Schalke 04:Andere Probleme als ein Gespräch mit Reisi

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Einst gemeinsam in der Bochumer Abwehr gegen Schalke: Rouven Schröder und Thomas Reis gegen Gerald Asamoah (v.l.) (Foto: M. Ulmer/Imago)

Beim Abstiegskampf-Derby gegen Bochum sind angebliche Avancen für VfL-Trainer Thomas Reis nur eins von vielen Themen. Sportchef Schröder muss die neue Sparsamkeit von Schalke 04 erklären - inklusive möglicher unangenehmer sportlicher Folgen.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Die Anspannung in beiden Lagern ist zwar mindestens nervenzerfetzend und das bilaterale Verhältnis zwischen Schalke 04 und dem VfL Bochum so brisant wie nie zuvor. Dennoch scheut Rouven Schröder am Tag vor dem womöglich schicksalhaften Aufeinandertreffen der beiden Ruhrgebietsklubs in der Bundesliga (Samstag, 18.30 Uhr) nicht davor zurück, den gegnerischen Feldherrn in konsequenter Folge liebevoll "Reisi" zu nennen. Der Reisi sei "definitiv auch einer, der sich alles hart erarbeitet hat", lobt Schalkes Sportdirektor beispielsweise und spricht damit eines der Merkmale an, die er mit dem Bochumer Cheftrainer zu teilen glaubt. Auch sportlich sind ihre Biographien verbunden. An der Seite von Thomas "Reisi" Reis, 48, hatte Schröder, 46, in jungen Jahren, als er noch einen blonden Schopf auf dem heute kahlen Kopf trug, den Strafraum des VfL verteidigt.

Unter anderem halfen Reis und Schröder im Duett am Abend des 28. April 2001, einen in Bochum besonders unbeliebten Eindringling abzuwehren, der mit starker Unterstützung seiner Sympathisanten im Stadion an der Castroper Straße eingefallen war. Schröder erinnert sich präzise: "1:0 Freier, 1:1 Mpenza, Ebbe Sand war der Gegenspieler. Wir mit Dreierkette, Reisi war zentral, ich war rechts. Da gab's eine klare Ansage und ein gutes Miteinander."

Was weder Reisi noch Schröder wissen konnten: Dass dieser in Bochumer Kreisen als heroisch gefeierte Abend ein zerstörerisches Werk anrichtete. Dem Gegner Schalke fehlten durch das dünne 1:1 die Punkte, um drei Wochen später länger als bloß 4:38 Minuten die Meisterschaft zu feiern (dann trat bekanntlich der Münchner Bayer Patrik Andersson in Aktion). Die Bochumer selbst verblieben auf dem letzten Tabellenplatz und stiegen ab.

Die Verhältnisse im Revier waren damals klar verteilt: Schalke und Borussia Dortmund stritten um die Krone, Bochum stand im Hintergrund. Heute blickt der BVB als globale Marke auf den regionalen Revierkampf herab, während Schalke und der VfL - trotz weiterhin ungleicher Größenverhältnisse - nun in einem Duell um den Erstliga-Verbleib vereint sind, das der Kicker mit dem Titel "Not & Spiele" treffend kennzeichnete. Die jahrelang am Europacup orientierten Schalker müssen diese Angleichung und Nähe als Deklassierung auffassen. Zumal es weniger mit ihrem Erstarken, sondern vor allem mit den Problemen des VfL zu tun hat, dass ihnen für Samstag die Favoritenrolle zugesprochen wird: Zwar steht Bochum noch punktlos da, aber das ebenso sieglose Schalke mit drei Punkten kaum besser.

Vor diesem Hintergrund traf die Meldung, der ehemalige Bochumer Schröder solle im Mai versucht haben, den früheren Mitspieler Reis für den vakanten Trainerjob in Gelsenkirchen zu gewinnen, einen empfindlichen Punkt im VfL-Publikum. Von Sabotage war die Rede, sowohl was die angebliche Abwerbung von Reis angeht, als auch deren Bekanntwerden in der Presse pünktlich zum Derby. Dem großspurigen Nachbarn traut mancher Bochumer sowieso alles zu - außer Nächstenliebe.

Schröder hat für alle Fragen zum heiklen Trainer-Thema eine Standardantwort entwickelt: "Als Sportdirektor musst du Gespräche führen", erklärt er zügig: "Über Namen habe ich bisher nichts gesagt, und das werde ich auch jetzt nicht tun."

In ein paar Wochen fängt Rouven Schröder als Sportdirektor bei RB Leipzig an. (Foto: Robin Rudel/Sportfoto Rudel/Imago)

Abgesehen davon, dass er Unannehmlichkeiten fernzuhalten versucht, hat der Schalker Sportdirektor im Übrigen wirklich andere Probleme. Die vergangenen Tage, in denen es lediglich ums wegweisende Sein-oder-Nichtsein-Spiel gegen Bochum ging, waren im Vergleich zur vorangegangenen Woche eine Zeit der Muße und Erholung. Die Anstrengung und Rastlosigkeit der Transferperiode ist Schröder noch immer anzusehen. "Wie drei Transferperioden auf einmal" hat er den sommerlichen Geschäftsgang beim zweiten Großumbau des Schalker Kaders wahrgenommen.

In die finale Transferphase ging er unter dem Eindruck einer durchaus katastrophalen 1:6-Heimpleite gegen Union Berlin und mit dem Wissen, dass er unbedingt noch den für Schalke nahezu unbezahlbaren Amine Harit, 25, veräußern müsste: "Das ist schon Überlebenstraining. Da weißt du hinterher auf jeden Fall, ob du dem ganzen Job gewachsen bist."

Bis zum Abschluss des Wechselgeschäfts mit Olympique Marseille war Harit der letzte Profi mit einem Vertrag aus der alten Epoche, als Schalke noch Multimillionen-Gehälter bezahlte. Nicht ohne Heimtücke eröffneten die Franzosen in der Nacht vor Börsenschluss den Handel, Dramaturgie und Psychologie wähnten sie auf ihrer Seite. Aber Schalke hielt, sagt Schröder, dagegen: "Wir haben uns nicht zum Spielball machen lassen, nach dem Motto: Die müssen ja sowieso verkaufen."

Aufsichtsrat und Vorstand skizzierten das Maximum an Kompromissbereitschaft, und Schröder wusste, dass er guten Gewissens den Bedingungen der Gegenseite entgegentreten durfte: "Dann konnte ich auch wieder authentisch in die Verhandlungen gehen. Es hat sich richtig angefühlt, weil es aus dem Innersten kam, zu sagen: Nein, so machen wir das nicht." Marseille willigte ins Schalker Modell ein, und Schröder war stolz: "Da haben wir Stärke gezeigt. Der Verein hat in dieser Zeit absolut an Profil gewonnen."

Doch nicht immer in diesem Sommer fanden die strikt auf Sparkurs steuernde Klubführung und der Sportdirektor, der mit geringen Mitteln eine Zweit- in eine Erstliga-Mannschaft verwandeln musste, sofort zum Konsens: "Natürlich gibt es Diskussionen, wenn man um einen Spieler kämpft oder es schade findet, wenn einer gehen muss", räumt Schröder ein. Seine persönlich vorgebrachte Absage an den japanischen Aufstiegshelden Ko Itakura geriet offenbar zum Drama ("der schlimmste Facetime-Call ever"). Für Schalke war Itakura mit Ablöse, Gehalt, Nebenkosten zu teuer geworden, jetzt spielt er für Gladbach. Schröder findet: "Das ist genau das Thema, um allen zu zeigen, was der neue FC Schalke 04 ist. Früher wäre der Deal in drei Sekunden durch gewesen."

Dennoch stellt sich die Frage, ob sich Schalke in diesem Sommer nicht kleiner gemacht hat, als es dem Verein gut tut. Der schnelle Aufstieg ist eine fast unverhoffte Chance, deren Erhalt größere Investitionen in den Sport gerechtfertigt hätte. Übertreibt es der Klub nun mit der Zahlen-Vernunft, vom einen Extrem ins andere wechselnd? Der Sportchef Rouven Schröder unterstützt die rigorose Linie mit einem vortragsreifen Plädoyer: "Wenn wir es nicht schaffen sollten, dann werden einige sagen: 'Hättet ihr da mal lieber ein bisschen Geld ausgegeben.' Auf der anderen Seite stelle man sich vor: Wir investierten riskant und schafften es trotzdem nicht - dann hätten wir das doppelte Fiasko. Der Abstieg in der Corona-Pandemie hat den Verein unfassbar viel Geld gekostet. Über allem steht die langfristige Zukunft des Vereins, die wir nicht gefährden dürfen. Deshalb ist der Weg richtig."

In der Nachbarstadt macht es der VfL aus den gleichen Gründen nicht anders. Durch den Verkauf der Verteidiger Armel Bella-Kotschap und Maxim Leitsch haben die Bochumer rund 15 Millionen Euro eingenommen - teuerster Zugang ist der Verteidiger Dominique Heintz mit 60000 Euro Leihgebühr. Dass die Begegnung zwischen den Schicksalsgenossen Schalke und dem VfL im Revier als "das kleine Derby" firmiert, ist also diesmal keine Beleidigung für die Bochumer, sondern ein Titel, der beiden Seiten gerecht wird.

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