Hundert Mal hat Simon Ammann schon an das Ende gedacht, vielleicht auch tausend Mal. Es wird kommen, das weiß er. Es hat ein bisschen seinen Schrecken verloren für ihn. Aber er ist noch unschlüssig, wann sein Leben als Skispringer wirklich nicht mehr weitergehen soll, und jetzt schiebt er die Frage danach weg, weil das nicht gut wäre, wenn jeder Wettkampf wie ein Abschied aussähe.
"Wenn du jedes Mal denken würdest, jetzt springe ich tatsächlich zum letzten Mal . . ." Das geht für Ammann nicht. Schon gar nicht bei dieser Vierschanzentournee, an der er, der viermalige Olympiasieger aus der Schweiz, ja nicht nur teilnimmt, um ein bisschen anspruchslos mitzuhüpfen.
Für ein paar Männer im Feld wird diese 62. Vierschanzentournee, die an diesem Samstag mit der Qualifikation zum Auftakt in Oberstdorf beginnt, die letzte sein. Für wen genau, muss man erst mal sehen, denn man täuscht sich leicht in den Senioren der Branche. Seit Jahren rechnet man mit dem letzten Hallo des deutschen Ex-Weltmeisters Martin Schmitt, 35, oder des früheren Tournee-Gewinners Jakub Janda, 35, aus Tschechien - seit Jahren machen sie weiter.
Der fünfmalige Tournee-Gewinner Janne Ahonen, 36, aus Finnland, war schon zwei Mal zum letzten Mal bei der Tournee - jetzt ist er zum zweiten Mal zurück. Bei Noriaki Kasai, 41, aus Japan wundert einen ohnehin nichts mehr. Und auch beim hochdekorierten Ammann ist das letzte Wort nicht gesprochen, auch wenn er seit einer kleinen Ewigkeit zum Establishment des Schanzensports gehört und das biblische Alter von 32 erreicht hat.
Vom Skispringen lässt man nicht so leicht. Das kann man sich von Ammann ganz gut erklären lassen. Er ist ein nachdenklicher Sportler. Manchmal sogar so nachdenklich, dass er sich selbst komisch findet dabei. Nach seinem zweiten Doppel-Olympiasieg 2010 in Vancouver hat er so intensiv über seine Freude sinniert, dass er sie fast in Gedanken versenkte. "Ich wollte es so genießen, dass ich zu viel darüber nachgedacht habe." Er lacht. Ammann kann das also ganz gut, sich über das eigene Seelenleben klar werden. Und die Frage nach dem Ende beschäftigt ihn durchaus.
Simon Ammann hatte seinen ersten Weltcup-Einsatz mit 16. Er könnte der Springerei allmählich überdrüssig sein, aber das ist er nicht. "Du hast immer noch diese technischen, mentalen und physischen Bereiche, wo du zulegen könntest." Ammann interessiert sich für seine Grenzen, deshalb hat er 2011 auch beschlossen, sich noch einmal so richtig auf seinen Sport einzulassen.
Die Regeln änderten sich wieder, die Athletik wurde noch wichtiger, und gerade für Ammann, das Natur-Leichtgewicht, war das eine Herausforderung. Er musste durch ein Tal, immer noch hat er damit zu kämpfen, dass sein Sport nicht einmal mehr kleinste Fehler beim Absprung verzeiht. Aber er spürt auch, dass seine Bemühungen nicht vergeblich sind.
Beim Weltcup in Titisee-Neustadt stand er kürzlich auf dem Siegerpodest. Vom Aufhören reden? Jetzt? Ammann sieht die Chance, die letzte Rechnung zu begleichen, die er noch offen hat. Die Tournee hat er nie gewonnen. Das ist jetzt sein Thema. "Ich habe eine lustige Zuversicht in mir."
Dieser ewige Kampf ums Gelingen, den die Magie des Fliegens begleitet - das mag ein Springer nicht so leicht hergeben. "Vor allem, wenn man was sucht, wo man sich wirklich ausreizen kann", sagt Ammann, "beim Skispringen hast du immer wieder Sprünge, wo es dich selber überrascht. Du bist in der Luft, du spürst, wie es vorwärts geht, und denkst, Himmel, wie ging das jetzt am Schanzentisch los. Das hat einen unglaublichen Reiz. Immer noch."