Mikaela Shiffrin:"Eine Minute Ruhe"

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Hallo, hier bin ich wieder: Olympiasiegerin Mikaela Shiffrin aus den USA nimmt am Wochenende den Betrieb in ihrer Spezialdisziplin Slalom auf. (Foto: Barbara Gindl/dpa)

Die Ski-Rennläuferin spricht vor dem ersten Weltcup-Slalom dieses Winters über Erwartungsdruck und eine beeindruckende Begegnung mit Roger Federer.

Interview von Matthias Schmid

Bei den großen Erfolgen von Mikaela Shiffrin vergisst man leicht, dass die Ski-Rennläuferin erst 23 Jahre alt ist. Mit 17 gewann sie ihren ersten WM-Titel im Slalom. Mittlerweile hat sie alle wichtigen Wettbewerbe gewonnen, die ihr Sport zu bieten hat: außer drei WM-Titeln noch zweimal Olympia-Gold und zweimal den Gesamt-Weltcup. Im Interview vor dem ersten Weltcup-Slalom des Winters in Levi (Finnland) spricht sie über die großen Erwartungen an sie - und eine Begegnung, die sie schwer beeindruckt hat.

SZ: Frau Shiffrin, Sie haben im Sommer den Tennisspieler Roger Federer getroffen und nachher davon geschwärmt, wie er Sie inspiriert hat. Was hat Sie denn am meisten an ihm beeindruckt?

Mikaela Shiffrin: Das Treffen mit Roger war eines der coolsten Dinge, die ich bisher in meinem Leben erfahren durfte. Er ist schon seit Kindheitstagen mein großes persönliches Idol. Ich habe viele seiner Matches im Fernsehen verfolgt und bewundere vor allem, wie er mit seinen Kollegen umgeht und was für ein großer Wettkämpfer er ist: ein Athlet, der immer anmutig rüberkommt, höflich und von allen, wirklich allen respektiert wird. Ich finde auch andere Sportler cool, aber Roger übertrifft alle Erwartungen. Er redet mit allen Menschen gleich und interessiert sich für sie. Das machte es auch für mich so leicht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Er ist wirklich ein total bodenständiger Kerl.

Ähnlich wie von Federer erwartet auch von Ihnen jeder Siege, am besten noch mit zwei Sekunden Vorsprung. Haben Sie ihn gefragt, wie er mit diesen Drucksituationen umgeht?

Ich habe mit ihm nicht so viel über Druck geredet. Aber er hat erwähnt, wie er mit seinem jüngeren Ich spricht, was er ihm und anderen jüngeren Athleten raten würde.

Zum Beispiel?

Sie sollen die Siege mehr genießen und sich auch danach mehr Zeit für sie nehmen, um sie zu feiern und zu reflektieren. Er war so gefangen in seinem eng getakteten Turnierkalender, er sei rastlos von Turnier zu Turnier, von einem ins nächste Match gehetzt. Mittlerweile spiele er viel weniger Turniere. So könne er die Siege viel mehr wertschätzen als früher und sie auch mit seinem Team besser teilen. Ein Turnier zu gewinnen, sei eine Bestätigung für die harte Arbeit von einem selbst und dem Team, das dich täglich unterstützt. Verlierst du nach einem Triumph allerdings gleich darauf früh beim nächsten Turnier, beschäftigst du dich nur noch mit der Niederlage. Der schöne Erfolg wird überlagert von großer Enttäuschung.

Teilen Sie diese Erfahrung?

Ich fand das alles sehr interessant, weil ich es ähnlich erlebe. Ich merke selbst, dass ich aus Siegen gar keinen Vorteil für mich ziehen und sie angesichts des Terminkalenders gar nicht richtig feiern kann. Aber würde ich das tun und nicht sofort wieder trainieren, hätte ich beim nächsten Rennen keine Chance und würde nur hinterherfahren. Das ist ein Dilemma. Die richtige Balance zu finden, ist eine Kunst für sich. Ich muss versuchen, die unglaublichen Momente nach einem Sieg so zu verarbeiten, dass ich schon beim nächsten Rennen wieder unglaubliche Momente erleben darf.

Sie arbeiten seit einiger Zeit mit einer Sportpsychologin zusammen. Liegt einer der Gründe darin, dass Sie sich vor Rennen sogar übergeben mussten, weil Sie sich selbst so unter Druck gesetzt haben?

Yep. Es hat Rennen gegeben, in denen ich so viel Angst aufgebaut habe, dass das auf meinen Magen geschlagen hat. Vor allem in Killington ist mir das passiert, vor meinem Heimpublikum, zuletzt auch vor dem Slalom bei den Winterspielen in Pyeongchang. Ich habe nie zuvor diese große Nervosität, diese innere Anspannung gespürt. Die Last der Erwartungen hat mich erdrückt, aber ich bin gerade dabei zu lernen, sie zu ignorieren und den Wettkampf zu genießen. Wenn ich weiter darüber nachdenke, was jeder da draußen von mir erwartet, ruiniert das meine Leistung, und ich werde noch ganz verrückt.

Was tun Sie genau?

Ich versuche, mir jetzt vor jedem Rennen eine Minute der Ruhe zu verordnen, in der ich wertschätze, warum ich eigentlich Skifahrerin geworden bin.

Könnte es sein, dass Sie eines Morgens mitten in der Saison aufwachen und sich sagen: Das war's, ich trete sofort zurück?

Es könnte gut sein, dass ich eines Tages aufwache und feststelle, dass ich alles getan habe, was mich angetrieben und motiviert hat, und dass es jetzt an der Zeit ist aufzuhören. Aber es wird nicht bald passieren. Es geht mir bei dieser Entscheidung nicht darum, wie viele Titel ich gewonnen habe, sondern ob ich mich weiter motivieren kann, mich als Skifahrerin zu verbessern. Wenn ich weiter diese Leidenschaft in mir spüre, um hart im Kraftraum und auf Skiern im Schnee daran zu arbeiten, eine komplettere Skifahrerin zu werden, mache ich weiter. Aber wenn ich merken sollte, dass ich lieber etwas anderes machen würde, dann wird es mit Sicherheit nicht lange dauern, bis ich zurücktrete.

Haben Sie sich nach dem Treffen mit Federer eigentlich auch zum Tennisspielen mit ihm verabredet?

Ich habe leider noch nichts ausgemacht. Ich habe ihm aber erzählt, dass ich ein großer Tennisfan bin und auch gerne selber spielen würde. Aber er ist ein viel beschäftigter Mensch, und ich kenne das ja von mir selbst, wie das ist, wenn jemand zu dir sagt, dass er gerne mal mir dir Ski fahren würde. Habe ich dann mal einen Tag frei und nichts vor, dann gehe ich lieber an den Strand oder mache etwas ganz anderes. Ich würde sehr gerne mit Roger Tennis spielen, aber er wird sich wohl denken: "Klar, gute Idee, aber lass uns lieber irgendwo Mittagessen gehen." Ich habe ihn deshalb nicht danach gefragt, aber es bleibt ein Traum von mir, mit ihm eines Tages ein paar Bälle zu schlagen.

© SZ vom 16.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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