5:2 gegen Hertha BSC:Schalke verblüfft sich selbst

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Zweifacher Torschütze: Marius Bülter (Foto: Thilo Schmuelgen/Reuters)

Zumindest für ein paar Stunden verlässt der FC Schalke 04 die Abstiegsplätze. Der rauschhafte Sieg kommt aber gegen eine vor allem in der Abwehr desolate Hertha zustande - deren Verantwortliche vermeiden ein Bekenntnis zu Trainer Schwarz.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Eine Moritz-Jenz-Tabelle wird bei der Deutschen Fußball Liga nicht geführt, in privaten königsblauen Zirkeln hingegen erzeugt sie große Freude. Wenn der 23 Jahre alte Verteidiger auf dem Platz steht, dann garantiert er Schalke 04 nicht nur eine deutlich stabilere Defensive, sondern auch eine Eigenschaft, die ansonsten nur der nordische Donnergott Thor aufweist: Unbesiegbarkeit. In neun von elf Rückrundenspielen wirkte er mit, neunmal gab es mindestens ein Remis. An den vergangenen beiden Spieltagen war er nicht dabei - beide Male ging die Partie verloren (0:3 gegen Leverkusen, 0:2 bei der TSG Hoffenheim).

Am Freitagabend nun guckte Jenz als Abwehrchef wieder hervor aus einer Schalker Elf, die sich selbst verblüffte, als sie dank der sagenhaften Anzahl von fünf Treffern gegen die Berliner Hertha gewann, die ihrerseits immerhin zwei erzielte. Und diesmal nahm auch die offizielle DFL-Tabelle Notiz vom Ertrag, den der Talisman Jenz nach Gelsenkirchen gebracht hat: Erstmals seit einem halben Jahr verließ Schalke 04 die Abstiegsplätze und notierte zumindest für ein paar Stunden als 16. auf dem Relegationsplatz. Es klingt wie ein gemeiner Witz, dass Dortmunds Unfähigkeit, einen Zweitore-Vorteil gegen eine dezimierte Stuttgarter Mannschaft über die Zeit zu bringen, dafür sorgte, dass der Revierkonkurrent am Samstag wieder auf Platz 17 abrutschte.

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Letzter ist nun Hertha BSC, doch beinahe mehr als die Übernahme der roten Laterne entsetzte die Berliner Elf die Anhänger durch ihren Auftritt. "Das war ein richtiger Schlag in die Fresse heute", stellte der Sportdirektor Benjamin Weber im TV-Interview nach dem Spiel fest, und so sehr er es versuchte - an der Trainerfrage kam er weder vor dem Publikum noch vor sich selbst vorbei. Man habe bisher zu Sandro Schwarz mit "klarer Haltung und klarer Überzeugung" gestanden, meinte er, "aber wenn du 2:5 beim Tabellenletzten verlierst ...". Weber, Berliner und Herthaner und mit besten Absichten in den Job gestartet, nachdem er die Stelle des entlassenen Fredi Bobic übernommen hatte, sah sich zu den üblichen Sprüchen gezwungen: Man werde jetzt "jeden Stein umdrehen", versicherte er einerseits, während er andererseits ein Bekenntnis zu Schwarz verweigerte - dieser Augenblick nach dem verheerend verlorenen Spiel sei "der falsche Moment für eine Personaldiskussion".

Der Betroffene zeigte volles Verständnis für Webers Erklärungsnot. Die Trainerfrage zu stellen sei "realistisch und legitim", sagte Schwarz: "Ich bin verantwortlich als Cheftrainer, und wir stehen auf Tabellenplatz 18."

"Schlecht verteidigt, schlecht verteidigt, schlecht verteidigt"

Den tiefen Sturz ins Kellerloch hatte vor allem die Berliner Abwehr auf dem Gewissen. "Das Defensivverhalten hat uns heute das Genick gebrochen", sagte Schwarz. Manche Szenen der jederzeit misslungenen Gefahrenabwehr hatten fast satirischen Charakter. Wie etwa Schalkes Linksaußen Marius Bülter vor dem Kopfball zum 2:0 in der 14. Minute ganz allein am Fünf-Meter-Raum Aufstellung nehmen durfte, während Tim Skarke unter diskretem Geleit zweier Berliner Sicherheitsmänner die Flanke hereinbrachte, das entsprach exakt der Zusammenfassung, die Sportchef Weber später vortrug: "Nicht da gewesen, den Gegner eingeladen, schlecht verteidigt, schlecht verteidigt, schlecht verteidigt."

Schalkes Trainer Thomas Reis hatte seiner Strafpredigt nach dem 0:2 gegen Hoffenheim am Ostersonntag ("Unterirdisch!") Taten folgen lassen. Er nahm vier ältere Herren in die Startelf auf und setzte damit einen gelungenen programmatischen Akzent zugunsten von Erfahrung und Druckresistenz: Vorneweg spielte Mittelstürmer Simon Terodde, 35, dahinter Dominick Drexler, 32, gefolgt von Kapitän Danny Latza, 33, im defensiven Zentrum, und Marcin Kaminski, 31, in der Abwehrmitte. Letzterer ersetzte den Abwehrchef Maya Yoshida, der ausnahmsweise angeschlagen war und erstmals ein Saisonspiel verpasste.

Einheit und Taktik gleichen aktuell Schalkes Defizite aus

Doch wie der Japaner Yoshida, in einem dunkelblauen Jackett mit goldenen Knöpfen und elegantem Rollkragenpullover gekleidet wie zum Dinner mit dem Tenno, alle Mann umarmend an den Schalker Feierlichkeiten teilnahm, das ließ gewiss die Herzen vieler Fans höherschlagen. Die Bilder dieser glücklichen Mannschaft signalisierten, was seit dem Beginn der Rettungsmission mit Thomas Reis manches spielerische Defizit beim Aufsteiger ausgleicht: Einheit und Entschlossenheit, kombiniert mit taktischer Effizienz. Sein Team habe nach den zwei zuletzt erlittenen Niederlagen "eine sehr, sehr gute Antwort gegeben", lobte Reis.

Leichtes Spiel trotz Unterzahl: Simon Terodde (2. von links) dreht nach seinem Tor zum 3:1 jubelnd ab. (Foto: David Inderlied/dpa)

Doppeltorschütze Bülter, wieder in Hochform und wieder einer der besten Schalker, hob die "deutlich bessere Spielkontrolle im Mittelfeld" und das beinahe optimale Ausnutzen der Torchancen hervor. Der Analyse ist nicht zu widersprechen, allerdings immer unter dem Vorbehalt der Gegnerleistung: Zu besichtigen unter anderem bei Teroddes Treffer zum 3:1 unmittelbar nach der Pause, der die Berliner Hoffnungen auf eine Spielwende nach Stevan Jovetic' Anschlusstor (45.+3.) gleich wieder zunichtemachte. Umgeben von fünf Berliner Abwehrkräften durfte sich Terodde ohne den Einsatz seiner Ellbogen zum Einschuss positionieren, als Kenan Karaman beim Konter in den Strafraum vordrang.

Einfacher wird es in den nächsten Wochen für Schalke 04 nicht werden als am Freitagabend gegen die desolate Hertha. Bange Blicke richteten sich deswegen auf Moritz Jenz, der schon nach einer Stunde mit Krämpfen zu tun hatte und zwischenzeitlich mehr humpelte als lief. Dennoch blieb er auf dem Rasen, Schalke hatte bereits genügend angeschlagene Spieler auswechseln müssen, vorneweg den an Adduktoren-Schmerzen leidenden Torwart Ralf Fährmann, was Unruhe verursacht hatte. Damit der Punktegarant Jenz sich nicht wieder am just kurierten Muskel verletzte, griff Reis zu einer originellen Umbesetzung: Er schickte den Verteidiger in den Angriff, um ihm riskante Sprints zu ersparen. Jenz absolvierte mitten im Abstiegsendspiel ein regenerierendes Auslaufen - noch ein Schlag ins Gesicht für Hertha BSC.

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