5:1 im Mailänder Derby:Überlegen auf jedem Zentimeter Rasen

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Intellektueller des Fußballs: Auf Henrikh Mkhitaryan (unten Mitte) verzichtet Inter-Trainer Simone Inzaghi nie freiwillig. (Foto: Jin Mamengni/Xinhua/Imago)

Inter beschert dem AC Mailand im Derby einen schmachvollen Moment. Das Mittelfeld um den früheren Dortmunder Mkhitaryan dürfte eines der besten in Europa sein.

Von Oliver Meiler

Derbys sind für die Annalen - der wahre Fan erinnert sich an alles, auch an schmachvolle Momente. Am Ende, als der Wirbel über dem verregneten San Siro verebbt war und Inter Mailand allen den Meister gezeigt hatte, vielleicht sogar buchstäblich, stand Stefano Pioli, der Trainer der unterlegenen AC Milan, vor den Fernsehkameras und sagte folgenden Satz: "Sind wir falsch an dieses Spiel herangegangen? Nein, in den ersten vier Minuten hatten wir den Ball." Er möge sich auch nicht entschuldigen bei den Fans, dafür gebe es keinen Grund: "Inter war einfach schlauer als wir." Più furbi. Nun, wenn es nur eine Frage der Schläue gewesen wäre.

5:1. Inter war überlegen in allem, auf jedem Zentimeter des Rasens. Die zwei Teams waren punktgleich in das Duell gegangen, man hatte Milan gar für ebenbürtig gehalten. Doch dann zeigte Marcus Thuram, der im Sommer ablösefrei aus Mönchengladbach gekommen war, dass die Nerazzurri dem untreu gewordenen Romelu Lukaku wohl nicht nachzuweinen brauchen. Thuram nahm sich das Stadion mit einer Macht, wie man das in einem Mailänder Derbydebüt noch selten erlebt hatte.

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Das gab es noch nie: Vor dem ewigen Mailänder Stadtduell stehen Inter und AC mit voller Punktzahl vorne - obwohl beide mit stark veränderten Kadern antreten. Schon am vierten Spieltag herrscht Showdown-Stimmung.

Von Oliver Meiler

"Ich hörte ein lautes Geräusch, ein schönes", sagte er nach seinem spektakulär schönen Tor, einem satten Schlenzer ins entfernte, hohe Toreck, zum zwischenzeitlichen 2:0 in der 38. Minute. Da war alles drin: Technik, Wucht, Hunger, etwas für die Alben. Wann immer der Ball zum französischen Internationalen kam, war er seinem bemitleidenswerten Gegenspieler, dem Deutschen Malick Thiaw, schon einen Gedanken voraus - und zwei Schritte.

Mkhitaryan spricht so gut und akzentfrei Italienisch, als lebe schon ewig in Italien

Noch eindrücklicher war die Überlegenheit Inters aber im Mittelfeld, wahrscheinlich eines der besten in Europa. Es drehte sich mal wieder um Henrikh Mkhitaryan. Auf ihn verzichtet Trainer Simone Inzaghi nie freiwillig, selbst dann nicht, wenn auf der Bank Luxusreservisten sitzen, die das halbe Land spielen sehen will. Der Armenier ist jetzt 34 Jahre alt, ein Intellektueller des Fußballs: Er denkt das Spiel, läuft mehr als alle, durchkreuzt die Linien der Gegner, legt Spuren in den eigenen Sturm, und oft trifft man ihn plötzlich in der Spitze an. Zwei Tore, eine Vorlage. Im Mailänder Corriere della Sera gab's dafür Note 9 von 10.

Mkhitaryan spricht mittlerweile so gut und akzentfrei Italienisch, dass man meinen könnte, er lebe schon ewig in Italien, eine Freude in jedem Interview. "Wir wollen diesen zweiten Stern", sagte er nach dem Spiel. Ein zweiter Stern über dem Vereinswappen auf der Trikotbrust - der stünde für zwanzig gewonnene Meisterschaften. Inter und Milan stehen beide bei 19, ein Stern. Da läuft ein Duell im Duell.

Inter hat nun also das fünfte Derby in Serie gewonnen in diesem Kalenderjahr, auch das ist Rekord. Und Inzaghi, den sie vor weniger als einem halben Jahr schon wegschicken wollten, reift zu einer erinnerungswürdigen Trainerfigur. Noch immer kann seine Rhetorik nicht mithalten mit der Akrobatik seines Torjubels, mit seinen Sturmläufen mit wehendem Haar, die schmale Krawatte im Wind. Selbst als die Kritik an ihm exzessiv war, blieb er immer ruhig, alles hat er pariert und, erstaunlicher noch: Als er Inter im vergangenen Jahr ins Finale der Champions League geführt hatte, stand ihm der Sinn nicht nach Revanche. Sollte er bitter gewesen sein über die unfairen Attacken, er hat er das gut versteckt. Neulich hat er seinen Vertrag verlängert.

In keinem der Derbys in diesem Jahr trat sein Inter dominanter auf als in diesem jüngsten, klar: auch schlauer, wie Pioli sagt. Jedenfalls schoss Inter beim 5:1 die Tore immer dann, wenn Milan mal ein bisschen an sich glaubte. Aber ist das Toreschießen im richtigen Moment etwa keine Tugend mehr im Fußball?

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