Nachtslalom in Schladming:Hirschers erfolgreiche Tüfteleien

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Ein Besessener: Marcel Hirscher während der Nachtfahrt in Schladming (Foto: REUTERS)
  • Marcel Hirscher gewinnt den Nachtslalom in Schladming vor Alexis Pinturault und Daniel Yule und zeigt damit, dass er noch immer den Maßstab setzt in seinem Sport.
  • Dem Österreicher helfen auch Veränderungen am Material, die er mit seinem Team vorgenommen hat.

Von Matthias Schmid

Im Starthaus vor dem zweiten Durchgang ließ Marcel Hischer in Schladming alle an seinem Perfektionismus teilhaben. Der österreichische Ski-Rennläufer sagte Zahlen auf, die die Zuschauer am Fernsehen irritiert und kopfschüttelnd zurückließen. Immer wieder wiederholte er dabei die Fünf, bevor er das Startsignal erhielt. "Bei Fünf geht's weiter", sagte er also. Oder: "Fünf Haarnadeln." Und: "Fünf Vertikale." Was sich für viele lustig anhörte, war für Hirscher die Grundlage für seinen überlegenen zehnten Saisonsieg beim Nachtslalom an der Planai.

Manche sagen ja dem Sportler aus Annaberg bei Salzburg ein übertriebenes Streben nach Perfektion nach, Hirscher ist in der Tat ein Besessener, der alles kontrollieren und jede Eventualität beherrschen möchte. Dazu gehört, dass er den Kurs mit all seinen Tücken auswendig lernt. Der 29-Jährige merkt sich dabei Zahlenkombinationen, wie er zuletzt dem Hahnenkamm-Magazin Kitz Race verraten hat: "Letzendlich weiß man immer, wie viele Tore es bis zur nächsten kritischen Stelle sind." Fünf Schwünge bis zur ersten Haarnadel, drei Tore bis zur nächsten Vertikalen und so weiter.

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Schladming war besonders tückisch, weil die Strecke durchgehend steil und sehr eisig war. Strenggenommen waren es pure Eisplatten, auf denen die Rennläufer am Dienstagabend fuhren. Es spiegelte sich an jedem Tor, die geringe Schneedecke war nur ein bisschen Kostüm für den sehr glatten Untergrund. Der Achte Felix Neureuther etwa "konnte keinen Grip aufbauen", wie er im Gespräch mit dem BR befand. Und Hirscher? Ließ alles so einfach aussehen, als wäre er die Familien-Abfahrt für Groß und Klein heruntergewedelt.

Wenn Hirscher nicht gewinnt, läuft was gehörig schief

1,21 Sekunden lag er am Ende vor dem Franzosen Alexis Pinturault und dem Schweizer Daniel Yule (+1,60). Das Resultat war eine Demonstration seiner Virtuosität, vor dem ersten Durchgang hatte er mit fast einer Sekunde geführt - sogar der hochdekorierte Hirscher hatte nie zuvor einen größeren Vorsprung in einem Slalom herausfahren können. Dass er seine Kontrahenten wieder verblüffte, gefiel ihm ganz besonders.

Es war fast ja fast schon belustigend, wie sie in Österreich in den vergangenen Tagen Hirscher begleitet hatten. Von einer Mini-Krise war die Rede, davon, dass ihn die Jungen wie der Franzose Clément Noël abgehängt hätten, nachdem er sich in Wengen und Kitzbühel zuletzt zweimal hinter Noël mit dem zweiten Platz begnügen musste.

Der zweite Platz ist der erste Verlierer, so sehen es viele Beobachter in Österreich, aber auch Hirscher selbst. Wenn er nicht gewinnt, läuft was gehörig schief, also fahndete er mit seinem Team, das von seinem Vater Ferdinand angeführt wird, nach den Ursachen, warum er vor allem in den ersten Durchgängen nicht mehr mithalten konnte. In den vergangenen zwei, drei Wochen, so erzählte Hirscher in Schladming, haben sie viel probiert, getüftelt am Setup, an der Abstimmung zwischen Ski, Bindung und Schuh.

Mit Erfolg, wie er schon nach den ersten Toren im ersten Durchgang bemerkte. Er habe wieder das Gefühl gehabt, das er kannte, stellte er hinterher erleichtert fest. Hirscher konnte voll angreifen, auf der engsten, auf der brutalsten Linie, die physikalisch möglich ist. "Nach dem ersten Durchgang habe ich gewusst, dass ich wieder auf Schiene bin", erklärte Hirscher im ORF.

Dass er sich in Wengen und Kizbühel nicht sonderlich wohl gefühlt hatte, war auch daran zu erkennen, dass er weitere Schwünge fuhr als sonst. Ins Detail seiner Tüfteleien wollte er in Schladming aber nicht gehen, er behielt für sich, was sie am Material geändert haben. "Es geht nicht einmal um einen Zentimeter", sagte Hirscher nur, "aber für mich macht es die Welt aus, es ändert recht viel. Ich bin froh, diesen Zentimeter gefunden zu haben." Was man so hört, soll es um den Innenschuh gegangen sein.

Seine Konkurrenten verneigten sich jedenfalls vor ihm, die Krise des sechsmaligen Weltmeisters und Doppel-Olympiasiegers, der seinen 68. Weltcup gewann, hätten sie nämlich auch gerne. "Er ist wahrscheinlich einer der besten Sportler des Jahrhunderts. Wenn nicht sogar der Geschichte", sagte der Schweizer Yule. Ihm fiel in dieser Reihung nur noch sein Landsmann Roger Federer ein. Hirscher verschiebe "die Grenzen in vielerlei Hinsicht".

Hirscher wird zum Weltsportler des Jahres gewählt

Hirschers Einzigartigkeit bekommen sie langsam auch außerhalb des alpinen Skikosmos mit. Der TV-Sender Eurosport und die französische Sportzeitung L'Équipe hatten ihn zuletzt zum "Weltsportler des Jahres" bzw. "Champion der Champions" gekürt. Dahinter folgten Größen wie Novak Djokovic, Lewis Hamilton, Marc Marquez, Antoine Griezmann, Kevin Mayer oder Eliut Kipchoge. Hirscher wurde diese Auszeichnung als erster Ski-Rennläufer überhaupt zuteil. "Das ist etwas Spezielles für mich, vor so vielen Größen gereiht worden zu sein", sagte er danach in einer Video-Botschaft auf Facebook. Denn viele haben die Skifahrer bisher nicht allzu ernst genommen. Zu klein und unbedeutend sei die Sportart.

In Österreich ist dem aber ganz bestimmt nicht so. Drei Bodyguards waren eigens in Schladming für Hirscher abgestellt, um ihn von den euphorisierten Massen angemessen zu schützen. 40 000 Menschen waren wieder an die Planai gekommen, um sich das Spektakel anzusehen.

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