Ski alpin:Die moderne Allrounderin

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Schneekönigin: Mikaela Shiffrin mit einem in Zagreb gewonnenen Siegerkrönchen. (Foto: Borut Zivulovic/Reuters)
  • Die alte und neue Gesamtweltcupsiegerin Mikaela Shiffrin hat in diesem Winter schon 14 Rennen für sich entschieden.
  • Die Amerikanerin kann vom parallelen Riesenslalom bis zur Abfahrt jede Disziplin gewinnen, weil sie auch mal verzichtet.
  • Kollegen wie Lindsey Vonn kritisieren diese Einstellung.

Von Johannes Knuth, München

Ab diesem Freitag gastiert der alpine Weltcup mal wieder im tschechischen Ski-Resort Spindlermühle, mit je einem Riesenslalom und einem Slalom, es ist der vorletzte Stopp für die Frauen in diesem Winter. Und für Mikaela Shiffrin ist es durchaus ein spezieller. Hier nahm, vor nun auch schon wieder acht Jahren, die beeindruckende Karriere der Amerikanerin ihren Lauf - und ihre Weltcup-Premiere war durchaus eine prägende, wie Shiffrin sich neulich noch mal erinnert hat.

"Das ist so verrückt", habe sie damals gedacht, "ich fahre hier gegen meine großen Idole: Sarah Schleper, Lindsey Vonn ... Ich habe einfach nur versucht, alles aufzusaugen, das war sehr inspirierend." Diese emotionale Welle habe sie dann auch durch die kommenden Jahre getragen. Denn damals, so Shiffrin, "lief alles ganz natürlich". Sie habe kaum Druck gespürt, sei schnell gefahren, habe ihren Spaß gehabt. Die Risiken und Nebenwirkungen des Geschäfts lernte sie erst allmählich kennen: dass jeder Erfolg auch Erwartungen lostritt, und sehr viele Erfolge, die Shiffrin bald aneinanderreihte, noch viel größere. Der Zauber des Anfangs verflog, stattdessen folgten ihr irgendwann dunkle Gedanken wie eine Regenwolke - manchmal übergab sich Shiffrin kurz vor dem Start, so nervös war sie. Sie habe es jedenfalls erst in diesem Winter wieder so richtig geschafft, "all die Erwartungen von mir fernzuhalten". Und dieses Gefühl von damals verspüre sie auch immer häufiger; dass sie einfach drauflosfahre, als sei sie umgeben von einem warmen Mantel der Unbeirrbarkeit.

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Dass diese Rückbesinnung nicht die allerschlechteste Idee war, zeigt ihr vorläufige Zeugnis für diesen Winter. Shiffrin sicherte sich am vergangenen Wochenende, im Hotelbett in Italien, zum dritten Mal den Gesamtweltcup, weil die Rennen in Sotschi ersatzlos gestrichen worden waren. Sie hatte davor aber auch einiges dafür getan: Sie gewann allein 14 Rennen in diesem Winter, Rekord (gleichauf mit Vreni Schneider); die Disziplinwertung im Slalom ist ihr bereits sicher, im Riesenslalom und im Super-G geht sie als Führende in die letzten beiden Wochenenden. Und bei der WM in Are gewann sie auch noch Gold im Slalom und im Super-G, dazu Bronze im Riesenslalom. Shiffrin hat so eine neue, moderne Form des Allrounders erschaffen, der zuletzt nahezu ausgestorben war: Sie nimmt längst nicht alle Renntermine wahr, wie manch Vorgänger, aber sie kann mittlerweile überall gewinnen, wo sie antritt, vom Parallel-Slalom bis zur Abfahrt. Das, hatte Shiffrin immer wieder beteuert, sei stets ihr großes Ziel gewesen.

Schon beim Saisonstart hatte sich gezeigt, dass da eine andere Shiffrin am Start stand. Sie hatte nach einem abwechslungsreichen Winter im Jahr davor eingesehen, dass es einen Athleten auch mal weiterbringen kann, wenn er ein Training oder ein Rennen auslässt. Sie hatte im Sommer dafür vermehrt Werbetermine wahrgenommen, als Öffentlichkeitsarbeiterin, die man als Skifahrerin in den USA auch sein muss; viele Amerikaner interessieren sich ja bestenfalls alle vier olympischen Jahre fürs Skifahren. Sie versucht schon noch, jeden Tag ein bisschen besser zu werden, aber mittlerweile, sagte sie zuletzt in Are, wolle sie erst mal das genießen, was schon gut war. Und sie verspürte wieder das unbeschwerte Gefühl von einst, oder anders formuliert: "Hoher Anspruch, niedrige Erwartungen."

Dabei hatten Lindsey Vonn und Bode Miller, ihre prominenten Vorgänger, Shiffrin zuletzt sogar für diese Art der Rennplanung kritisiert: Die 23-Jährige hätte in Are mindestens eine weitere Goldmedaille gewinnen können, eine derartige Chance lasse man sich doch nicht entgegen. Shiffrin konterte höflich,dass der gelegentliche Verzicht ja gerade der Schlüssel sei. "Viele Menschen sehen nur Rekorde und Statistiken." Aber das lenke auch von dem riesigen Aufwand ab, auf dem jede Leistung fuße: "Ich kann keinen Sieg als gegeben ansehen, jedes Rennen ist ein großer Kampf." Wahr ist in jedem Fall, dass Shiffrin sich lieber die Kräfte einteilt, anstatt auf einem Ski die Piste herunterzurasen wie einst Miller; oder sich ständig aus dem Fangzaun zu schälen, nach dem nächsten Sturz, wie Vonn. Dafür war sie bislang schwindelerregend erfolgreich - 57 Weltcup-Siege sind es mittlerweile, Ingemar Stenmarks Rekord von 86 Erfolgen rückte zuletzt immer näher. Dazu kommen zwei Olympiasiege und fünf WM-Titel. Und jetzt?

Shiffrin will nicht für ihr Aussehen anerkannt werden

Vonn beendete in Are ihre Karriere, Shiffrin wird oft als ihre Thronfolgerin bezeichnet, dabei haben beide höchstens den Erfolg gemein. Während Vonn oft von heiligem Ernst beseelt war, auch weil sie sich lange in der Schuld ihrer Familie wähnte, feiert Shiffrin ihre Erfolge zurückhaltend oder nimmt sich selbst auf die Schippe. Von Wettrennen gegen Männer, um die Vonn sich lange (und erfolglos) bemühte, hält sie wenig: "Mit Männern zu trainieren, bringt dein Skifahren voran, aber im Rennen sind die Besten auf einem ganz anderen Planeten." Als Shiffrin im vergangenen Sommer von einem US-Magazin für ein Foto-Shooting der "heißesten Athletinnen" ausgewählt wurde, ließ sie sich nicht im Bikini ablichten wie viele andere, sondern in Trainingsjacke und mit ein paar Medaillen um den Hals - sie wolle für ihre Erfolge anerkannt werden, nicht für ihr Aussehen, sagte sie.

Vonn (die einem Bikini-Shooting selten abgeneigt war) hatte Shiffrin zuletzt in Are explizit als einen Charakter gelobt, der den Alpinsport voranbringe. Allerdings hatte die 34-Jährige auch bemängelt, dass es ein wenig an starken Persönlichkeiten und an Fahrern insgesamt fehle, auch in den USA, die vor fünf, sechs Jahren sogar den Österreichern als erfolgreichste Alpin-Nation Konkurrenz machten. Mittlerweile haben viele Hochleister aus dieser Ära aufgehört (Vonn, Miller, Julia Mancuso) oder sind weit von alter Schaffenskraft entfernt (Ted Ligety).

Immerhin: Shiffrin dürfte ihnen noch eine Weile erhalten bleiben: Sie wird in der kommenden Woche 24 Jahre alt.

© SZ vom 06.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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