David Wagner und Schalke:Befreit vom Antifußball

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Hat die Gabe, aus wenig viel zu machen: Schalke-Trainer David Wagner. (Foto: dpa)
  • Statistisch betrachtet, ist David Wagner ein besserer Durchschnittstrainer auf Schalke.
  • Dennoch ist die Gemütslage in Gelsenkirchen anders als in früheren Jahren.
  • Wagner ist offenbar imstande, aus seinem Team das Beste herauszuholen.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Als Jochen Schneider das erste Mal vor großer Kulisse die Arbeit des viel gepriesenen Trainers David Wagner in Augenschein nahm, war er nicht begeistert. Wagners Team betrieb "ein Fehlervermeidungsspiel", die Partie sei "nicht so dolle" gewesen. Dabei stand der Coach längst in dem Ruf, Wasser in Wein verwandeln zu können, nur so vermochte man es sich in England zu erklären, dass der krasse Außenseiter Huddersfield FC das Endspiel gegen Reading FC erreicht hatte.

Schneider gehörte damals, im Mai 2017, dem Management von RB Leipzig an, der Besuch des Finales in Wembley um den Aufstieg in die Premier League war zur einen Hälfte eine Fortbildungsreise und zur anderen Hälfte ein Betriebsausflug mit englischen RB-Kollegen. Dem Leipziger Fußballunternehmen hat der Trip allerdings eher geschadet als genutzt. Schneider erlebte in Wembley, dass Wagner offenbar imstande war, aus seinem Team das Beste herauszuholen ("Man konnte erkennen, dass sie aus wenig viel machten"). Und dieser Eindruck hat sich in Wagners erster Saison mit Schalke 04 unbestreitbar bewahrheitet, wozu unter anderem der 3:1-Sieg in Leipzig beigetragen hat, die einzige Heimniederlage des Tabellenführers.

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Statistisch betrachtet, ist David Wagner ein besserer Durchschnittstrainer auf Schalke. 30 Punkte zur Jahreswende sind ein guter Wert, aber seine Vorgänger von Huub Stevens über Jens Keller, Roberto Di Matteo und André Breitenreiter bis Domenico Tedesco erreichten ähnliche Ergebnisse. Dennoch ist die Gemütslage in Gelsenkirchen anders als in früheren Jahren, in denen auch vordere Platzierungen von angespannten und angstgetriebenen Zuständen begleitet wurden. Immer schien in nächster Nähe ein unheilvoller Abgrund zu gähnen. Nun ist der Klub, soweit es seine manische Natur zulässt, zur Ruhe gekommen, er hat sich nicht nur zur Weihnachtszeit mit sich selbst versöhnt, und zweifellos hat daran dieser Mann wesentlichen Anteil, den der Guardian in Huddersfielder Zeiten "ein 45-jähriges Bündel bärtiger, bebrillter, deutscher Energie" nannte.

Schneider, der Wagner Anfang Mai engagierte, drückt es weniger poetisch aus. Für ihn ist der inzwischen 48 Jahre alte Trainer ganz einfach "ein Junge aus dem Leben" mit einer gesunden Lebenserfahrung und einer "offenen, positiven, gewinnenden Art". Das klingt womöglich recht gewöhnlich, gibt aber wieder, was nun so viele Leute auf Schalke erzählen. Dass man gern mit Wagner rede, dass einem nicht langweilig werde nach einer Dreiviertelstunde, dass die Begegnung mit ihm erfrischend sei, dass er witzig und unterhaltsam, aber kein Stück selbstdarstellerisch sei. Mit solchen Elogen muss Wagner jetzt fertigwerden, aber er wird das sicher schaffen, nachdem er es schon geduldig ertragen hatte, dass er seit den ersten Wochen seines Engagements als "Kloppo-Kumpel", als "Schalke-Kloppo" oder als "der Klopp-Trauzeuge" firmieren musste, weil er mit Jürgen Klopp freundschaftlich verbunden ist und ihn zur Ehe geleitet hat.

Erstmals seit Jahren stimmt auch wieder die B-Note

Charisma ist auch Wagner zu eigen, aber er hat seine eigene unprätentiöse Ausstrahlung, und die äußert sich zum Beispiel dann, wenn er über Fußball spricht. Wo sich sein (immer noch populärer) Vorgänger Tedesco öfter in höchst seltsamen Vorträgen verlor, da verzichtet Wagner darauf, seinen Sachverstand über Strategiereferate zu definieren, er beschreibt den Sport wie ein Handwerk und "spricht über den Beruf, wie es Fliesenleger oder Klempner täten", wie der Tagesspiegel befand. Das ist auch deswegen interessant, weil die Schalker Zuschauer den Schlusspfiff nicht mehr wie im Vorjahr als Erlösung vom Antifußball erleben. Erstmals seit Jahren stimmt auch wieder die B-Note.

Ein gewisser Klopp-Faktor ist dem Schalker Auftritt dabei nicht abzusprechen. Bevor man darüber nachdenkt, ob Schalke ein Spitzenteam ist, stellt man zuerst fest, dass es ein Team ist. Das Bild der Mannschaft ist von Widerstandskraft, Leidenschaft und Zusammenhalt geprägt, vor allem Letzteres gilt als Errungenschaft. "Wir haben eine enorm gute Chemie in der Mannschaft", sagt Sportvorstand Jochen Schneider. Im Spätsommer hatte man sich noch verzweifelt um Verstärkungen bemüht, nun hat sich der Geldmangel als ein Stück Glück erwiesen, der Manager rechnet vor: "Zehn Prozent mehr Teamgeist sind mehr wert als ein paar Prozent mehr Qualität. Die Einheit ist das Wichtigste, und das ist vor allem ein Verdienst des Trainers, der die Gabe hat, Menschen zusammenzubringen."

Bevor die Saison begann, hatte Schneider zwar keinen Europacup-Platz zum Ziel gesetzt, aber immerhin höhere Ambitionen gefasst als viele Anhänger, die noch unter dem Schock der Vorsaison standen. "Meine Haltung war nicht: Wir wollen nicht wieder in Abstiegsgefahr geraten. Sondern: Wir wollen anders Fußball spielen." An diesem Thema haben aber auch andere Fachleute als der Trainer mitgewirkt. Beim Stab hinter der Profimannschaft habe man "eine extrem hohe Trefferquote" gehabt, findet Schneider und möchte die Arbeit des Technischen Direktors Michael Reschke hervorheben, der nach seinem Engagement beim VfB Stuttgart von einigen Schalker Funktionären und von vielen Fans kritisch betrachtet wurde.

Ausdrücklich erwähnt er Reschke aber nicht nur deshalb, weil dieser vom VfB den sehr verheißungsvollen türkischen Nationalverteidiger Ozan Kabak besorgte, mit Benito Raman den nötigen Tempostürmer und mit Jonjoe Kenny endlich einen tüchtigen Rechtsverteidiger beschaffte, zudem obendrein in Torwart Markus Schubert vorausschauend einen Nachfolger für den Bald-Bayern Alexander Nübel ins Haus holte. Schneider lobt den Rheinländer Reschke auch dafür, "dass er keine Spaßbremse ist". Angeblich wird neuerdings nämlich viel gelacht in Schalkes sportlicher Chefetage, "David Wagner versteht sogar meine Witze", sagt der Schwabe Schneider - "meistens zumindest."

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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