation. So erarbeitet er sich das gute Sprunggefühl. Aber diesmal misslang ihm der Auftritt in der Vorausscheidung, er kam natürlich ins Finale, aber es war ein Rückfall im Steigerungsprozess, also schon wieder so ein schlechtes Zeichen und überhaupt - hatte Karl Geiger, der Weltcupführende, zuletzt nicht öfter wieder nachgelassen? Jetzt, kurz vor der Vierschanzentournee?

In so einer Lage braucht es eine Befreiung, und die ist Karl Geiger am Wochenende gelungen. Nach dem ersten Springen von Engelberg hat er seinen zuletzt geschmolzenen Vorsprung im Weltcup wieder auf 118 Punkte vergrößert. Zuvor hatte er das geschafft, was zweifelnden Springern wieder Mut für die nächsten Aufgaben gibt: einen Weltcupsieg, und zwar durch einen Konter gegen den Negativtrend, gegen diese eigenwillige Engelberger Schanze und gegen das Grübeln. "Es war nicht ganz einfach", sagte er, "ich hab' mich extrem fokussieren müssen."

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Das Springen gilt als Generalprobe für die Vierschanzentournee. Simon Jocher und Josef Ferstl qualifizieren sich bei der alpinen Abfahrt in Gröden für Olympia. Für die deutschen Biathletinnen gibt's die nächste Enttäuschung.

Als Vorletzter hatte er seine Ski in die Spur gesetzt, hatte den Absprungpunkt etwas spät getroffen, aber es reichte für einen stabilen, hohen und weiten Flug, ein Erlebnis, das länger wirken könnte. Der Wind war günstig, er bereitete keinen Ärger, wehte teils schwach vom Klosterdorf Engelberg die Schanze hinauf, und weil Geiger sein System pünktlich geschlossen hatte und ordentlich Geschwindigkeit aufnahm, trug ihn die Luft weit hinunter, knapp über die grüne Linie des führenden Japaners Ryoyu Kobayashi.

Aus Karl Geiger bricht der Jubel heraus

Als danach der junge Slowene Timi Zajc trotz seines Vorsprungs aus dem ersten Durchgang nicht weit genug kam, brach aus Geiger ein Jubel heraus, als wäre dies sein erster Weltcupsieg, den er tatsächlich vor drei Jahren auf dieser Schweizer Schanze errungen hatte. Nun sagte er, zwei "echt saugute Sprünge sind mir da rausgerutscht", und: "Ich habe diese Minuten extrem genossen."

Elf Weltcupsiege hat Geiger bereits, doch tatsächlich kam auch dieser Erfolg vom Samstag einer Premiere gleich. Denn Geiger hatte noch nie eine derart lange Erfolgsphase wie in dieser Zeit seit fast drei Wintern. Einen Einbruch, wie er sich in den jüngsten Wettkämpfen andeutete, abzuwehren, das ist ihm nun auch gelungen. Am Sonntagabend legte er sogar nach, als Zweiter hinter Kobayashi, der sich diesmal allein um zwölf Punkte vom Deutschen absetzte. Schon zuvor war gewiss, dass Geiger vor der Tournee nicht mehr von Gesamtplatz eins im Weltcup verdrängt werden kann, und dass er wieder das Gefühl hat fürs Timing und das Selbstvertrauen, welches man auf den so unterschiedlichen und schweren Tourneeschanzen nach Weihnachten brauchen wird.

"Ich habe diese Minuten extrem genossen": Der Weltcupführende Karl Geiger hat sein Schanzenproblem in Engelberg gelöst. (Foto: Patrick Steiner/GEPA pictures/imago)

Der Rest der deutschen Mannschaft von Bundestrainer Stefan Horngacher erwies sich zumeist nicht in der Lage, mit den Besten mitzuhalten. Am Samstag erlebte auch Markus Eisenbichler einen Rückschlag, sein Finalsprung brachte ihn nur auf Rang 27. Am Sonntag verpasste er sogar den zweiten Durchgang. Eisenbichler ist auch in diesem Winter fähig, unter den besten Zehn zu landen, dies hatte er als Dritter bereits zweimal geschafft. Doch dem Siegsdorfer fehlt das Vertrauen in seinen Sprung und auch das Gespür für die Luft. Mal klappt es, mal fällt er zurück. So wie seine Teamkollegen Stephan Leyhe, Andreas Wellinger, Pius Paschke, die am Samstag jenseits der besten 20 lagen. Am Sonntag zeigten sich zumindest Paschke (9.) und Constantin Schmid (11.) verbessert.

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Eisenbichler hatte sich bei einem Springen in der Sommer-Serie verletzt und muss nun geduldig seine Form wieder hochpäppeln. Weil die aber auf automatisierten Bewegungen am Schanzentisch beruht, braucht er Zeit. "Ich bin im Arbeitsmodus", sagte Eisenbichler in Engelberg, "das tut mir ganz gut." Er muss lernen, Geduld aufzubringen und, wie es Horngacher allen in Formkrisen steckenden Springern verordnet hat: einen Schritt nach dem anderen machen, auch wenn die Tournee bald anbricht.

Vor allem bei Springern mit frisch verheilten Verletzungen, erklärte Horngacher, werde ein Etappenplan ausgearbeitet, mit klaren Anweisungen, "über die seine Springer wieder in das Gefühl für die Schanze reinfinden". Dies soll durchgezogen werden, und wenn es noch so lange dauert, etwa weil der Druck in der Anlaufspur nicht spürbar ist, oder wie Eisenbichler in Engelberg sagte: "Die Schanze spricht nicht mit mir."

Geiger kann sich nun auch Hoffnungen bei der Vierschanzentournee machen. (Foto: Urs Flueeler/dpa)

Karl Geiger allerdings hat sich nun wieder behauptet zwischen den vielen Spitzenleuten. Viele hatten sich mit Siegen und Podestplätzen in diesem seltsamen Herbst als Favoriten positioniert, fielen dann wieder zurück und doch ist mit ihnen zu rechnen. Kobayashi, der Slowene Anže Lanišek, die Norweger Daniel-André Tande, Marius Lindvik und Halvor Egner Granerud, zudem der Österreicher Stefan Kraft und der Pole Kamil Stoch - und noch einige andere haben sich schon empfohlen.

Sie alle hatten auch immer wieder zu kämpfen und waren vor Rätseln gestanden. Geiger ist nun schon weiter, er hat wieder ein Rätsel gelöst und die entscheidenden Druckstellen gespürt, an denen es abzuheben gilt, denn die Schanze von Engelberg hat ihm geantwortet.

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