Schwimm-WM:Tränen in Shanghai

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Titel trotz Doping-Verwarnung: César Cielo wird der Wirkstoff Furosemid im Blut nachgewiesen, dennoch darf der Brasilianer starten, wird Weltmeister und liefert eine filmreife Show. Doch Cielo wehrt sich gegen die Vorwürfe: Einige seiner Koffeinkapseln seien verunreinigt gewesen.

Claudio Catuogno, Shanghai

César Cielo, 24, weinte dann wieder vor Ergriffenheit: Jedes Mal, wenn der Brasilianer einen Schwimm-Wettkampf gewinnt, könnte man mit seinen Tränen ein Wasserkraftwerk antreiben. Noch im Becken wischte er sich minutenlang durch die Augen, und später, bei der Siegerehrung, schüttelte es seinen Schwimmerkörper, als sei er nicht längst ein Routinier im Gewinnen, der Doppel-Weltmeister und Olympiasieger.

Der Brasilianer Cielo wird Weltmeister und liefert eine tränenreiche Show ab (Foto: REUTERS)

Aber auf gewisse Weise war diesmal ja tatsächlich alles anders. In Peking, wo Cielo 2008 als erster brasilianischer Schwimmer eine Goldmedaille gewann, und 2009 bei der WM in Rom - damals hatten sich die Zuschauer fast ausnahmslos anrühren lassen von diesem heulenden Koloss aus Santa Bárbara d'Oeste.

Diesmal, nach dem WM-Finale über 50 Meter Schmetterling, das Cielo am Montag in 23,10 Sekunden gewann, kamen von dort, wo in Shanghais WM-Arena die Athleten sitzen, Buh-Rufe und Pfiffe.

Wie er das fand? Ach, sagt César Cielo, "das habe ich gar nicht gehört". Und wenn er es gehört hätte? "Dann wäre es mir egal gewesen. Ich bin Schwimmer, kein Entertainer."

Es kommt nicht sehr oft vor, dass relevante Teile des Spitzensportbetriebs einem der ihren die Loyalität aufkündigen, solange er nicht rechtskräftig als Doper verurteilt ist. Die Unschuldsvermutung hat einen bisweilen abstrusen Stellenwert in der Welt der Athleten. Doch diesmal ahnten wohl die meisten WM-Schwimmer: Wenn in ihren Körpern gefunden worden wäre, was die Fahnder in einer Dopingprobe von César Cielo nachwiesen, hätten sie diese WM vor dem Fernseher verfolgt.

Der Hamburger Steffen Deibler, 24, der über die 50 Meter Schmetterling am Montag Sechster wurde in 23,55 Sekunden, wollte Cielo noch nicht mal dessen filmreife Rührung abnehmen. "Er hat eine große Show gemacht", sagte Deibler, "aber dass er hier schwimmen durfte, war ein Fehler."

Der Schwimm-Weltverband Fina hat es in letzter Zeit noch bei jedem großen Wettkampf geschafft, in Sachen Anti- Doping-Kampf dumm dazustehen. 2010 erlaubte er dem Spanier Rafael Munoz trotz dreier verpasster Dopingtests den EM-Start in Budapest: Der Spanier hatte ein psychologisches Gutachten beigebracht, das ihn für den Zeitpunkt eines gescheiterten Kontrollversuchs für unzurechnungsfähig erklärte. Damit kam er durch.

Bei der WM 2009 in Rom musste die Fina einräumen, wieder mal keine einzige Blutkontrolle durchzuführen. Diesmal allerdings ist die Geschichte verwirrender. Im diesem Fall war es nämlich die Fina, die sich darum bemühte, Cielo von der WM auszuschließen.

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Aber dann kamen drei Richter des Welt-Sportgerichtshofs Cas ins Spiel, reisten von Lausanne nach Shanghai, bildeten ein Ad-hoc-Panel - und erteilten dem Brasilianer die Startfreigabe. Ihre Urteilsbegründung? Wird nachgereicht, wenn die WM längst Geschichte ist.

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Im Mai waren bei Cielo und drei weiteren brasilianischen Schwimmern Rückstände des Wirkstoffs Furosemid gefunden worden. Das Mittel kann eingesetzt werden, um Gewicht zu reduzieren, oder um Spuren von Dopingmitteln zu verschleiern. Deshalb ist es verboten. Cielos Erklärung lautete: Einige der Koffeinkapseln, die er seit Jahren von einem Arzneimittelhersteller in seiner Heimatstadt Santa Bárbara d'Oeste beziehe, und die er auch an Teamkameraden weitergebe, müssten verunreinigt gewesen sein.

Der brasilianische Verband CBDA glaubte ihm diese Geschichte und beließ es bei der mildesten Sanktion überhaupt: einer Verwarnung. Eine andere Athletin, Daynara De Paula, hatten die gleichen Funktionäre für das gleiche Vergehen noch sechs Monate gesperrt. Warum nicht auch Cielo? Die Verbandsärztin, eine ehemalige Triathletin, plauderte den Grund ziemlich arglos aus: "Die Jungs haben in zwanzig Tagen eine WM!"

Es ist der alte Konstruktionsfehler, dass im Sport die Verbände ihre eigenen Athleten sanktionieren - von deren Erfolge sie zugleich profitieren. Und in Brasilien tun sich die Offiziellen derzeit besonders schwer mit dem Eingeständnis, dass sie offenbar ein grundsätzliches Problem haben: Neun Schwimmer des Landes sind in den vergangenen 18 Monaten mit Positivtests aufgefallen. Und nun also: verunreinigte Koffeinkapseln?

Die Apotheke Anna Terra jedenfalls, die das Malheur verschuldet haben soll, weist den Vorwurf entschieden zurück, in ihren Laboren könne es zu Verunreinigungen kommen. Zur Not werde man auch Prozesse nicht scheuen, um herauszubekommen, wie Cielo die angebliche Verunreinigung bewiesen habe.

Die Cas-Richter werden also gute Argumente anführen müssen dafür, dass sie einen Grundpfeiler des Anti-Doping-Kampfs gekappt haben mit diesem Urteil: das Prinzip, wonach jeder Sportler selbst dafür verantwortlich ist, was in seinen Körper gelangt. Die Sportgeschichte jedenfalls ist voll von Athleten, die wegen Furosemid im Körper eine Zwangspause einlegen mussten.

César Cielo sagt: "Ich bin durch diese Geschichte nur stärker geworden." Warum ein Schwimmer wie er täglich eine Koffeinkapsel schluckt, diese auch ziemlich interessante Frage ist bisher zurückgestanden hinter all dem juristischen Kleinklein. In dieser Woche jedenfalls will der Brasilianer noch seine WM-Titel über 50 und 100 Meter Freistil verteidigen. Es wird wohl noch einige Tränen geben in Shanghai.

© SZ vom 26.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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