Schmerzmittel im Sport:Falsche Vorbilder

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Macht der Fuß mit? Und hält er wiederum ein komplettes Turnier durch? Das weiß Rafael Nadal bei seinen Auftritten eigentlich nie. (Foto: Jean-Francois Badias/AP)

Statt Profis wie Rafael Nadal zu feiern, die sich schwer angeschlagen zu großen Erfolgen schleppen, sollten Spitzensport und Publikum mehr Raum für alle einräumen, die sagen: Ich mache da nicht mit, ich schaffe es nicht.

Kommentar von Johannes Knuth

Es wäre ja schon spannend, würde ein Radprofi bei der nahenden Tour de France so offen über seine Pein referieren, wie es der Tennisprofi Rafael Nadal jetzt in Paris tat. Etwa so: "Diese verdammte Quälerei über Galibier, Croix de Fer bis nach Alpe d'Huez, wie mir da der Schädel brummt von den elenden Anstiegen, der Sonne. Und dann die Holländer, die in Kurve sieben Party machen, mitten auf dem Friedhof. Hält man alles nur aus, wenn einem der Team-Doc jeden Tag dieses Zeug spritzt, von dem Beine und Kopf taub werden." Was würde sich da an Verachtung und Spott ergießen, über radelnde Apotheken, Junkies auf zwei Rädern.

Und Nadal? Der lachte, als er gefragt wurde, wie viele Injektionen er im Laufe des Grand-Slam-Turniers von Roland Garros erhalten hatte. Das behalte er lieber für sich, sagte er. Später räumte er ein, dass ihm ein Betreuer vor jedem Match ein Anästhetikum in den Nerv gespritzt habe, nur deshalb habe ihn sein malader Fuß durch das Turnier getragen. Sprich: zu seinem 14. Turniersieg bei den French Open, einer nie dagewesenen Rekordmarke.

Allzu sehr müssen die Radprofis und ihre Kollegen aus anderen Ressorts freilich auch nicht von der Moralkanzel predigen, wie es einige zuletzt taten. Hochleistungsmenschen wie Nadal, das haben Studien und Berichte hinreichend verdichtet, grüßen mit ihren Spritzentouren bestenfalls vom Gipfel einer Kultur, in der seit jeher alles genommen wird, was die Muskelkraft nach oben treibt. Das beginnt bei Listen an Nahrungsergänzungsmitteln, die so lang sind wie der Zettel für den Wocheneinkauf, es erstreckt sich über Athleten, die Ibuprofen wie Smarties schlucken bis hin zu Forschungsmedikationen für Krebskranke, die im Spitzensport landen, weil der Stoff (noch) nicht auf dem Dopingindex steht.

Athleten legen sich selten freiwillig an die Kanüle

Dass das, was Nadal treibt, im Grunde in den sanktionswürdigen Bereich schwappt (auch wenn er laut Reglement nichts Verbotenes tut), ist unstrittig. Es geht letztlich ja auch hier darum, die Leistungsfähigkeit massiv aufzupumpen, indem der Körper pharmakologisch gefüttert wird, immer und immer wieder. Es greift auch zu kurz, darauf zu verweisen, dass es erwachsene Menschen sind, die sich dabei ruinieren: Schon allein, weil der Spitzensport weltweit von öffentlichen Mitteln profitiert; von einer Politik etwa, die sich Bundesleistungssportler hält, die bis in den Nachwuchs als Vorbilder wirken sollen. Ein Sport, der dabei so freizügig mit Spritzen und Pillen hantiert, kann bestenfalls als Zirkus herhalten, versehen mit einer Warnnotiz wie bei der Mutproben-Show Jackass: "Kinder, macht das nicht zuhause nach!"

Dabei legen sich ja die wenigsten Athleten mit Vergnügen an die Kanüle - sondern weil dann erst der große Erfolg winkt, der Sponsor zahlt, die Medien jubeln, wie heldenhaft der Champion durch ein Meer an Schmerzen schritt; weil der Neo-Profi nur dann eine Chance hat mitzuhalten, nachdem er seine Jugend für seinen Sport opferte; der Veteran im Herbst seiner Karriere noch einmal vom warmen Schauer der Zuneigung berieselt wird. Solch ein Geflecht zu entwirren, braucht sehr, sehr viel Zeit.

Schnelle Linderung würde wohl ein Medien- und Spitzensport verschaffen, der auch Respekt für die Geschlagenen übrig hat. Für jene, die in der zweiten Runde von Roland Garros aufgeben, die sagen: Ich schaffe es nicht. Die offen über Panikattacken und Erfolgsdruck reden. Die, wie der Belgier Cian Uijtdebroeks, staunen, sobald sie in das Profisegment ihres Sports aufsteigen und dort Kollegen drei Gramm Paracetamol einwerfen, nur um die Schmerzen auszuhalten. "Ich habe nicht vor", sagte Uijtdebroek zuletzt, "meine langfristige Gesundheit für kurzfristige Erfolge zu opfern", auch wenn die anderen dann halt schneller sind.

Der 19-Jährige, das nebenbei, fährt für das deutsche Team Bora-Hansgrohe, er gilt als eines der größten Talente des: Radsports.

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