Schalkes Debakel in der Champions League:Marathon der Frustbewältigung

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Schalkes Max Meyer (li.) und Klaas-Jan Huntelaar (re.): Chancenlos gegen Real Madrid (Foto: dpa)

Real Madrid fegt über Schalke 04 mit 6:1 hinweg, doch mit der Misere beschäftigt sich das Team von Jens Keller nur kurz. Stattdessen wird sinniert, welche Mannschaft denn nun die weltbeste ist - auf die Schalker wartet in der Bundesliga mit dem FC Bayern schon der nächste übermächtige Gegner.

Von Andreas Morbach, Gelsenkirchen

Klaas-Jan Huntelaar war bereits in die Phase des entspannten Fatalismus eingetreten, als er als Letzter aus dem verprügelten Schalker Ensemble um die Ecke kam. Die meisten seiner Mitspieler waren zuvor wortlos Richtung Ausgang geeilt, der Mann aus den Niederlanden aber war bereit, Reals gewaltige 1:6-Ohrfeige zu kommentieren.

Das Wort "Fehler" fiel bei seiner Ursachenforschung im Sekundentakt, die nicht neue Erkenntnis, dass "Top-Mannschaften solche Fehler bestrafen", folgte auf dem Fuß. Vor allem aber drehte der Oranje-Stürmer allen Mathematikern eine lange Nase mit seiner Theorie: "Ob 6:1 oder 1:0 ist egal. Es ist eine Niederlage."

So einfach kann Frustbewältigung sein. Aber die großen Termine ballen sich ja auch gerade auf Schalke. Heute Madrid, am Samstag München - da bleibt wenig Zeit zum Luftholen. Zum Regenerieren noch viel weniger, Innenverteidiger Felipe Santana zog sich einen Muskelfaserriss im Oberschenkel zu und fällt wochenlang aus. "Wenn man gegen Real schlecht spielt, kann man schon mal was auf die Nase kriegen. Wir müssen einfach weitermachen", wollte Huntelaar von bleibenden seelischen Schäden nach der höchsten Pleite in der Schalker Europapokalgeschichte nichts wissen.

Lieber schaltete er sich in die laufende Diskussion "Wer ist die beste Mannschaft der Welt?" ein. Noch die des FC Bayern? Oder ist die Auswahl der Königlichen mit den Immer-Gewinnern aus München inzwischen auf Augenhöhe? "Ich weiß nicht, ob die Bayern noch besser sind. Real jedenfalls war heute super", tendierte der 30-jährige Huntelaar zur zweiten Variante.

In einer ausgesprochenen Luxusdebatte, denn in Gelsenkirchen lautete - spätestens nach 52 Minuten, als Cristiano Ronaldo im Anschluss an einen "achtfachen Übersteiger" (S04-Manager Horst Heldt) das 3:0 erzielt hatte - die eigentliche Frage: Wann gab es je ein derart spannungsarmes Achtelfinale in der Champions League?

Denn nicht nur Madrid machte sein Rückspiel am 18. März zur netten Staffage, zuvor waren bereits Paris, Barcelona, Dortmund und die Bayern mit zum Teil klaren Auswärtssiegen schon bei Halbzeit mehr oder weniger ins Viertelfinale marschiert. Über die Gelsenkirchener fegte die Naturgewalt Real unter dem Oberkommando von Ronaldo, Gareth Bale und Karim Benzema (jeweils zwei Tore) nun eben besonders heftig hinweg.

Schalke 04 in der Einzelkritik
:Vorne ein Schatten, hinten Vogelscheuchen

Der verunsicherte Julian Draxler vergibt die Chance, dem Spiel eine Wendung zu geben. Joel Matip fällt mit panischen Befreiungsschlägen auf, Felipe Santana mit grauenhaften Ballverlusten. Der FC Schalke beim 1:6 gegen Real Madrid in der Einzelkritik.

Von Andreas Morbach, Gelsenkirchen

Dabei gelang den Madrilenen erst der zweite Sieg auf deutschem Boden, bei immerhin 26 Versuchen. Der erste Erfolg stammt aus dem Herbst 2000 in Leverkusen - aus der Ära des Trainers Vicente del Bosque, der erfolgreichsten Phase in Reals jüngerer Vergangenheit, unter anderem mit zwei Triumphen in der Königsklasse (2000 und 2002). Es waren Madrids bislang letzte Krönungsmessen in Europas Eliteliga - wobei der aktuelle Coach Carlo Ancelotti del Bosque in seiner uneitlen, verbindenden Art durchaus ähnelt.

Stimmen zur Champions League
:"Aus fünf Metern sollte der Ball reingehen"

Julian Draxler hadert mit seiner Torchance beim 1:6 gegen Real Madrid, Benedikt Höwedes findet im Schalker Spiel auch etwas Gutes und Gareth Bale ist bereit für den Titel. Die Stimmen zur Champions League.

Auch deshalb bekommt die Sehnsucht nach der "Decima", dem zehnten Königsklassen-Titel, in Madrid gerade noch mal einen mächtigen Schub. Vergleiche zwischen der aktuellen Fußball-Weltmacht Bayern München und Real hatten rund um das Gastspiel des Ancelotti-Teams im Ruhrpott dann auch Hochkonjunktur. Schalke-Coach Jens Keller ("Real ist für mich nach dem FC Bayern momentan die zweitbeste Mannschaft der Welt") hatte sein Urteil bereits vor der Partie gefällt, Manager Heldt zog nun nach: "Wir haben leider gegen eine Mannschaft gespielt, die zu den Favoriten gehört."

Doch der 44-Jährige war nicht gewillt, Real einfach nur als das achte Weltwunder zu bestaunen. "Wenn die den Ball haben, geht die Post ab - mit fünf Mann im Vollsprint", lobte Heldt zwar, gab aber auch zu bedenken: "Im Moment enteilen in Europa einige Mannschaften, die andere Voraussetzungen haben. Dabei weiß ich nicht, wie Real das geregelt bekommt, bei 500 Millionen Euro Verbindlichkeiten noch einen Spieler für 100 Millionen Euro zu holen. Und ich lese da wenig Kritik, was alles in Ordnung oder nicht in Ordnung ist."

Für Real-Coach Ancelotti ("Eine perfekte Nacht") und Doppel-Torschütze Bale ("Wir wollen alles gewinnen, aber die Champions League ist natürlich unser großes Ziel") war die Fußballwelt jedenfalls voll in Ordnung. Und für Klaas-Jan Huntelaar wenigstens ein kleines bisschen - dank seines Traumtores zum 1:6 in der Schlussminute. "Der Ball ist gekommen, und ich hab' volle Kanne draufgeknallt", erzählte er danach munter. Die Frage, ob dieser Treffer nun helfe, fand er dann aber doch sehr überflüssig. "Der hilft nichts, es war das 1:6", erwähnte Huntelaar und schloss grimmig: "Das heißt, wir müssen jetzt 6:0 in Madrid gewinnen."

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