Deutsches Team bei der Ski-WM:Zwei Leitfiguren in Ausbildung

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Lena Dürr (links) und Linus Straßer stehen im deutschen Team bei der Ski-WM im Fokus. (Foto: AP/dpa)

Lena Dürr und Linus Straßer brauchten eine Weile, bis sie in den Kreis der Medaillenkandidaten vorstießen. Bei der WM in Meribél und Courchevel schultern sie die größten Hoffnungen der deutschen Auswahl.

Von Johannes Knuth

Einer der größten Fixsterne der deutschen Alpinszene ist in Bestform, und das sind durchaus gute Nachrichten für den Deutschen Skiverband (DSV). Er spüre eine "Bombenform", kein Training sei verpasst worden, Kopf und Körper seien im Einklang. Kleiner Haken: Felix Neureuther, mit 13 Siegen der erfolgreichste deutsche Alpinfahrer im Weltcup, meinte in seinen Ausführungen zuletzt in der Sport Bild nicht die eigene Vitalität; seine Profikarriere liegt nun ja auch schon wieder seit knapp vier Jahren still. Die "Bombenform" und Hartnäckigkeit attestierte er Lena Dürr, die mentale Wehrhaftigkeit Linus Straßer, zwei der aussichtsreichsten DSV-Mitarbeiter bei den alpinen Ski-Weltmeisterschaften, die an diesem Montag in Méribel und Courchevel anbrechen. Wofür das am Ende reicht?

Es ist eine nicht ganz so leicht zu greifende Stimmung, mit der die 14-köpfige Delegation des DSV in diesen Tagen ins französische Hochgebirge zieht, zu den wichtigsten Rennen des Winters. Die vergangenen Titelkämpfe waren oft entweder von ihren wenigen Galionsfiguren geprägt, vor allem von Felix Neureuther und Viktoria Rebensburg, die dem Team auch dann Medaillen verschafften, wenn alle anderen Pläne wie Pulverschnee zerstoben. Vor zwei Jahren, bei der WM in Cortina d'Ampezzo, fehlten diese Vorfahrer dann. Damals versteiften sie sich auf das Modell der ambitionierten Außenseiter, die ihre Chance an dem einen großen Tag nutzen wollten - und das glänzend zur Reifung brachten, mit drei Silbermedaillen (Kira Weidle und Andreas Sander in der Abfahrt, Romed Baumann im Super-G) sowie einer bronzenen im Team.

Und jetzt?

Stecken sie irgendwo zwischen diesen Polen. Ambitioniert sind sie alle, die Anrede als Galionsfiguren wäre wohl (noch) etwas viel - als Außenseiter kann man Dürr und Straßer aber auch schwer klassifizieren. Dürr, 31, hat sich gerade in die beste Form ihrer Karriere gebracht - und in eine Rolle, zu der sie erst nach einigen Umwegen fand. Was die Skitechnik angeht, sei gerade nur Mikaela Shiffrin besser, die 85-malige Weltcupsiegerin aus den USA, sagte DSV-Cheftrainer Andreas Puelacher zuletzt. Auch sonst erlebe er Dürr als "Top-Profi", als "Leaderin", in deren Sog zuletzt auch wieder ein paar Fahrerinnen beständiger auftraten - Emma Aicher, Jessica Hilzinger und Andrea Filser schafften es ebenfalls ins WM-Aufgebot. Und was Dürr seit diesem Winter noch konstanter im Repertoire führt: die Risikofreude, auch mal alles auf den Sieg zu setzen, alle Jetons am Spieltisch auf eine Farbe, und wenn man mal ohne Gewinn davonzieht - geschenkt. Keine schlechte Rezeptur auch für eine Großveranstaltung.

Getragen von einem starken Team, in der Slalom-Weltspitze aber der einzige Deutsche: Linus Straßer, 30, wirkt in vielerlei Hinsicht gereift. (Foto: Andrea Solero/Imago)

Dürr hat solch große Hoffnungen dort allerdings noch nicht häufig geschultert, in der Hinsicht ist sie eher eine Leitfigur in Ausbildung. "Man darf das Ganze jetzt nicht überbewerten", sagt auch Puelacher, er meint: Dass Shiffrin noch mal rund sieben Zehntelsekunden in einem Lauf auf Dürr verspielt, wie zuletzt in Spindlermühle, wird sich eher nicht zum Alltagsphänomen auswachsen. Eine Medaille in Frankreich ist aber schon greifbar, Dürrs Form glich bis zuletzt einem Steigerungslauf: erst konstant neben dem Podest, seit Dezember dann Dritte, ein Patzer in Zagreb, Dritte, Zweite, Erste. Auch Straßer reklamierte zuletzt eine "coole Konstanz", er berief sich auf zwei dritte und zwei vierte Plätze, wichtiger noch: Der 30-Jährige hat gelernt, nicht zu wenig und vor allem nicht zu viel zu wollen, auch wenn der Einfädler am zweiten Tor in Schladming dieser These eher widersprach. "Ich lasse mich nicht betrüben", konterte er, und so kontrolliert wie er am Samstag in Chamonix beim letzten Weltcup-Slalom vor der WM auf Platz sechs carvte, wirkte das wie eine Bestätigung dieser These.

Die einst so starken Abfahrer stecken wieder in der Rolle der Außenseiter

Dürr und Straßer sind erst am 18. und 19. Februar in ihren Spezialdisziplinen im Einsatz, bis dahin werden sich wohl auch noch ein paar tiefere Problemstellen im DSV-Aufgebot spiegeln. Aus der zweiten Reihe schaffen es nach wie vor nicht viele in die Spitze, bei den Slalomläufern ist Sebastian Holzmann noch im WM-Aufgebot, im Riesenslalom fehlt neben Alexander Schmid diesmal Stefan Luitz; letzterer schreitet durch eine holprige Saison nach langwierigen Rückenproblemen. Schmid wiederum ist, soweit er sich in Bestform bringt, sogar einer für ganz große Weihen - der 28-Jährige hatte zuletzt neben fünften, achten und neunten Plätzen bloß auch wieder Verletzungssorgen im Angebot.

Kira Weidle, die Silbergewinnerin in der Abfahrt von Cortina, fand ihre Saison bislang "in Ordnung" - ein dritter Platz in St. Moritz, ein paar erbauliche Ergebnisse in Abfahrt und Super-G, da wird sich zeigen, ob es sie in Frankreich weiter in die "richtige Richtung" trägt, wie sie zuletzt sagte. Durchwachsener waren zuletzt die Kollegen aus dem schnellen Ressort unterwegs: Zwar drängeln sich diesmal sechs Starter um je vier Startplätze in Abfahrt und Super-G: Baumann, Sander, Thomas Dreßen, Josef Ferstl, der gerade genesene Simon Jocher und Dominik Schwaiger - aber in die Nähe der Spitzenplätze stießen sie in diesem Winter nur vereinzelt vor, mit dem vierten Platz von Sander im Super-G von Cortina etwa. Cheftrainer Christian Schwaiger deutete zuletzt an, dass es wohl ein wenig an Zutrauen mangele; er bestritt auch nicht, dass bei dem einen oder anderen die Abstimmung des Materials hake, oder beides zugleich: "Man muss sich auch an die eigene Nase fassen und gut fahren, wenn die Abstimmung nur zu 95 Prozent passt", sagte Schwaiger. In der Hinsicht sind sie in den ersten WM-Tagen wieder als ambitionierte Außenseiter unterwegs.

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