Siebenkampf:Zur Belohnung wird es ungesund und fettig

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Silbermedaillengewinnerin Carolin Schäfer beißt bei der Siegerehrung im Siebenkampf der Frauen auf ihre Medaille. (Foto: dpa)
  • Die Siebenkämpferin Carolin Schäfer holt die erste deutsche Medaille bei der Leichtathletik-WM in London.
  • Nach der Olympia-Teilnahme hat die Athletin ihr Training radikal geändert - mit Erfolg.
  • Die vergangenen Jahre waren von harten persönlichen Rückschlägen geprägt. Der 25-Jährigen ist ihre Lebenserfahrung anzumerken.

Von Saskia Aleythe, London

Sie hätte anfangen können, über ihren Hürdenlauf zu reden, über die persönliche Bestweite im Kugelstoßen und den ordentlichen Hochsprung, doch als Carolin Schäfer nach ihrem Schlüssel zum Erfolg gefragt wurde, wählte sie etwas anderes. Etwas, das gar nichts mit Muskelkraft zu tun hatte. "Ein großer Faktor ist meine mentale Stärke", sagte Schäfer und man musste ihr weiter zuhören: "Der Mehrkampf ist von Auf und Abs geprägt. Auch im normalen Leben passieren Dinge, wo man sich zurückkämpfen muss." Carolin Schäfer ist 25 Jahre alt und in den vergangenen Jahren hat sie einiges vom Leben gelernt.

Tränen bei der Siegerehrung

Mit dem Schritt über die Ziellinie schlug sie die Hände vors Gesicht, weinte ein bisschen und schüttelte sich leicht, auf den Knien sitzend, vornübergebeugt auf der Tartanbahn. Nach den 800 Metern, der letzten Disziplin im Siebenkampf hatte sie schließlich 6696 Punkte gesammelt - genug für WM-Silber, der ersten deutschen Medaille bei der Leichtathletik-WM in London. "Da war die pure Erleichterung", sagte Schäfer, "endlich dieses Glück fassen zu können und mit Edelmetall nach Hause fahren zu dürfen." Dann atmete sie durch und auch mal tief ein, lächelte. Sie ging zur Siegeherung, ließ noch mal die Tränen zu.

Später sagte die Vize-Weltmeisterin einen bemerkenswerten Satz für jemanden, der vor wenigen Stunden den größten Karriereerfolg gefeiert hatte: "Was wirklich zählt im Leben, ist das, was nach dem Sport passiert. Da sind viele Dinge daneben wichtig." Freunde, Familie, Freizeit, die Karriere nach der Karriere. Als ausgebildete Kommissarin will sie später mal zur Kripo. Gedanken, die sich viele Sportler erst machen, wenn die Zeit im Sport schon dem Ende zuläuft. Bei Schäfer geht es ja gerade erst richtig los.

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Die vergangenen Jahre waren hart

Mehrkämpfer sind besondere Sportler, mit hoher Quäl- und Leidensbereitschaft, doch Schäfer wollte das gar nicht in den Fokus rücken bei ihrer ersten WM-Medaille im Senioren-Bereich. Schon früh hatte sie als Talent gegolten, wurde U18-Vizeweltmeisterin und WM- und EM-Siegerin bei den Juniorinnen. "Nun hat es ein paar Jahre gedauert, sich oben durchzusetzen", sagte Schäfer und dann schließlich auf Nachfrage doch: "Ich glaube, das kann nur mein Umfeld beurteilen, wie hart die letzten Jahre waren." In sportlicher wie in privater Hinsicht. Anfang 2015 war ihr Freund bei einem Unfall gestorben.

Erst kurz vor dieser WM hatte Schäfer ihre persönliche Bestmarke in Götzis gesteigert, um gleich 300 Punkte auf 6836 Punkte, Platz fünf in der ewigen deutschen Bestenliste. Über zwei Tage hinweg kämpfte sich Schäfer nun in London durch die Disziplinen, nach dem Einstellen der persönlichen Bestleistung im Hochsprung (1,86 m) und einer neuen Bestweite im Kugelstoßen (14,84 m) war die Frankfurterin sogar als Führende in den Sonntag gestartet.

Dann kam der Weitsprung, Fehlversuch, Fehlversuch, doch den dritten Sprung erwischte sie, wenn auch alles andere als optimal. Es ist ihre schwächste Disziplin, 6,20 Meter, sie fiel zurück. "Der Weitsprung war heute wieder so ein Knackpunkt", sagte Schäfer. Aber Weitsprung hin oder her: Dass Olympiasiegerin Nafissatou Thiam aus Belgien schwer zu schlagen ist, weiß sie natürlich. "Sie ist einen Kopf größer und hat ganz andere Hebelverhältnisse. Und ist eine sehr ausgeglichene Athletin." Mit 6784 Zählern gewann Thiam Gold, Dritte wurde Anouk Vetter aus den Niederlanden (6636).

Die Hallensaison ausgelassen

Noch im Stadion war Schäfer nach der letzten Entscheidung zu ihrem Trainer Jürgen Sammert geflitzt, den sie lange umarmte, "ein Moment, der mir unheimlich viel bedeutete", sagte Schäfer. In der Saisonvorbereitung hatte er Herzprobleme bekommen, durfte nicht mehr fliegen, "das hat uns alle geprägt", sagte Schäfer, womit sie mehr die Sorgen als die Umstände meinte. "Solange es meinem Umfeld gutgeht, geht es mir auch gut und dann bringe ich auch meine Leistungen", fuhr sie fort. Aus einem geplanten Trainingslager auf Lanzarote wurde eine Fahrt zum Olympiastützpunkt in Saarbrücken. Was soll's?

Vertrauen scheint eine große Rolle im Leben von Carolin Schäfer zu spielen, auf sich selber, für die Ideen des Trainers. Mit Platz fünf bei Olympia im vergangenen Jahr hat sie gemerkt, dass sie es in die Weltspitze schaffen kann, zumal nun mit Jessica Ennis-Hill und Brianne Theison-Eate zwei Frauen ihre Karriere beendet haben, die den Sport lange dominierten. "Ich habe nach Rio einfach mal gar nichts gemacht und mein normales Leben genossen und versucht, den Kopf freizukriegen", erzählte Schäfer nun, auch die Hallensaison hat sie in Abstimmung mit dem Trainer ausgelassen, um sich stattdessen der Technikverbesserung zu widmen. "Das hat mir sehr, sehr gut getan."

Genauso will sie nun auch weitermachen, nach der WM in London erst mal zwei Monate pausieren, "es ist unglaublich wichtig, jetzt einen Cut darunterzusetzen und zu wissen, wann auch mal gut ist." Reisen will sie, Zeit mit Familie und Freunden verbringen, shoppen gehen. Und: essen. "Innerhalb der Saison ernähre ich mich gluten- und laktosefrei," sagt Schäfer, "das gibt ein besseres Körpergefühl. Aber nach den Mehrkämpfen habe ich auch mal Bock auf eine Pizza." Ihre Prioritäten für das Feiermenü nach der Silbermedaille in London waren dann auch schnell gesetzt: "Richtig schön fettig und ungesund."

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