Schwimmen:Es geht bergauf

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"Dort habe ich gelernt, was ich für einen Wert als Mensch habe": Julia Mrozinski hat den Schritt in die USA nie bereut - nun hat sie die Olympianorm geschafft. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Fünf bis sieben Medaillen soll der Deutsche Schwimm-Verband bei den Sommerspielen in Paris holen - es geht dabei auch um das Geld, mit dem er seine Strukturprobleme beseitigen will.

Von Sebastian Winter

Es wurde dann sehr ruhig in der Schwimmhalle im Europasportpark in Berlin. Zwei ältere Herren zogen am Samstagabend noch ihre Bahnen. Aber die Schienenkamera lief da längst nicht mehr. Das Licht war gedimmt, die Beschallung verstummt. Angenehm eigentlich, diese Ruhe, nach all dem Jubel, den Tränen. Nach diesen sportlichen Dramen, die sich eben abspielen bei einer auf vier Tage verdichteten Olympiaqualifikation.

Nina Holt beispielsweise. Mehrfache World-Games-Gewinnerin im Rettungsschwimmen. Eine Quereinsteigerin, die seit Ende 2022 unter Bundestrainer Bernd Berkhahn mit Florian Wellbrock und Co. in Magdeburg trainiert. Nun wurde die 21-Jährige deutsche Meisterin über 100 Meter Freistil und fährt mit der Lagenstaffel zu den Olympischen Spielen nach Paris - vorbehaltlich der endgültigen Nominierung durch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). "Sie ist cool, erfrischend, Veganerin. Das ist spannend, weil das im Hochleistungssport oft als Problem angesehen wird. Sie managt das aber richtig gut", sagte Berkhahn über Holt.

Schwimmen-Geschwister Märtens
:Paris? Paris!

Leonie und Lukas Märtens sind die ersten deutschen Schwimm-Geschwister bei Olympia nach den Deiblers. Während ihr Bruder bei der Qualifikation in Berlin über 400 Meter Freistil fast den Biedermann-Weltrekord knackt, bekommt sie zur Belohnung einen Chihuahua geschenkt.

Von Sebastian Winter

Oder Julia Mrozinski, 24, die die Olympianorm über 200 Meter Freistil unterbot. Die Spiele in Tokio hatte sie 2021 verpasst, damals sei "eine Welt für mich zusammengebrochen". Versagensängste begleiteten sie, immer auch Gedanken, "als Leistungssportler nur eine Zeit oder eine Punktzahl zu sein". Dann ging sie in die USA, neue Impulse setzen, der Wechsel zahlte sich aus, auch persönlich: "Denn dort habe ich gelernt, was ich für einen Wert als Mensch habe."

535 Aktive hatten für die Wettkämpfe in Berlin gemeldet, rund zwei Dutzend werden den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) in Paris vertreten, weniger als fünf Prozent. Zugleich sind es Geschichten wie jene von Holt oder Mrozinski, die dem DSV Hoffnung machen. Auch wenn sie noch im Schatten von Größen wie Olympiasieger Florian Wellbrock, Weltmeisterin Angelina Köhler, Lukas Märtens oder Isabel Gose schwimmen. Märtens übrigens sendete über 400 Meter Freistil (viertschnellste je erzielte Zeit) und 200 Meter Freistil (seine Zeit hätte ihm in Tokio Olympiagold beschert) ein eindrückliches Signal: "Ich bin in einer Superform und wieder über mich hinausgewachsen", sagte er.

Nächste Olympiahoffnung im deutschen Schwimmen: Brustexperte Melvin Imoudu. (Foto: Jadranko Marja/Eibner/Imago)

Knapp drei Monate vor Paris hat der von strukturellen Problemen, Missbrauchsskandalen und finanziellem Aderlass wegen Gerichtsprozessen geschwächte DSV zumindest auf sportlicher Ebene wieder Auftrieb bekommen in Berlin. "Seit Tokio geht es wieder bergauf im Schwimmsport", sagte Sportdirektor Christian Hansmann der SZ. Im vergangenen Winter hat er sich mit dem DOSB ein Lagebild in der französischen Hauptstadt gemacht, nun schwärmt er von der "tollen Architektur und kurzen Wegen" im Olympischen Dorf; samt Zimmern mit ökologischer Kühlung, die die Temperatur angeblich um bis zu sechs Grad reduzieren kann.

Wellbrock, der sich in Berlin überraschend nicht auf den 800 Metern Freistil für Paris qualifizierte, dort aber über 1500 Meter im Becken und über zehn Kilometer in der Seine startet, wäre über höhere Temperaturen im Fluss froh. Bei der WM in Katar schwamm er im kalten Meer hinterher. Anfang Mai testet er mit seinen Kollegen bei einem Wettkampf in Sevilla schon mal die Bedingungen fürs Flussschwimmen.

Der DSV setzt also alle möglichen Hebel in Bewegung für den olympischen Erfolg, der auch für den Verband enorm wichtig wäre. In Paris "ist ein Korridor für Wasserspringen, Schwimmen, Freiwasser von fünf bis sieben Medaillen" mit dem DOSB vereinbart. Und Medaillen sind im kommenden Herbst ein zentrales Kriterium, wenn der DSV seine Strukturgespräche mit DOSB und Bundesinnenministerium (BMI) führt. Dann klärt sich auch, mit welchen Personalstellen der Verband, dem seit Jahren insbesondere ein Chefbundestrainer fehlt, planen kann.

"Ich finde es eine Frechheit, dass das jetzt erst ans Licht kommt", sagt Sportchef Hansmann über den chinesischen Dopingskandal

Magdeburg soll außerdem samt Hallenneubau bis 2028 zum Kompetenzzentrum ausgebaut werden. Die Trainingsbedingungen dort sind unzureichend - trotz Strömungskanals und anderer Hilfsmittel. Aber auch das kostet viel Geld. Und die fünf anderen Becken-Bundesstützpunkte in Berlin, Hamburg, Essen, Potsdam und Heidelberg "sind in Verhandlungen mit dem BMI, dass sie ihren Status über 2024 hinaus behalten", sagt Sportdirektor Hansmann.

So hoffnungsvoll sich das deutsche Schwimmen nun nach Paris aufmacht, so vieles liegt jenseits der sportlichen Ebene noch im Argen. Nicht zuletzt wird der Bericht der Missbrauchs-Aufarbeitungskommission nun im September erwartet - ein paar Wochen nach den Sommerspielen. Dort dürfte auch die DSV-Schwimmer aber noch ein ganz anderes Thema beschäftigen: der Dopingskandal um die 23 chinesischen Topschwimmer, die nach Recherchen der ARD und der New York Times 2021 positiv auf das verbotene Herzmittel Trimetazidin getestet, aber nicht gesperrt wurden - und bei den Sommerspielen in Japan dreimal Gold und drei weitere Medaillen gewannen. Manche von ihnen werden in Paris wohl erneut starten, was auch Hansmann fassungslos macht: "Ich finde es eine Frechheit, dass das jetzt erst ans Licht kommt. Das ist nicht neutral, nicht objektiv, nicht transparent." Hansmann hofft auf "neue Ermittlungsergebnisse von unabhängigen Instanzen". Doch es erscheint illusorisch, dass es diese, wenn überhaupt, noch vor Beginn der Sommerspiele gibt.

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