Union Berlin auf Schalke:Fast so gut wie Bayern

Lesezeit: 3 min

Berliner Ballkunst auf Schalke: Sebastian Andersson. (Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images)
  • Union Berlin spielt gegen Schalke vor allem in der ersten Hälfte stark auf, kann eine 1:2-Niederlage aber nicht verhindern.
  • In der 86. Minute trifft Suat Serdar zum Sieg - schon sein fünfter Treffer diese Saison.
  • Schalkes Trainer Wagner äußert sich erstaunlich zu Berlin: "... nach Bayern München das Beste, was uns hier gegenübergestanden hat".

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

In der 53-jährigen Geschichte seines Bestehens ist dem 1. FC Union Berlin sicherlich nicht oft, womöglich sogar noch nie nachgesagt worden, dass sich sportlich allenfalls der FC Bayern mit ihm messen lasse. Am Freitagabend in Gelsenkirchen ist das nun geschehen, und der Mann, der erklärt hat, dass an diesem Ort nur die Bayern jemals so gut gespielt hätten wie die Unioner, der ist kein Hochstapler oder Schönredner, sondern ein seriöser und glaubwürdiger Experte. Als David Wagner den Vergleich des Aufsteigers mit dem Rekordmeister zog, blickte er zwar nicht auf sämtliche 53 Jahre des Berliner Vereinslebens zurück, sondern lediglich auf die sieben Heimspiele, die Schalke 04 in der laufenden Saison bestritten hat - aber gesagt ist gesagt: "In der ersten Halbzeit war Union nach Bayern München das Beste, was uns hier gegenübergestanden hat", befand Schalkes Trainer und meinte es absolut ernst. Beinahe wäre es ihm sogar bitter ernst gewesen, denn dem widerstandskräftigen Aufsteiger fehlten nur ein paar Minuten, um einen Remis-Punkt bei den Königsblauen mitzunehmen. Ein Treffer von Suat Serdar in der 86. Minute bescherte Schalke doch noch einen 2:1-Sieg.

Dies sorgte für gute Stimmung im ausverkauften Haus, an der trotz der Niederlage auch die knapp 5000 mitgereisten Berliner Fans gern teilhatten. Sie feierten ihr Team, das seit den ersten, anfangs noch ungelenken Gehversuchen in der neuen Liga gewaltige Fortschritte gemacht hat. Mit einem 0:4 gegen Leipzig hatte es begonnen, nun gab es nach vier hintereinander gewonnenen Spielen zwar die erste Niederlage, aber jede Menge Anerkennung. "Unser Problem in der ersten Halbzeit war Union Berlin", blickte Nationalspieler Serdar zurück, "das ist eine klasse Truppe - die trauen sich was". Dass schwere Arbeit bevorstünde, darauf sei man präzise vorbereitet gewesen, betonte Torwart Alexander Nübel. Dennoch war in den ersten Minuten nicht ersichtlich, welches der beiden Teams hier eigentlich Heimrecht hatte und außerdem Aussicht darauf, eine Nacht lang als Tabellenführer zu glänzen.

FC Bayern
:Flick wehrt sich gegen den Hansi-Hype

Vor dem Duell mit Leverkusen lobt der Bayern-Trainer die Mannschaft, sein Team, Jupp Heynckes - und sogar den Gegner. Nur über sich selbst will er nicht sprechen.

Von Thomas Gröbner

Die Schalker benötigten einen Sieg mit vier Toren Unterschied, um als Nummer eins der Liga ins Bett zu gehen, doch schon lange vor der Halbzeit-Pause hat daran kein noch so optimistischer Fan mehr gedacht. Dreimal schaffte es Nübel mit außergewöhnlichen Paraden, ein Berliner Tor zu verhindern, dann war auch er machtlos. Dass Marcus Ingvartson in der 36. Minute mit einem wuchtigen Schuss die Schalker Führung (Benito Raman, 23.) ausglich, das war durchaus gerecht, das Tor entsprach dem Spielverlauf. Der Elfmeter, der dem Angreifer zur Verfügung gestellt wurde, war jedoch eine Ungerechtigkeit, er entsprach nicht dem Spielgeschehen: Der Berliner Robert Andrich kam als Schwalbe in den Schalker Strafraum geflogen, der Schiedsrichter ließ sich davon täuschen, die Videoassistenten schritten nicht ein, obwohl der Fall unzweideutig war. Die Vermutung, dass die Fernsehrichter just in dem Moment einen Spaziergang durch Köln unternahmen oder im Garten eine Zigarette rauchten, lag zwar nahe, traf offenkundig aber nicht zu. Den Schalker Torwart Nübel ließ Referee Daniel Schlager wissen, er habe Kontakt mit Köln gehabt, alles gehe mit rechten Dingen zu.

Wie konnte das passieren? Er habe keine Ahnung, sagte Suat Serdar später, es war ihm aber auch einerlei: "Wir haben ja 2:1 gewonnen." Am Ende wurde das Spiel nicht durch einen weiteren Justizirrtum, sondern sportlich entschieden, in der zweiten Hälfte waren die Schalker das bessere Team mit den besseren Chancen. Den hohen Leistungsstand der ersten Hälfte konnten die Berliner nicht mehr halten, "uns hat dann ein bisschen die Power gefehlt", wie Kapitän Christopher Trimmel berichtete. Aus Mangel an Kraft entstanden Mängel im Spiel. "Unsere zahlreichen individuellen Fehler haben am Selbstbewusstsein genagt und Schalke stark gemacht", sagte Trainer Urs Fischer. Den folgenschwersten Fehler beging Neven Subotic, als er einen sicheren Ball verspringen ließ, eine Kombination über Ahmed Kutucu und Amine Harit führte dann zum Torschützen Serdar.

Serdar gewöhnt sich ans Toreschießen

Wie zielsicher Schalke diesen Treffer herausspielte, das zeugte davon, dass auch in Gelsenkirchen große Fortschritte gelungen sind. Das Schalke der Saison 19/20 sucht und findet spielerische Lösungen, der Virtuose Harit ist mit seinen Finten, Haken und Ideen meistens mittendrin, dennoch ist die königsblaue Offensive keine Solo-Show. Benito Raman, der den fleißigen, aber notorisch torlosen Guido Burgstaller abgelöst hat, hat als Sturmspitze seinen Platz im Team gefunden. "Mit seinen Tiefen- und Tempoläufen passt er perfekt zu unserer Art des Spiels", sagt David Wagner. Rechtsaußen Daniel Caligiuri hat sein Formtief überwunden, Serdar gewöhnt sich ans Toreschießen - schon fünf Treffer hat der Mittelfeldspieler erzielt.

Statt als Erster der Tabelle sind die Schalker als Zweiter ins Bett gegangen. Niemanden hat das gestört. Kapitän Nübel freute sich schon vor dem Einschlafen auf das Programm des nächsten Tages: "Einfach wie jeder andere entspannt auf dem Sofa um 15.30 Uhr Bundesliga gucken." Welcher Tabellenplatz dann noch für Schalke übrig bleibt, das ist Wagner, wie er ausdrücklich feststellte, "total wurscht". Nach 13 Spieltagen sei die Tabelle "total irrelevant".

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Jürgen Klinsmann in Berlin
:Diener zweier Herren

Jürgen Klinsmann coacht in Berlin jetzt hoch bezahlt Herthas Fußballer - und ist zugleich der Vertrauensmann des neuen Investors. In dessen Auftrag soll er auch über seinen Nachfolger als Trainer mitentscheiden.

Von Javier Cáceres und Philipp Selldorf

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: