Vierschanzentournee:Wo jeder Sprung zur Überraschung werden kann

Vierschanzentournee Garmisch-Partenkirchen

Ein Sieg bei der Vierschanzentournee wird ihm zugetraut: Severin Freund beim Springen in Garmisch 2013.

(Foto: dpa)

Schlierenzauer, Ammann, Bardal, der Deutsche Severin Freund - oder ein anderer? In dieser Skisprung-Saison würfelt es die Besten munter durcheinander, die Vierschanzentournee wird spannend wie lang nicht mehr.

Ein Kommentar von Thomas Hahn

Unvorsichtigerweise hat sich der deutsche Skisprung-Bundestrainer Werner Schuster neulich auf die Bitte eingelassen, die drei größten Favoriten auf den diesjährigen Tournee-Sieg zu nennen. Er hatte gleich gesagt, dass das eigentlich nicht geht, aber dann übermannte ihn die Höflichkeit und er fischte drei Namen aus dem Kreis der Besten. Stoch. Bardal. Freund.

Sehr gute Tipps waren das: Der Pole Kamil Stoch hat sich zuletzt an die Spitze des Gesamtweltcups gesetzt. Norwegens Anders Bardal springt gerade so konstant gut wie sonst keiner. Und wenn der Deutsche Severin Freund in Fluglaune gerät, kann der auch für nichts garantieren. Aber im nächsten Moment meldete sich wieder der Fachmann im Schuster: "Jetzt hab' ich den Schlierenzauer vergessen." Pause. "Ammann hab' ich auch vergessen."

Er hat noch ein paar mehr Namen vergessen. "Circa zehn Kandidaten auf den Gesamtsieg" zählt Schuster, und es ist gut möglich, dass er dabei immer noch nicht jeden bedacht hat, den die Dynamik des Ereignisses an die Spitze des Tableaus spülen könnte. In der jüngeren Geschichte des Skispringens kam es immer wieder vor, dass einer über Wochen herausragte - in diesem Jahr hat es in acht Einzel-Weltcups sechs Tagessieger gegeben, ständig wechselte die Besetzung des Ehrenpodests. Leute wie der Ruhpoldinger Andreas Wellinger, 18, waren dort ebenso zu erleben wie der ewige Japaner Noriaki Kasai, 41.

Niemand hat sich abgesetzt, und natürlich liegen die Gründe dafür tief in der Physik des Schanzensports verborgen. Seit 2012/13, seit die Springer fast hautenge Anzüge tragen müssen, ist der Sport schwieriger geworden. Kleine Fehler haben größere Wirkung, diese Präzision lässt sich nicht so leicht abrufen. Der Wind spielt auch noch mit, trotz der Wunder der Kompensations-Regeln. Und so würfelt es die Besten munter durcheinander.

Ist das toll? Ist das nervig, dass selbst auf ein Skisprungwesen wie Schlierenzauer kein Verlass mehr ist? Man weiß beim Schanzensport gerade nicht so genau, welcher Erfolg mit echtem Können und welcher mit Glück zu tun hat, das trübt den Blick aufs Geschehen. Auf der anderen Seite weiß gerade auch keiner, wer die Tournee gewinnt. Morgenstern? Wellinger? Ahonen? Takeuchi?

Es kann jeden Moment eine Überraschung geben. Für die Dramaturgie eines Sportereignisses ist das kein Nachteil.

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